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Länder

Brasilien: Lula-Regierung weiter auf neoliberalem Kurs

Von D. Berger | 01.04.2005

Nach zwei Jahren Lula-Regierung kann es über den Charakter dieser Regierung und ihrer Politik keinen Zweifel geben. Dass sie im Kern von einer ArbeiterInnenmassenpartei getragen wird, ändert daran leider nichts. Ihre Politik geht seit dem letzten Jahr sogar noch weiter nach rechts.

 
Nähme mensch nur die Reaktionen der bürgerlichen Presse, der internationalen Institutionen wie des US-Imperialismus als Kriterium, so müssten einem schon allein deswegen erhebliche Zweifel kommen, ob diese Regierung überhaupt willens, ist eine Politik im Interesse der ArbeiterInnenklasse umzusetzen. Im Gegensatz etwa zu Chávez, der tatsächlich in Konfrontation zum Imperialismus agiert, loben die herrschenden Kreise in Brasilien wie auch v. a. der IWF die Politik Lulas.
Verschärfter Rechtskurs
In letzter Zeit wurde v. a. der offen neoliberale Flügel der Regierung um Finanzminister Palocci gestärkt. Dessen Politik ist hauptverantwortlich dafür, dass von den 10 Mio. versprochenen Arbeitsplätzen praktisch überhaupt keine geschaffen wurden. Inzwischen wird der nicht weiter erfolgende Anstieg der Arbeitslosenzahlen schon als Erfolg gewertet. Der Durchschnitt der Löhne ist in den letzten zwei Jahren gesunken.
Die Verschärfung des Rechtskurses kommt besonders mit der Entlassung Lessas, des Chefs der BNDES (Nationalbank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung) zum Ausdruck. Er ist Mitglied der PMDB und somit zwar kein Mitglied einer linken Partei, aber dennoch gehörte er in der Lula-Regierung (die auch ausgesprochen rechte Parteien umfasst) zum linken Teil – zum anti-neoliberalen Block. Lessa war in ständiger Konfrontation mit den zentralen Machtfiguren in Lulas Kabinett wie auch mit der Leitung der Nationalbank. Er wurde durch Guido Mantega ersetzt, einem ausgesprochenen Neoliberalen, der auf Private Public Partnership setzt (Thatcher lässt grüßen).
Zurückgetreten ist João Luiz Diboc Pinaud, Vorsitzender der „Besonderen Kommission zur Untersuchung politischer Todesfälle und des Verschwindens von Personen“. Er hatte die Regierung scharf dafür kritisiert, dass sie nicht bereit war, die Archive aus der Zeit der Diktatur zu öffnen. Gescheitert ist auch Umweltministerin Marina Silva.
Es gab noch weitere Rücktritte, die jeweils mit einer besonderen Situation zusammenhingen, aber eines war ihnen gemeinsam: Der sich verschärfende neoliberale Charakter der Lula-Regierung engt den Raum für politische Debatten ein. Mehr und mehr Posten werden von rechten Persönlichkeiten besetzt.
Aber auch außenpolitisch geht der Kurs verschärft nach rechts. In der Welthandelsorganisation (WTO) hat Brasilien im Gegensatz zur Position, die es noch 2003 in Cancun eingenommen hatte, eine Politik der Zusammenarbeit mit den USA eingeschlagen. Und: Brasilianische Truppen bleiben auf Haiti stationiert.

Wahlkampagne 2006
Lula hat bereits seine Schlussfolgerungen aus dem Rückschlag bei den Kommunalwahlen gezogen: In seiner vorbereitenden Kampagne für die Präsidentschaftswahlen 2006 spricht er bereits von einer Koalitionsregierung (v. a. mit der PSDB) und einer Umbildung des Kabinetts. Da die Regierung aber schon von Anfang an eine Koalitionsregierung war, zielt diese Aussage auf nichts anderes als auf einen erweiterten Spielraum für die rechten Parteien. So könnte z. B. die PP (die rechteste aller größeren Parteien), die bisher die Regierung unterstützt hat, aber nicht in ihr vertreten war, einen Kabinettsposten bekommen.
Für die Präsidentschaftswahlen zeichnet sich zurzeit eine Polarisierung lediglich auf parteipolitischer Eben ab, und zwar zwischen der PT und der PSDB. Unterschiedliche Politikansätze treten dabei nicht hervor. Die Kräfte der radikalen Linken in Brasilien sind entweder sehr schwach und marginal oder aber sie sind unschlüssig, wie sie sich gegenüber der PT verhalten sollen. Bestes Beispiel dafür ist die MST, die Bewegung der Landlosen, die bisher (noch) nicht mit der Regierung gebrochen hat. Sie fordert zwar den Rücktritt des Zentralbankpräsidenten und des Finanzministers, aber sie hat insgesamt der Regierung noch nicht die Unterstützung entzogen.
Leider ist auch die DS (Sozialistische Demokratie, brasilianische Sektion der IV. Internationale) von der verbreiteten Verunsicherung in der brasilianischen Linken erfasst worden. Im Gegensatz zur MST war die DS eine der Ursprungskräfte, die zur Entstehung und zum Aufbau der PT, dieser größten Arbeiterpartei in Lateinamerika, beigetragen hat. Was für dieses Land einen gewaltigen historischen Fortschritt bedeutete. Viele GenossInnen der DS haben im Verlauf dieses Prozesses in den 80er und 90er Jahren eine bedeutende Rolle gespielt, aber sie konnten die noch in den 90er Jahren einsetzende Rechtsentwicklung nicht verhindern.
Die Leitungsmehrheit der DS unterstützt immer noch die Regierung und einer ihrer Mitglieder (Miguel Rossetto) ist Minister für landwirtschaftliche Entwicklung. Menschlich ist die Schwierigkeit, die sich für diese GenossInnen mit einem Verlassen „ihrer Regierung“ aufgetan hat, verständlich, steckt doch sehr viel Herzblut im Aufbau dieser Partei. Dennoch, um es mit den (abgewandelten) Worten Spinozas und Trotzkis auszudrücken: Wer nicht in die Sackgasse geraten will, darf nicht weinen und nicht lachen, sondern muss versuchen zu verstehen. Eine nüchterne Analyse der Verhältnisse in Brasilien, v. a. der politischen Differenzierungsprozesse der letzten beiden Jahre hat einen Teil (die Minderheit) der GenossInnen der brasilianischen Sektion zu zwei wesentlichen Schlussfolgerungen geführt. Erstens: Es muss eine neue politische Kraft aufgebaut werden, die nicht an die Regierungspolitik gebunden ist und die sich klar auf die Seite der ArbeiterInnenklasse stellt und keine Zugeständnisse an das nationale und internationale Kapital und seine Institutionen macht. Maßstab müssen die Interessen der Lohnabhängigen und armen Bauern sein.
Zweitens: Eine solche antikapitalistische Kraft muss mit allen gemeinsam aufgebaut werden, die in Opposition zur Lula-Regierung stehen, ganz gleich, ob sie sich heute (noch) in der PT befinden oder schon außerhalb sind.

P-SoL
Ein wesentliches Instrument für den Aufbau einer solchen Kraft ist die im letzten Jahr gegründete P-SoL (Partei für Sozialismus und Freiheit), die sich aus verschiedenen Strömungen zusammensetzt. Eine Strömung darin ist die Minderheit der brasilianischen Sektion der IV. Internationale um ihren führenden Genossen João Machado und die aus der PT ausgeschlossene Senatorin Heloisa Helena. Sie ist im Land außerordentlich populär und soll deswegen für die P-SoL bei den Präsidentschaftswahlen gegen Lula antreten. Dies wird keine einfache Angelegenheit werden, denn diese neue Formation hat sich erst vor einem Jahr gebildet und fing fast bei Null an. Immerhin hat sie heute bereits mehrere tausend Mitglieder. Für die Zulassung als Partei musste die P-SoL 340 000 Unterschriften sammeln, was sie geschafft hat!
Wir sind glücklich, dass ein bedeutender Teil der brasilianischen Sektion sich ganz klar von der Regierung Lula distanziert hat und zum Aufbau einer neuen antikapitalistischen Kraft aufruft. Ein anderer Teil der Organisation DS verfolgt einen anderen Kurs und „befürchtete“ eine eindeutige Stellungnahme des Internationalen Komitees der IV. Internationale, das Ende Februar tagte (siehe dazu die Resolution des IK
auf Seite 20 in dieser Avanti) und ist zu dieser Sitzung gar nicht erst erschienen. Aus ihren Stellungnahmen schließen wir, dass diese GenossInnen in nächster Zeit der IV. Internationale den Rücken kehren werden. Wir bedauern den Verlust dieser GenossInnen für die brasilianische Sektion, aber eine klare und eindeutige Stellungnahme gegenüber einer bürgerlichen Regierung ist unumgänglich für die Mitgliedschaft in der IV. Internationale.

Lula und die Gewerkschaften
Eine der wesentlichen Stützen der PT-geführten Lula-Regierung ist die Führung des Gewerkschaftsdachverbandes CUT. Diese Führung hat sich weder gegen die Rentenreform gestellt, noch gegen die Gewerkschaftsreform – Bildung nationaler Gewerkschaften mit Weisungsbefugnis nach unten, so dass die Strukturen am Ort nur noch „Verwaltungsstellen“ sind. Sie sind also ohne lokale Autonomie, was die Stellung der Gewerkschaftsbürokratie stärkt – noch gegen die Universitätsreform. Die 74 000 Mitglieder zählende ANDES (nationale Vereinigung der Lehrkräfte der höheren Erziehung), die sich gegen all diese neoliberalen Reformen wandte, ist deshalb aus der CUT ausgetreten (13. Kongress der ANDES vom 24.2. -1.3.05 in Curitiba).
Mit der Universitätsreform wird dem Kapital der Zutritt zu den staatlichen Universitäten verschafft und die Privatunis bekommen zusätzlich Kapital über das Programm „ProUni“, mit dem Stipendien an Privatunis geschaffen werden sollen. ANDES wollte, dass dieses Geld für Stipendien an den staatlichen Universitäten ausgegeben wird.
Seit etwa einem Jahr sind mehrere Gewerkschaften mit insgesamt ca. 5 – 8% der Gesamtmitgliedschaft aus dem Dachverband CUT ausgetreten. Die Mehrheitsströmung Articulação hält noch fest zur Lula-Regierung
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