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Kultur

Buchbesprechung: Wehner und der Trotzkismus

Von B.B. | 01.11.2004

Reinhard Müllers neues Buch Herbert Wehner Moskau 1937 hätte auch Herbert Wehner und der Trotzkismus heißen können.

Reinhard Müllers neues Buch Herbert Wehner Moskau 1937 hätte auch Herbert Wehner und der Trotzkismus heißen können.

Sicherlich ist Reinhard Müller einer der kenntnisreichsten Wehner-Forscher. Auch in seinem neuen Buch über den damaligen Kandidaten des Politbüros der KPD, Herbert Wehner. Moskau 1937, sind viele Details, die Menschen an der Geschichte der KPD interessieren können.
Mit Müllers neuem Buch bekommen wir noch einmal bestätigt, dass Herbert Wehner ein fürchterlicher Apparatschik der KPD war, der 1937 in Moskau seine KPD-GenossInnen der sowjetischen Verfolgungsbehörde NKWD ans Messer lieferte. Er arbeitete als williger Helfer Stalins Terrorisierung der (internationalen) ArbeiterInnenbewegung zu, die unter dem Deckmantel der Jagd auf “trotzkistische Verräter” und “Hitler-Trotzkisten” lief. Dafür lieferte Wehner u. a. das Machwerk “Die deutschen Trotzkisten und die Gestapo” (S. 430 f) ab. Wehner, und das belegt Müller mit vielen Dokumenten, tat alles, um die (deutsche) sozialistische und kommunistische Linke der 30er Jahre als trotzkistisch unterwandert darzustellen.

Wehner und der Trotzkismus

Mit dem stalinistischen Trotzkismusbegriff belegte Wehner Organisationen wie die SAP, deie KPO und die Linke in der SPD, die vor allem eines nicht waren – trotzkistisch. Damit konnten aber im Zeichen der Moskauer Prozesse trotzkistische Verbindungen, Verschwörungen und terroristische Aktionen gegen die Sowjetunion konstruiert werden. Die Opfer waren dann linientreue KPD-Mitglieder und überzeugte StalinistInnen, die unter dem Verdacht des Trotzkismus in der SU verhaftet, gefoltert und liquidiert wurden. Mensch braucht nur in Müllers Buch die Fotos der Häftlinge Beutling, Schulte, Kippenberger und Knodt anzuschauen, um aus ihren verstörten Mienen das ganze Ausmaß der stalinistischen Verwüstungen ablesen zu können.
Über die eigentlichen TrotzkistInnen in und aus Deutschland lieferte Wehner fast nichts. Wir erfahren, dass die Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD) eine “Spitzelkarthotek” der KPD in Paris mit 300 “etikettierten Trotzkisten” d.h. linken EmigrantInnen, darunter zwei bis fünf wirkliche TrotzkistInnen, nicht nur einsah (das war bekannt), sondern auch verschwinden ließ (S. 285). Aus einem Bericht Wehners von Anfang 1937 geht hervor, dass sich die Trotzkisten 1935 und 1936 im Ruhrgebiet von Gelsenkirchen aus bemühten, mit einer “West-Zeitung” die KPD zu beeinflussen, in Magdeburg und Königsberg ebenfalls in der illegalen KPD wirkten, sich in Danzig eine Fraktion von der KPD abspaltete und mit den Trotzkisten ein gemeinsames Flugblatt herausgab (S. 344). Ansonsten erwähnt Wehner von der IKD im Ausland, die wie in Deutschland konspirativ arbeitete, vor allem nur einige wenige alte trotzkistische FunktionärInnen, zu denen er die Pariser Gruppe um Fischer/Maslow rechnete.

Müllers Wehnerbild

In Herbert Wehner. Moskau 1937 wird Wehner zum Trotzkismusexperten aufgeblasen. Immer wieder äußert Müller Vermutungen wie: Dem NKWD “können die Namen und Aufenthaltsorte von ‘K. Friedberg‘ zu ‘Jungklaus‘ und ‘Epe‘ nur vom kundigen Informanten Wehner mündlich beigesteuert worden sein” (S. 486f.). Dabei hatte nach einem Überfall von Faschisten auf Trotzkis norwegischen Exilort die faschistische Zeitung Fritt Folk am 19.6.1936 über Heinz Epe berichtet, seinen Decknamen Walter Held und seine Funktion als Leibwächter Trotzkis und Sekretär des Internationalen Jugendsekretariats aufgedeckt. Es bedurfte keines Herbert Wehner, um diese Pressemeldung von Oslo nach Moskau zu senden.
Auch die Behauptung, dass Informationen des NKWD über den Leninbund “nur aus Wehners überbordendem Detailwissen entstammen (konnten)” (S. 512) sind an den Haaren herbeigezogen. Hätte Wehner mehr als ein paar oberflächliche Informationen über die Linksoppositionellen in der KPD besessen, dann hätte er bestimmt nicht vergessen zu erwähnen, dass Anfang 1933 in Berlin eine stalinistische Abspaltung der Linken Opposition der KPD um das Mitglied ihrer Reichsleitung und internationalen Leitung, Roman Well, mit Hilfe der KPD eine gefälschte Ausgabe der LO-Zeitung Permanente Revolution herausgab. Der NKWD-Agent Well kannte sich glänzend im deutschen Linkskommunismus aus.
Diese Informationen besaß Wehner nicht, aber er konnte sich dank seines guten Namensgedächtnisses und seiner Skrupellosigkeit 1937 in Moskau als “Trotzkismusexperte” verkaufen. Wehners eigener Experten-Legende sitzt Müller noch im Jahre 2004 auf. Trotz seines Organisationstalentes konnte ein Wehner in der KPD nur hochkommen, weil die erste, zweite, dritte und vierte Leitungsgarnitur der KPD zwischen 1919 und 1937 ermordet, ausgeschlossen, gebrochen und wieder ermordet wurde. Müller dagegen zerstört nicht den Mythos Herbert Wehner, sondern sitzt ihm auf und baut ihn aus.

Müller und der Linkskommunismus

Ein Wehner-Experte muss kein Kenner des Trotzkismus sein. Das sollte er aber, wenn er über Wehner und den Trotzkismus schreibt. Doch Müller fehlt selbst das ABC der Wandlung des deutschen Kommunismus. Anton Grylewicz, den Organisationsleiter des Leninbundes und später der LO der KPD, mit Ruth Fischer und Arkadi Maslow als “führendes Mitglied der ‘Ultralinken‘ in der KPD” (S. 369/370) anzugeben, heißt, nicht zwischen den Linken und den Ultralinken unterscheiden zu können. Wer dann noch den Sprecher der Pfälzer-Weddinger Opposition, Hans Weber, mit dem Rathenower Mitglied des Leninbundes, Otto Weber, verwechselt und zu dessen Leitungsmitglied macht (S. 374) … für dessen Buch sollte mensch keine 35 Euro ausgeben.

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