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Länder

Bewegung in Venezuela

Von Carla | 01.09.2005

Vom 07. bis  16. August fanden in Caracas die 16. Weltfestspiele statt. Nur ein Grund den Blick wieder einmal auf die bolivarianische  Republik zu richten. Ohnehin ist es in der bürgerlichen deutschen Presse seit den gescheiterten Putschversuchen und dem Referendum vor einem Jahr, das eindeutig zugunsten Chávez entschieden worden ist, recht still um Venezuela geworden.

Venezuela befindet sich in einem Prozess, der von seinen ProtagonistInnen als bolivarianische Revolution bezeichnet wird. Die bisherige Entwicklung zeichnet sich durch – zwar unterschiedlich stark vollzogene, doch aber auf allen Bereichen vorhandene – Brüche mit dem alten Regime aus, die auf sozialer, ökonomischer und politischer Ebene vollzogen worden sind. Besonders charakteristisch für den Prozess ist die hohe Beteiligung vor allem der armen Bevölkerungsschichten.
Die Bezeichnung des Staates als partizipative und protagonistische Demokratie scheint keine bloße Worthülse, sondern praktisch umgesetzt zu werden. Sowohl in den ãbarriosÒ (den Armenvierteln der Städte) als auch auf dem Land halten Menschen Versammlungen ab, um gemeinsam über ihre Perspektiven zu diskutieren. Der Staat unterstützt die Organisierung der Menschen dadurch, dass er beispielsweise gemeinsam ausgearbeitete Pläne zur Ersetzung von Wellblechhütten durch Steinhäuser finanziert. Weitere Verbesserungen der Lebenssituation fanden auch auf gesundheitspolitischer Ebene statt. Im Rahmen des Programms „barrio adentro“ (hinein ins Viertel) wurde ein weites Netz medizinischer Versorgung gespannt. Sinn dieses Programms ist es, dass die Leute nicht lange Strecken zurücklegen müssen, um betreut zu werden, sondern dass sie ÄrztInnen bei sich in der Nachbarschaft antreffen. Mehrere tausend kubanische Fachkräfte beteiligen sich an diesem Programm. Zu einer realen Verbesserung der Lebensumstände trägt außerdem eine breit angelegte Alphabetisierungskampagne bei, über 1 Millionen Menschen haben in diesem Rahmen bisher lesen und schreiben gelernt. Die Liste sozialer Projekte, die von der Regierung unterstützt werden, ist lang. So ist es nicht verwunderlich, dass Präsident Chávez in der Bevölkerung weiterhin Rückhalt erfährt.

Kritik an Chávez
Doch gerade die stärksten BefürworterInnen von Chávez sind seine härtesten KritikerInnen. In Venezuela ist ein Prozess in Gang gekommen, der glücklicherweise nicht auf eine Person ausgerichtet ist. Es ist noch lange nicht geklärt, wer sich in diesem Prozess durchsetzen wird. Die VertreterInnen einer Sozialdemokratie, die zwar die neoliberale Ausrichtung des Kapitalismus, nicht aber seine Wurzeln bekämpfen wollen? Oder wird eine tatsächlich sozialistische Entwicklung stattfinden? Diese Frage wird sich nicht darüber klären lassen, welche Bezeichnung man seiner Politik gibt. Es bleibt abzuwarten, ob der Kampf gegen den Großgrundbesitz entschlossen geführt wird. War Chávez in diesem Punkt lange Zeit mehr als zögerlich, so hat er dieses Jahr endlich einen wichtigen Schritt unternommen. Im Januar kündigte der Präsident an, nicht mehr nur staatliches Land zu verteilen, sondern vom verfassungsmäßigen Recht Gebrauch zu machen, auch Enteignungen vorzunehmen, wenn mehr als 80 % dieses Agrarlandes nicht produktiv genutzt wird. Bisher besteht der „Kampf“ vor allem darin, dass geklärt wird, ob die Großgrundbesitzer formal rechtmäßig zu ihrem Besitz gekommen sind. In diesem Fall wäre der Schritt der Enteignung möglicherweise zu umgehen. In einem Land jedoch, in dem weiterhin 5 % der Bevölkerung über 75 % des Bodens verfügen, muss entschiedener vorgegangen werden. Das verlangen auch die VertreterInnen der nationalen Bauernfront Ezequiel Zamora (FNCEZ). Sie haben damit begonnen Land zu besetzen und fordern dabei die Unterstützung durch die Regierung. Im Moment müssen sie sich gegen die brutal vorgehenden Großgrundbesitzer alleine verteidigen. Das traurige Resultat sind über 100 ermordete AktivistInnen in den letzten Jahren. Dass die FNCEZ auf die Morde nicht länger nur mit Appellen reagiert, sondern nun selbst zu den Waffen greift ist verständlich, sie haben unsere volle Solidarität verdient.
El pueblo unido jamas será vencido!

1  Die Bezeichnung „bolivarianisch“  bezieht sich auf den lateinamerikanischen Unabhängigkeitskämpfer Simón Bolivar (1783-1830). Den Zusatz bolivarianisch trägt die Republik seit der Verfassungsänderung 1999

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