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Betrieb & Gewerkschaft

Betriebsratswahlen 2014: Kein Thema für Linke?

Von Heinrich Neuhaus | 01.02.2014

Betriebliche und gewerkschaftliche Themen sind nur für eine Minderheit der Linken aller Schattierungen von realer Bedeutung. Dies ist sicherlich ein Reflex auf den Rückgang ihrer Aktivitäten in diesen Bereichen – und auf das Mantra der Herrschenden vom Ende der Geschichte und damit der ArbeiterInnenbewegung.

Betriebliche und gewerkschaftliche Themen sind nur für eine Minderheit der Linken aller Schattierungen von realer Bedeutung. Dies ist sicherlich ein Reflex auf den Rückgang ihrer Aktivitäten in diesen Bereichen – und auf das Mantra der Herrschenden vom Ende der Geschichte und damit der ArbeiterInnenbewegung.

Auch die vom 1. März bis 31. Mai 2014 stattfindenden Betriebsratswahlen sind in der veröffentlichen Meinung kaum ein Thema. Dabei sind sie vielleicht die wichtigsten Wahlen dieses Jahres für die arbeitende Klasse.

Wahlberechtigt sind alle zu einem Betrieb (mit mindestens 5 Beschäftigten) gehörenden „Arbeitnehmer“ ohne Leitungsfunktion – auch KollegInnen im Außendienst sowie LeiharbeiterInnen, die seit mindestens drei Monaten im Betrieb sind. Kandidieren dürfen nur Beschäftigte, die dem Betrieb seit mindestens sechs Monaten angehören.

Eigentlich ist die alle vier Jahre stattfindende Betriebsratswahl gesetzlich geschützt. Das regelt der Paragraph 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Ein Unternehmen darf die Wahl nicht be- oder gar verhindern.

Betriebsräte sind demokratisch gewählt und haben einklagbare Rechte. Trotz aller Beschränkungen des BetrVG ist eine Belegschaft mit Betriebsrat besser aufgestellt als eine ohne. In der Regel sind in Betrieben ohne Betriebsrat die Arbeitsbedingungen schlechter und das Einkommen niedriger.
„Mitbestimmung für Betriebsräte“
Aus taktischen Gründen forderte die SPD vor den Bundestagswahlen mehr „Mitbestimmung für Betriebsräte“, etwa bei Leiharbeit und Werkverträgen. Im Koalitionsvertrag ist davon bezeichnenderweise nichts angekommen.

Eine Ausdehnung von (Veto-)Rechten für Betriebsräte ist zweifelsohne sinnvoll. Sie könnten dann die Interessen von Belegschaften gegenüber dem Kapital besser vertreten. Aber selbst eine grundlegende gesetzliche Ausweitung der Rechte der Betriebsräte hätte nur begrenzte Auswirkungen. 
Warum das so ist, zeigte ein Blick auf die Betriebe. Die meisten sind betriebsratsfreie Zonen. Etwa 91 % der betriebsratsfähigen Betriebe in der Privatwirtschaft verfügen über keinen Betriebsrat. Es sind vor allem die kleineren Betriebe, in denen kein Betriebsrat gewählt wird.

Anders dargestellt: Nur 43 % der KollegInnen in der Privatwirtschaft in Westdeutschland können sich an einen Betriebsrat wenden, in Ostdeutschland sind es sogar nur 36 %.
Betriebsrat nicht verpflichtend
Einen Betriebsrat gibt es erst dann, wenn die wahlberechtigten KollegInnen oder ihre Gewerkschaft dies wollen und auch durchsetzen.
Früher war das anders. Dem Betriebsrätegesetz von 1920 zufolge, dem Vorläufer des geltenden Betriebsverfassungsgesetzes von 1952 (mit Änderungen von 1972 und 2001), war ein Betriebsrat für alle Betriebe (ab 50 Beschäftigten) ein Muss. Im Öffentlichen Dienst gilt diese Regelung auch heute noch – für die Personalräte, das dortige Pendant zu Betriebsräten.

Organe der deutschen Unternehmensverfassung (Aufsichtsräte) sind ebenfalls – im Unterschied zu denen der Betriebsverfassung – zwingend  einzurichten. Die „Mitbestimmung“ in Aufsichtsräten ist gesetzlich vorgeschrieben, wenn die Voraussetzungen (Größe und Rechtsform des Unternehmens) erfüllt sind.
Betriebsräte vorschreiben?
Es gibt nun eine bisher randständige Diskussion über die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes. Betriebsratswahlen und Betriebsräte sollten für alle Betriebe ab der gesetzlichen Mindestgröße verpflichtend sein.

Das würde KollegInnen, die die Initiative zur Bildung von Betriebsräten ergreifen, besser schützen. Nicht nur in Klein- oder Mittelbetrieben, sondern auch in Großbetrieben bzw. Konzernen wie SAP ist der Versuch, Betriebsräte zu bilden, oft für die InitiatorInnen existenzgefährdend.

Zudem würde damit „freiwilligen Formen der Mitarbeitervertretung“ wie „runde Tische“ oder „Belegschaftssprecher“ der Boden entzogen. Solche unternehmensfreundlichen Strukturen sind meist auf Initiative der Geschäftsleitung eingerichtet und von deren Gnade abhängig. 

Das Betriebsverfassungsgesetz schreibt vor, dass in betriebsratslosen Betrieben „drei wahlberechtigte Arbeitnehmer“ des Betriebs – oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft – zu einer Betriebsversammlung einladen können. Sie können dort Vorschläge für die Zusammensetzung des Wahlvorstands einbringen. Der gewählte Wahlvorstand führt dann die Wahl durch.
Desinteresse oder Einschüchterung?
Warum gibt es dennoch so wenige Betriebe mit Betriebsräten? Liegt das nur am Desinteresse der dort Beschäftigten? Sicherlich spielt das auch eine Rolle. Manchmal gibt es auch Fälle der Vorteilsgewährung durch Vorgesetzte, wenn KollegInnen sich nicht für einen Betriebsrat engagieren.

Vor allem aber agieren Geschäftsleitungen oft aggressiv gegen den Versuch einer Betriebsratsgründung. Einer Umfrage zufolge sagen 44 % der KollegIn
nen, bei denen der Ver- such einer Betriebsratsgründung gescheitert ist, dass die Chefs aktiv die Wahl verhindert haben.

Auch hauptamtliche GewerkschafterInnen bestätigen, dass Betriebsführer oft Betriebsratswahlen verhindern. Nicht selten werden Beschäftigte gezielt eingeschüchtert. Manchen wird sogar gekündigt, um sie von einer Kandidatur abzuhalten. So erging es drei KollegInnen eines Callcenters der TAS AG in Leipzig, nachdem sie Betriebsratswahlen vorbereitet hatten.

Besonders skurril war ein Vorfall in einer Stuttgarter Filiale der Modekette H&M. Dort versuchte die Geschäftsleitung sogar mit einem Polizeieinsatz, Betriebsratswahlen zu verhindern. Sie blieb aber letztendlich mit diesen Methoden erfolglos.

Auch in Betrieben mit existierenden Betriebsräten breitet sich bundesweit das Mobbing gegen aktive BetriebsratskollegInnen aus (Charité, Ikea, Nora, Rhenus…). Solche existenzvernichtenden Aktivitäten von Geschäftsleitungen (oft in Zusammenarbeit mit unternehmerfreundlichen „Betriebsräten“) müssen endlich konsequent und koordiniert bekämpft werden – nicht nur rechtlich, sondern auch politisch. Dies ist eine ureigene – leider bisher nur ansatzweise wahrgenommene – Aufgabe der Gewerkschaften und der Linken.
Herausforderung Betriebsratsnachwuchs
Es gibt noch ein weiteres Problem. Es soll beispielhaft für den Bereich der Industriegewerkschaft Metall (IGM) angerissen werden, der mit rund 2,3 Millionen Mitgliedern größten Einzelgewerkschaft.

In den von der IGM betreuten Betrieben wird rund ein Drittel der derzeit etwa 55.000 BetriebsrätInnen altersbedingt ausscheiden. Sie werden entweder bereits bei den Betriebsratswahlen 2014 nicht mehr kandidieren oder während der Amts- periode 2014 bis 2018 ausscheiden.

In vielen Betrieben besteht also die Gefahr, dass sie keinen oder nicht ausreichend Nachwuchs für den Betriebsrat haben. Zudem drohen damit Erfahrungen einer Generation von GewerkschafterInnen verloren zu gehen, die noch in Streiks Erfahrungen sammeln konnten und sich als VertreterInnen gewerkschaftlicher Gegenmacht sehen.

Zwar ist auf die Gegenseite, das Kapital, Verlass: Die Angriffe auf Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und Entgelte werden permanent weitergehen, ja sogar schärfer werden. Aber für die Gewerkschaften – und die Gewerkschaftslinke – stellt diese Entwicklung eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar.

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