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Bolivien: Historischer Sieg von Evo Morales und MAS

Von Thadeus Pato | 01.02.2006

„Das Ausmaß unseres Siegs hat uns selbst überrascht. Ich bin gerührt, und ich danke allen sozialen Bewegungen, die gekämpft haben, damit wir uns unsere natürlichen Ressourcen zurückholen, ich danke allen, die sich für unsere Rechte eingesetzt und dafür gekämpft haben, in Bolivien den Lauf der Geschichte zu verändern.“ So lauteten am Sonntagabend die ersten Worte des neuen bolivianischen Präsidenten Evo Morales.

„Das Ausmaß unseres Siegs hat uns selbst überrascht. Ich bin gerührt, und ich danke allen sozialen Bewegungen, die gekämpft haben, damit wir uns unsere natürlichen Ressourcen zurückholen, ich danke allen, die sich für unsere Rechte eingesetzt und dafür gekämpft haben, in Bolivien den Lauf der Geschichte zu verändern.“

So lauteten am Sonntagabend die ersten Worte des neuen bolivianischen Präsidenten Evo Morales. Morales, der im Lauf seines Lebens Lama-Züchter, Trompeter und Coca-Anbauer war, wurde am 18. Dezember als erster Indígena ganz Lateinamerikas zum Präsidenten gewählt.
51 Prozent
Die an diesem Sonntag in La Paz und im Alto herrschende Ruhe war ein wenig trügerisch. Denn es ist zweifellos ein denkwürdiger Abend, den die BolivianerInnen erlebten. Der unerwartete Durchmarsch der Bewegung zum Sozialismus (MAS) bei den Wahlen bescherte dessen Führer Evo Morales 51 Prozent der Stimmen. Dieses beispiellose Ergebnis bedeutet auch das Ende von 25 Jahren „Paktdemokratie“, mit anderen Worten der Regelung, dass bei Bedarf ein zweiter Wahldurchgang indirekt im Kongress stattfindet und dafür eine absolute Mehrheit erforderlich ist, was im Lauf der kurzen Geschichte der bolivianischen Demokratie systematisch die Regierungsbündnisse zwischen neoliberalen Parteien begünstigte.

Mit diesem Ergebnis hat die MAS also die Gewähr, allein regieren zu können. Was noch nicht heißt, dass dies ein leichtes Spiel sein wird. Zwar ist der Abstand zwischen Morales und seinen Konkurrenten für die Präsidentschaft enorm und die Niederlage seiner Gegner könnte für diese das politische Aus bedeuten. Jorge „Tuto“ Quiroga, der Kandidat des liberalen rechten Wahlbündnisses Demokratische Soziale Macht (PODEMOS) kam auf 31 % der Stimmen, womit er die Rechnung für seinen polarisierenden Wahlkampf serviert bekommt. Der Mitte-Rechts-Kandidat Samuel Doria Medina von der Nationalen Einheit (UE), der potentielle Sieger im August, erhielt sogar nur 8 % der Stimmen. Für beide ist die Niederlage der Rechten vor allem ihre persönliche Niederlage und ihre Glaubwürdigkeit ist stark beschädigt.
Die einzig positive Nachricht im „neoliberalen“ Lager ist das überraschende Überleben der Nationalistischen Revolutionären Bewegung (MNR), obwohl ihr die Hauptverantwortung für die Massaker während des ersten „Gaskriegs“ im Oktober 2003 angelastet wird. Mit dem politisch weitgehend unbekannten Kandidaten Michiaki Nagatani, Sohn japanischer Einwanderer, kam sie insbesondere dank einer bedeutenden Mobilisierung in ihren traditionellen Hochburgen wie dem Departement Beni auf 7 % der Stimmen.
Versprechen einlösen!
Diese Ergebnisse bedeuten jedoch nur auf den ersten Blick eine totale Niederlage, denn die Rechte behält weiterhin die Möglichkeit, Initiativen der zukünftigen MAS-Regierung zu blockieren. Die MAS verfügt tatsächlich nur über eine relative Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Im Senat erlaubt die durch die territoriale Vertretung bewirkte Verzerrung dem PODEMOS-Bündnis sogar, Morales die Stirn zu bieten, da beide je 13 SenatorInnen haben und die MNR mit einem Senator dem konservativen, neoliberalen Lager zu einer Mehrheit verschafft. Und auch bei den Präfekturwahlen, die ebenfalls am Sonntag stattfanden, kam die MAS nur auf 2 oder 3 der 9 Departementspräfekturen (Oruro, Potosi und Chuquisaca), während die anderen an die Rechten gingen. Das heißt, dass der Handlungsspielraum der zukünftigen Regierung auf regionaler Ebene sehr klein sein könnte, wie der Sieg von Ruben Costas, einem radikalen Anhänger regionaler Autonomie, in Santa Cruz zeigt.
„Evo muss nun seine Versprechen einlösen“, meinte am Sonntagabend ein MAS-Aktivist im Alto. Der von der Basis der Partei ausgehende Druck ist vielfältig, und die neu gewählten Abgeordneten wie Maria Esther Uduaeta betonen die Bedeutung, die der „Fortsetzung des permanenten Dialogs mit allen sozialen Bewegungen“ zukommt, seien diese in der MAS oder nicht.

Die Erwartungen sind hoch gesteckt, insbesondere was die Verstaatlichung der Erdgasvorkommen und die Durchführung einer Verfassunggebenden Versammlung im August 2006 betrifft, und es ist zu vermuten, dass die ersten Tage der neuen Regierung durch die Annahme symbolischer Maßnahmen gekennzeichnet sein werden. „Das Ziel ist, mit dem neoliberalen Modell und der wirtschaftlichen Globalisierung Schluss zu machen. Dafür muss das Dekret 21060 aufgehoben werden, das nichts anderes als ein Trojanisches Pferd ist“, meint etwa der ehemalige Bergarbeitergewerkschafter Julio Colque. Für Evo Morales selbst, der sich am Sonntagabend von Cochabamba aus zu Wort meldete, geht es nicht nur um einen ökonomischen Kampf. Die Wahl eines Indígenas an die Spitze der Republik sei nur sinnvoll, wenn sie erlaube, „mit dem Kolonialstaat aufzuräumen, in dem wir leben, und wenn dieser neue Staat eine Stütze im Kampf gegen jede Form des Rassismus ist“.
Bedeutende Wende
Die Wahl von Evo Morales bedeutet nicht nur für Bolivien, sondern für den gesamten lateinamerikanischen Kontinent eine bedeutende Wende. Morales zufolge „sind wir im dritten Jahrtausend, dem Jahrtausend der Völker und nicht des Empire. Unser Sieg ist auch der Sieg der kämpfenden Völker.“ Für den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez hat „Bolivien eine neue Seite in seiner Geschichte geschrieben (…), die ein Ende der Armut und den Beginn eines Entwicklungsweges in Aussicht stellt“. Zweifellos bedeutet die Wahl von Morales zum Staatschef Boliviens eine potenzielle Stärkung für Chávez‘ Projekt einer Bolivarianischen Interamerikanischen Alternative (ALBA), zu der formal zurzeit nur Venezuela und Cuba zählen.

Auf der anderen Seite gibt es viele Fragezeichen, was die zukünftige Haltung der Vereinigten Staaten gegenüber der neuen MAS-Regierung betrifft. Bisher hat die Botschaft der Vereinigten Staaten zwar eine moderate Haltung eingenommen, doch die Erklärungen des ehemaligen Beamten im State Departement, Otto Reich, zeugen von der feindlichen Einstellung der Bush-Regierung gegenüber dem Cocabauernführer, in dem die Vereinigten Staaten zumeist nichts anderes sahen als einen „Drogen-Terroristen“, weil er den straffreien Anbau von Coca-Pflanzen befürwortet. Sonntagabend meinte Reich jedenfalls, er hoffe, dass Morales nicht in die Praxis umsetzen werde, was er während des Wahlkampfs gesagt habe, denn „das wäre sehr schlecht für Bolivien. (…) Bolivien kann ohne den Rest der Welt nicht leben. (…) Die Vereinigten Staaten kn&u
uml;pfen ihre Hilfe an Bedingungen, und wenn die Regierung dieses Landes den individuellen Freiheiten, den Menschenrechten und den bürgerlichen Rechten feindlich gegenübersteht, könnten die Vereinigten Staaten diesen Weg nicht weiter verfolgen.“ Die ersten Tage dieser neuen Regierung, die aus den Volks- und Indígena-Bewegungen Boliviens hervorgegangen ist, könnten offensichtlich unruhig werden.

Aus dem Französischen: Tigrib

* Do Alto ist angehender Politikwissenschaftler und Inprekorr-Korrespondent in Bolivien.

 

Die Linke in Bolivien
Die bolivianische radikale Linke ist extrem zersplittert und hat auf Massenebene kaum Einfluss. Ein Teil der in den siebziger Jahren starken linken Organisationen haben sich entweder aufgelöst oder sind, wie z.B. der MIR (Bewegung der rev. Linken), ins bürgerliche Lager abgedriftet.
Das MAS (Movimiento al Socialismo, Bewegung für den Sozialismus), die Gruppierung des neuen Präsidenten Evo Morales, entstand Mitte der 90 er Jahre und hat sich in den letzten Jahren eher nach rechts entwickelt. Sowohl Morales als auch sein Vizepräsident, ein ehemaliger Guerillero, treten derzeit für eine Art von „nationalem Kapitalismus“ ein und unterhalten enge Verbindungen zum bolivianischen Präsidenten Chavez.
Das MIP (Movimiento Indígena Pachacuti), angeführt von Felipe Quispe, ist eine Indioorganisation, deren Programm hauptsächlich die Rückkehr zu den angestammten indigenen Selbstverwaltungsstrukturen propagiert und das Selbstbestimmungsrecht der indigenen Gemeinschaften fordert.
In den Auseinandersetzungen der letzten Jahre arbeitete das MIP eng mit der COB (Central Obrera Boliviana, bolivianischer Gewerkschaftsdachverband), die praktisch alle Gewerkschaften außer denen der LandarbeiterInnen organisiert und deren Vorsitzenden Jaime Solares (einem erklärten Marxisten) zusammen und stand dabei in der Frage des Generalstreiks auf dessen Seite gegen das MAS.
Daneben gibt es eine ganze Zahl von revolutionären Kleingruppen und „übriggebliebenen“ Kleinparteien: bspw. die PCB (Partido Comunista Boliviano), die Kommunistische Partei Boliviens, die bis zur Auflösung der Sowjetunion sehr moskautreu war und immer noch mit der deutschen DKP verbunden ist; die PC-ML (Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei), eine mit der deutschen MLPD verbundene Kleingruppe; und auf trotzkistischer Seite die LOR-CI (Revolutionäre Arbeiterliga für die Vierte Internationale), eine exmorenistische Gruppierung, die der Trotzkistischen Fraktion – 4. Int. Angehört; die POR (Revolutionäre Arbeiterpartei) aus der Strömung Comité de Enlace por la Reconstrucción de la IV Internacional, CERC“ und schließlich Socialismo o Barbarie (Sozialismus oder Barbarei) von der gleichnamigen internationalen Strömung.

 

 

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