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Betrieb & Gewerkschaft

Bsirske: Lieber 10% Lohnkürzung als Streik!

Von Korrespondent | 01.07.2005

Am 16. Juni war der Deal perfekt. Eigentlich war es der letzte Tag der laufenden Urabstimmung. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) standen kurz vor dem Streik. Aber die ver.di-Führung hat sich lieber schnell noch geeinigt. Auf 10% Lohnkürzung für die BVG-KollegInnen.

Der Senat hatte sich fast ein ???halbes Jahr geweigert, den seit ???Januar ausgehandelten "Spartentarifvertrag Nahverkehr" zu unterschreiben. Der sah schon Arbeitszeitverkürzung mit Lohnsenkung von 8% vor. Das heißt pro Monat gut 300 Euro brutto weniger. Ver.di wollte mit einem besonders unternehmensfreundlichen Vertrag die Gegenseite zur Unterschrift bringen und Vernunft demonstrieren. Dabei sind und waren niedrige Forderungen schon immer eine Einladung an die Gegenseite, noch mehr zu fordern.
Durch die hartnäckige Weigerung des Senats, den ausgehandelten Vertrag zu unterschreiben, kam die ver.di-Bürokratie in die absurde Situation, ihre Mitglieder zu einem Streik für weniger Lohn mobilisieren zu müssen. Vieles spricht dafür, dass die ver.di-Bürokratie die Urabstimmung nur als Säbelrasseln verstanden hat. Ein Streik des öffentlichen Nahverkehrs hätte Berlin nämlich polarisieren können. Viele andere Berliner Betriebe sind zurzeit von Angriffen betroffen: die Unikliniken (Charité), das Bosch-Siemens-Hausgerätewerk, die Berliner S-Bahn,… Eine Zusammenführung all dieser Kämpfe wäre die Aufgabe der Stunde – und das, was weder der Senat noch die Gewerkschaftsführungen wollen.
Im begonnenen Bundestagswahlkampf passte ein Streik weder der SPD noch der PDS. So fand ein "Spitzengespräch" zwischen ver.di-Chef Bsirske und dem regierenden Bürgermeister statt – während die BVG-Firmenleitung schon den Einsatz von Polizei gegen bestreikte Busdepots ankündigte und die KollegInnen ihre Kampfbereitschaft durch eine hohe Beteiligung an der Urabstimmung zeigten. Am nächsten Morgen war der Streik abgeblasen: ver.di hat beim Lohnverzicht noch draufgepackt (statt 8% nun fast 10%) und eine Laufzeit bis 2020 vereinbart (Lohnerhöhungen können erst 2008 wieder verhandelt werden). Für diese Zeit werden "betriebsbedingte Kündigungen" ausgeschlossen – allerdings nur für KollegInnen die schon seit 1995 bei der BVG sind… und für Gewerkschaftsmitglieder. So kann die Bürokratie in Ruhe Kahlschlag bei den Löhnen betreiben, ohne fürchten zu müssen, dass ihr zu viele Mitglieder davonlaufen! Ob sich allerdings ein möglicher CDU-Senat an die Zusagen seines rot-roten Vorgängers halten will oder muss, ist zumindest unklar. Und auch ohne Kündigungen wird die Beschäftigtenzahl in den nächsten Jahren von 12500 auf 9500 sinken – bei gleich bleibender Belastung. Mit der Arbeitszeitverkürzung auf 36 Stunden werden gleichzeitig die Pausen verkürzt – so dass die Produktivität auf Kosten der KollegInnen weiter gesteigert wird.
Nach Redaktionsschluss hat eine nachträgliche Befragung der ver.di-Mitglieder zu dem Verhandlungsergebnis stattgefunden. Die ver.di-Bürokratie wird selbst diesen Tarifvertrag als "Erfolg" präsentieren. Von Anfang an wurde den Kolleginnen und Kollegen unter Berufung auf die EU-Nahverkehrsrichtlinie erzählt, es gebe keine Alternative zu dem Spartentarifvertrag. Es ist daher zu befürchten, dass er von der ver.di-Basis akzeptiert wird. Damit hätte ihr die Bürokratie eine weitere kampflose Niederlage beschert. Die KollegInnen in den Bussen, in den U-Bahnen und auf den Betriebshöfen können aber Lohnsenkungen und Arbeitsverdichtung nicht dauerhaft hinnehmen. Sie werden sich aus der kapitalistischen Logik befreien müssen, die ihnen einmütig von SPD, PDS und Gewerkschaftsführung vorgesetzt wird!

Der real existierende Kapitalismus
Europas größter Sanitärarmaturenhersteller Grohe wird sein Werk in Herzberg (Brandenburg) schließen und in seinen Werken in Hemer und Porta-Westfalica (Nordrhein-Westfalen) und Lahr (Schwarzwald) Personal abbauen. Insgesamt 1.233 Menschen verlieren damit ihren Arbeitsplatz. Das Unternehmen war 1999 von der Eigentümerfamilie für 900 Mio. Euro an die Finanzinvestoren BC Partners verkauft worden, die es im Jahr 2004 für 1,5 Mrd. Euro an die Texas Pacific Group und CSFB Private Equity weiterveräußerten. Die eigene Übernahme musste Grohe durch die Begebung einer zehnjährigen hochverzinslichen Anleihe über 335 Mio. Euro finanzieren, die jetzt zu Ergebnisproblemen führt(StZ 09.6.05)

Der IT-Dienstleister Siemens Business Services (SBS) will in seiner Münchner Zentrale die Kosten um 25 Prozent senken. Insgesamt sollen 500 Mio. Euro eingespart werden, um die Marge auf 5 bis 6 Prozent zu bringen. Deshalb werden verstärkt Zentren in Kanada, der Türkei und Indien ausgebaut. Bereits im Februar war der Abbau von 950 Stellen in Deutschland angekündigt worden. Im März wurde die Wartungstochter Sinitec verkauft und dort die Streichung von 600 von 1.100 Arbeitsplätzen bekannt gegeben(FTD 10.6.05)

Die italienische Großbank Unicredit will die Münchner Hypovereinsbank nach der Übernahme für 19,2 Mrd. Euro binnen drei Jahren integrieren. Der Fusion fallen 10.000 der konzernweit 127.000 Stellen zum Opfer, davon 1.800 in Deutschland. Die HVB hat hierzulande bereits 11.000 Stellen gestrichen und gerade ein Sparprogramm auf den Weg gebracht, das bis Ende 2006 weitere 2.300 Jobs kostet (StZ 13.6.05, FTD 14.6.05)

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