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Brasilien: Neuformierung auf der Linken

Von Joao Machado | 29.10.2005

Die politische Krise in Brasilien führt im Moment zu neuen Entwicklungen. In der Arbeiterpartei (PT) des Präsidenten Lula laufen gerade1  die zwei Durchgänge zur Neuwahl des Parteiführers, was nicht ohne Komplikationen abgeht.

Die politische Krise in Brasilien führt im Moment zu neuen Entwicklungen. In der Arbeiterpartei (PT) des Präsidenten Lula laufen gerade1  die zwei Durchgänge zur Neuwahl des Parteiführers, was nicht ohne Komplikationen abgeht.

Die politische Krise in Brasilien spitzt sich zu. Am 21. September hat der Präsident der Abgeordnetenkammer Severino Cavalcanti auf sein Mandat verzichtet, um nicht alle politischen Rechte zu verlieren. Damit ist er bereits der vierte Parlamentsabgeordnete, der in den letzten Wochen sein Mandat aufgibt. Daneben drohen Verfahren gegen siebzehn weitere, die wiederum Demissionen nach sich ziehen können.

Die Regierungspartei PT unter Lula steckt dabei am tiefsten in den Korruptionsskandalen. Vor diesem Hintergrund fand am 18. September der erste von zwei Direktwahlgängen zur Neubestimmung des Parteivorsitzenden der PT statt. So groß sind die Abnutzungserscheinungen, dass selbst der Kandidat des „Mehrheitslagers“ einräumt, es sei eine „Neubestimmung“ der PT vonnöten.

Die Ergebnisse des ersten Wahlgangs offenbaren, dass das „Mehrheitslager“ geschwächt, zugleich aber eine „Neuorientierung“ völlig unmöglich ist. Unter allen Kandidaten hat sich lediglich Plinio Sampaio von der christlichen Linken für den Bruch mit der Regierung Lula ausgesprochen. Valter Pomar von der Linken Gliederung und Raul Pont von der Sozialistischen Demokratie (DS) stehen der neoliberalen Wirtschaftspolitik der Regierung zwar kritisch gegenüber, verteidigen aber die Regierung. Die Wahlen zum Parteivorstand haben übrigens der bisherigen Leitung eine satte Mehrheit beschert: 42% für das „Mehrheitslager“, 5,8% für eine regierungsfreundliche Dissidentenliste und 11,5% für die PT-Bewegung, will heißen nahezu 60% für die Lula-Anhänger. Weniger als 40% entfielen auf die Linke in der PT, d.h. auf den Flügel in der DS, der weiter zur Regierung steht, die „linke Gliederung“, die christliche Linke und ein paar kleinere Strömungen. Damit sind wohl alle Spekulationen hinfällig, dass Raul Pont den Lula-AnhängerInnen erfolgreich die Stirn wird bieten können.
Übertritt zur PSOL
Wichtiger jedoch ist der Übertritt von einigen tausend Kadern der PT zur Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL) und namentlich von Plinio Sampaio, der nach seinem Bruch mit der PT gemeinsam mit einigen Abgeordneten aus dem Block der Parlamentslinken – besonders aus der DS – zur PSOL wechselte. Weitere Übertritte stehen unmittelbar bevor.
Am Samstag den 24. September haben anlässlich einer Veranstaltung mit über 1000 TeilnehmerInnen etwa zwei Drittel der DS-Mitglieder aus dem Bundesstaat Ceará einschließlich des Parlamentsabgeordneten Joao Alfredo sowie weiteren Kadern der PT ihren Beitritt zur PSOL erklärt. Tags drauf trafen sich mehrere Bezirke, die Sampaios Kandidatur unterstützt hatten, und erklärten gleichfalls ihren Übertritt: eine linke Strömung der DS aus Sao Paulo und anderen Bundesstaaten, eine oppositionelle Strömung in der Linken Gliederung, die Bewegung der sozialistischen Einheit und etliche Gewerkschaftskader. Für den 28. September sind Austritte in größerem Umfang in Porto Alegre im Staate Rio Grande do Sul geplant, die hauptsächlich von GenossInnen aus der DS initiiert sind.

Nach dem zweiten Wahldurchgang zur PT-Präsidentschaft am 9. Oktober wird eine neue Austrittswelle erwartet. Denn etliche GenossInnen wollten – wiewohl von der Unreformierbarkeit der PT überzeugt – noch ihre Solidarität mit Raul Pont bekunden, indem sie ihm ihre Stimme geben. Dieses Motiv ist durchaus nachvollziehbar, da Raul Pont trotz seiner Unterstützung für die Lula-Regierung auf eine langjährige Biographie als antikapitalistischer Linker zurückblicken kann. Dennoch steht der Austritt für diese GenossInnen fest, auch wenn die große Mehrheit der gegenwärtigen Parteilinken in der PT bleiben wird.
Die Reorganisation der brasilianischen Linken einschließlich der PSOL erreicht damit ein neues politisches Stadium.

aus rouge 29.9.05, Wochenzeitung der Ligue Communiste Révolutionnaire (fr. Sektion der IV. Internationale)
Übersetzung: MiWe

 1     Der Artikel wurde zwischen den beiden Wahlgängen verfasst. Der 2. Wahlgang zum Parteivorsitz am 10.10.05 erbrachte 48,6% für Raul Pont und 51,4% für den Kandidaten der Mehrheit

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