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Länder

Bolivien: Die Reaktion hält nichts von Demokratie – wie immer

Von Thadeus Pato | 01.10.2008

Eigentlich war Evo Morales der große Sieger: Nach dem Konflikt mit den nach Autonomie strebenden Departements des sogenannten Halbmondes (die entsprechenden Provinzen ähneln auf der Landkarte gemeinsam einem Halbmond) hatte er ein Referendum über seinen Amtsverbleib abhalten lassen und es mit 67 % der Stimmen gewonnen. Aber die Präfekten von Tarija, Santa Cruz, Beni, Pando und Chuquisaca prob(t)en den Aufstand.

Eigentlich war Evo Morales der große Sieger: Nach dem Konflikt mit den nach Autonomie strebenden Departements des sogenannten Halbmondes (die entsprechenden Provinzen ähneln auf der Landkarte gemeinsam einem Halbmond) hatte er ein Referendum über seinen Amtsverbleib abhalten lassen und es mit 67 % der Stimmen gewonnen. Aber die Präfekten von Tarija, Santa Cruz, Beni, Pando und Chuquisaca prob(t)en den Aufstand.

Hintergrund des Konfliktes ist die schlichte Tatsache, dass Morales die verarmte, vorwiegend indigene Bevölkerung des dicht besiedelten Hochlandes in Zukunft stärker am Reichtum Boliviens beteiligen will. Früher war es das Hochland, das mit seinen Bodenschätzen, insbesondere Silber, die Taschen der Kolonialmächte und später der weißen Oligarchie füllte. Nach der Erschöpfung der Minen sind es nun die Tieflandprovinzen, die mit Öl, Gas und fruchtbaren Anbaugebieten den größten Teil des Sozialproduktes generieren. Beherrscht werden die genannten Provinzen von der alten weißen Oligarchie, die nicht im Traum daran denkt, ihre Privilegien beschneiden zu lassen.

Die verfassunggebende Versammlung, die eine neue Konstitution ausarbeitete, hatte diese im letzten Dezember mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit verabschiedet. Die rechte Opposition boykottierte damals die Abstimmung. In der neuen Verfassung ist eine Landreform vorgesehen, die Großgrundbesitz auf eine Größe von maximal 5 000 oder 10 000 Hektar begrenzt. Ungenutzte Flächen sollen an landlose Bauern verteilt werden. Außerdem sollen erstmals auf regionaler Ebene auch die Stellvertreter der Präfekten sowie die einflussreichen Berater der Gebietsverwaltungen direkt gewählt werden. Damit wird die ausgeprägte Vetternwirtschaft bei der Ernennung der Berater abgeschafft und mit der Direktwahl die Dezentralisierung verstärkt. Darüber hinaus werden die Rechte der indigenen Bevölkerung, die in Bolivien in der Mehrheit ist, gestärkt, in Abkehr von der wirtschaftsliberalen Tradition des Landes die Nationalisierungen der Gas- und Ölindustrie abgesichert und eine Umverteilung der Einnahmen zugunsten der Armen in Angriff genommen.

Im Dezember soll eine Volksabstimmung über die Verfassung stattfinden, und diese wollten die Präfekten des „Halbmondes“ verhindern, indem sie ihr mit ihren illegalen Autonomiereferenden in ihren Departements zuvorkamen. Aber Morales reagierte umgehend mit dem Referendum über seinen Amtsverbleib – und fuhr einen auch von ausländischen Beobachtern bestätigten überwältigenden Sieg ein.
Die Rechte probt den Aufstand
Aber die Rechte gab sich nicht geschlagen. Und so wurde mit tätiger Mithilfe des US-amerikanischen Botschafters (der daraufhin prompt von Morales des Landes verwiesen wurde) nach dem für die Autonomisten verlorenen Referendum ab 3. September die Auseinandersetzung gezielt eskaliert. Von teils aus dem Ausland importierten Schlägertrupps wurde ein Flughafen an der Grenze zu Argentinien besetzt, die Gaslieferungen nach Argentinien unterbrochen und in der Provinz Pando kam es durch rechtsgerichtete Banden zu Plünderungen und zur Ermordung von unbewaffneten Campesinos, die für Morales demonstrieren wollten. Die Regierung verhängte daraufhin den Ausnahmezustand über Pando, flog Militär ein, das den Flughafen sicherte, und erließ einen Haftbefehl gegen den Provinzgouverneur. Trotzdem gingen die gezielt lancierten Unruhen weiter, es kam zu weiteren Toten auf beiden Seiten. 30 wurden inzwischen gezählt.

Aber in zwei Punkten haben sich die aufständischen Provinzfürsten bisher getäuscht:

  • •    Die Armee steht offensichtlich auf Seiten von Morales;
  • •    Hilfe aus dem Rest von Lateinamerika ist für die Sezessionisten auch nicht in Sicht.

Die Präsidentinnen Bachelet aus Chile und Kirchner aus Argentinien luden sofort zum Krisengipfel ein und alle umliegenden Regierungen stellten sich eindeutig auf die Seite von Morales – aus nicht ganz uneigennützigen Gründen, denn ein Präzedenzfall in Bolivien könnte auch in den übrigen Ländern zu Sezessionsgelüsten in den reicheren Landesteilen führen…. Venezuela wies ebenfalls den US-Botschafter aus und der honduranische Präsident verschob aus Solidarität die Akkreditierung des neuen US-Gesandten.
Suche nach Kompromissen
Dass auch den Präfekten dämmerte, dass sie sich verrechnet hatten, zeigte sich, als der Präfekt von Tarija, Cossio, sich am 13.9. stellvertretend für seine Kollegen aus den Departements Santa Cruz, Beni, Pando und Chuquisaca in Verhandlungen mit Vizepräsident Garcia begab. „Die erste Aufgabe, die wir dem Präsidenten auferlegen werden, ist es, das Land zu befrieden, und wir hoffen, dabei mit ihm zusammenzuwirken“, verkündete Cossio vor dem Treffen. Dass Morales das wörtlich nahm und nach längerer Suche die Armee den Präfekten von Pando, Leopoldo Fernandez, am 16.9. verhaftete und nach La Paz schaffte, hat er sicher nicht erwartet. Trotzdem ist Morales bemüht, einen Kompromiss mit den oppositionellen Präfekten zustande zu bringen.

Auf dem von Bachelet und Kirchner einberufenen Krisengipfel in der Moneda, dem Regierungspalast von Santiago de Chile, wurde dann am 15.9. Morales einhellig der Rücken gestärkt. Die neun Präsidenten der Mitgliedsländer der Unión de Naciones Suramericanas (UNASUR) stellten sich hinter die Regierung von Evo Morales.

Nun werden am 25.9. in Cochabamba Gespräche beginnen. Man einigte sich auf Verhandlungen, um die Konflikte auf friedliche Weise beizulegen. Eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnete die Regierung von Morales mit dem Vertreter der abtrünnigen Departements, dem Präfekten des Departements Tarija, Mario Cossío. An diesen Gesprächen sollen auch internationale Beobachter und Vertreter der Kirchen teilnehmen. Die Bevölkerung unterstützte Morales auf ihre Weise: In La Paz gingen Zehntausende auf die Straße, um gegen die separatistischen Provinzen zu demonstrieren. Campesinos haben aus Protest Blockaden von Zufahrtswegen nach Santa Cruz durchgeführt. Die fünf Provinzpräfekten haben nun erklärt, die Streiks abzubrechen, Morales wurde aufgefordert, für die Beendigung der Blockaden zu sorgen.
Wie geht es weiter?
Die Auseinandersetzung ist längst nicht entschieden. Die ökonomische Macht der Rechten im Lande ist ungebrochen und durch die grassierende Korruption landet auch weiterhin ein großer Teil der eigentlich für den Staat bestimmten Einnahmen in den Taschen der Oligarchie, die daraus unter anderem die Schlägerbanden bezahlte, die
die inzwischen 30 Toten auf dem Gewissen haben. Morales wandelt auf einem schmalen Grat. Wenn er der Rechten zu weitgehende Zugeständnisse macht, verliert er den Rückhalt seiner Basis, anderenfalls riskiert er einen erneuten Konflikt. Aber um den wird er früher oder später sowieso nicht herumkommen. Erst wenn er der Oligarchie ihre ökonomische Grundlage durch Enteignung und Umverteilung entzieht, wird er die Bedrohung endgültig abwenden können. Die Rechte wartet nur auf die nächste günstige Gelegenheit. Die derzeitige Situation ist nur eine Atempause.

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