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Länder

Beispiel Frankreich: Reformen bekämpfen!

Von D.B. | 01.12.2006

In Deutschland wird die Parole „Die Reformen nicht ‚kritisch begleiten‘, sondern verhindern!“ in vernehmbarem Ausmaß nur von der Gewerkschaftslinken vertreten. Diese Herangehensweise hat hier noch keine gesellschaftliche Durchschlagskraft. In Frankreich ist es zumindest schon phasenweise anders. Beeindruckend hat sich dies bei der Bewegung gegen den Ersteinstellungsvertrag (CPE) im letzten Frühjahr erwiesen. Mit dem CPE – der Einführung einer zweijährigen Probezeit für unter 26-jährige – wollten Regierung und Kapital in Frankreich den Standardarbeitsvertrag (CDI) zunächst für einen Teil der Lohnabhängigen aufbrechen.

In Deutschland wird die Parole „Die Reformen nicht ‚kritisch begleiten‘, sondern verhindern!“ in vernehmbarem Ausmaß nur von der Gewerkschaftslinken vertreten. Diese Herangehensweise hat hier noch keine gesellschaftliche Durchschlagskraft. In Frankreich ist es zumindest schon phasenweise anders. Beeindruckend hat sich dies bei der Bewegung gegen den Ersteinstellungsvertrag (CPE) im letzten Frühjahr erwiesen.

Mit dem CPE – der Einführung einer zweijährigen Probezeit für unter 26-jährige – wollten Regierung und Kapital in Frankreich den Standardarbeitsvertrag (CDI) zunächst für einen Teil der Lohnabhängigen aufbrechen. Es sollte die Vorstufe für eine generelle Aushebelung des Arbeitsrechts sein.
Der politische Hintergrund
In den letzten anderthalb Jahren haben sich in Frankreich drei große Konfrontationen entwickelt: im Frühjahr 2005 die große Mobilisierung gegen die EU-Verfassung, dann im Herbst der Kampf gegen die Privatisierung der Fährgesellschaft SNCM und des Marseiller Öffentlichen Personennahverkehrs RTM kurze Zeit später die Revolte der ImmigrantInnenjugend aus den Vorstädten. Jedes Mal hatten Teile des Herrschaftsapparats unter Beweis stellen wollen, dass sie sich gegen den Widerstand der Betroffenen durchsetzen können. Es waren jeweils Versuche, das sog. bürgerliche Lager hinter einem Präsidentschaftsanwärter zu sammeln. Vor allem bei der Nein-Kampagne zur EU-Verfassung und beim Widerstand gegen die Privatisierungen haben sich bedeutende Teile der Bevölkerung politisiert und zunehmend das wahre Gesicht und die Folgen neoliberaler Politik erkannt.
Vor diesem Hintergrund war es nicht so erstaunlich, dass sich bei der Einführung des CPE Anfang des Jahres 2006 sofort Widerstand entwickelte. Aber die dann in Gang gekommene breite Mobilisierung, die schließlich drei Monate später zur Annullierung des Gesetzes führte, war kein Selbstläufer. Zwei Fehler haben die Studierenden (und später die SchülerInnen), von denen die Bewegung ausging, vermieden: Sie haben sich nicht von dem Lug und Trug („das schafft Arbeitsplätze“) täuschen lassen und sie haben die breite Aktionseinheit gesucht, d.h. sie haben die organisierte ArbeiterInnenbewegung zur Teilnahme an den Aktionen aufgefordert.
Breite Front
„Der Aufstand der Jugend gegen den CPE hat zu einer wochenlangen sozialen und politischen Krise geführt, was bei der Rechten offene Spaltung und Paralysierung hervorgerufen und die neoliberale Linke genötigt hat, die Forderungen der Bewegung bis zum Schluss mitzutragen.
Für die SchülerInnen und StudentInnen war dies die längste und ausgeprägteste Mobilisierung seit dem Mai 68. Einzigartig in puncto Kampfbereitschaft und Einheit wie auch im Verlangen nach Demokratie, die ihren Ausdruck in einem bemerkenswerten Prozess von autonomer Organisierung fand.“ (Laurent Carasso: „Frankreich in einer tiefen sozialen und politischen Krise“, Inprekorr Juli/August 2006)

Schon im Jahr 2003 hatte es harte Kämpfe gegeben, aber sie endeten zum größten Teil in Niederlagen, weil sie jeweils auf bestimmte Sektoren beschränkt blieben. Und genau diese negativen Erfahrungen haben 2006 die Bereitschaft zu unbefristeten Streiks ganz erheblich eingeschränkt. So war es gut, dass die Bewegung gegen die CPE von einer anderen Generation angestoßen wurde. Und es war nicht unerheblich, welche Rolle die radikale Linke, allen voran unsere Schwesterorganisation LCR (Ligue communiste révolutionnaire, franz. Sektion der IV. Internationale), bei der demokratischen Strukturierung und der politischen Reifung gespielt haben.
… und die Rolle der LCR
Die LCR propagierte die Einheitsfront im Rahmen des Aktionsbündnisses „Zurückschlagen“, um hierüber neues Selbstvertrauen zur Durchführung unbefristeter Streiks zu entwickeln. Dies gelang nur in einigen Regionen. Aber von herausragender Bedeutung war ihr Eingreifen in die Bewegung der Studierenden und SchülerInnen. Dabei verfolgte sie drei Ziele:

  • •    Für eine Einordnung des CPE in die allgemeine Politik des Neoliberalismus und für die Darstellung der Zusammenhänge mit dem kapitalistischen System überhaupt.
  • •    Für eine demokratische Strukturierung der Bewegung (örtliche Vollversammlungen und ein Delegiertensystem auf nationaler Ebene)
  • •    Für eine ständige Aufforderung an die Gewerkschaften, den Kampf zu unterstützen.

Genau das hat die Bewegung meisterlich angepackt und durchgehalten. Anders wären die Mobilisierungen von jeweils bis zu 3 Millionen Demonstrierenden und Streikenden u.a. am 28. März und am 4. April nicht möglich gewesen. Dies und nichts anderes gab den Ausschlag für die Niederlage der Regierung.

Bis zum Schluss hatte die Sozialistische Partei permanent versucht, die Bewegung auf den parlamentarischen Weg zu orientieren. François Hollande, der Sekretär der PS, erklärte: „Die Wähler werden sich 2007 daran erinnern.“ Auch die KP, die übrigens in der Jugend sehr schwach vertreten ist, lehnte eine „Konfrontationspolitik“ ab.
Diese Bewegungen haben die politische Konjunktur in Frankreich zumindest für eine gewisse Zeit verändert. Aber auch die Bewegungen gegen den CPE hat das Problem der mehrheitlichen auf das bestehende System fixierten Orientierung in den Gewerkschaften und in der Linken nicht gelöst. Sie hat beispielhaft gezeigt, dass Reformen sehr wohl verhindert werden können, aber eine grundlegende Änderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse ist damit noch nicht eingetreten. L. Carasso kommt deswegen zu dem Schluss: „Die Kraft und die Radikalität, die hinter diesen Bewegungen stecken, verlangen nach einer angemessenen Perspektive. Dafür bedarf es einer kämpferischen Linken, die mit den ‚linken‘ Sachwaltern des Kapitalismus bricht – eine antikapitalistische Linke!“

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