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Beirut International Forum: Weltweite Volksfront?

Von Philipp Xanthos | 01.03.2009

Vom 16. bis zum 18. Januar 2009 fand in der libanesischen Hauptstadt – unter dem Eindruck des israelischen Angriffskrieges gegen Gaza – eine Konferenz von antiimperialstischen, linken und islamistischen Organisationen statt. Der Kreis der Teilnehmenden hatte bereits einige Brisanz in sich.

Vom 16. bis zum 18. Januar 2009 fand in der libanesischen Hauptstadt – unter dem Eindruck des israelischen Angriffskrieges gegen Gaza – eine Konferenz von antiimperialstischen, linken und islamistischen Organisationen statt. Der Kreis der Teilnehmenden hatte bereits einige Brisanz in sich.

So war die palästinensische Hamas („islamische Widerstandsbewegung“) ebenso vertreten wie die libanesische Hizbollah („Partei Allahs“), die ihrerseits einen säkularen Staat anstrebt. Auch nahm die libanesische Kommunistische Partei teil, deren Milizen im israelischen Libanon-Krieg 2006 gemeinsam mit der Hizbollah gekämpft hatten. Ebenso zahlreiche linke, pazifistische und bürgerlich-demokratische Organisationen und Gewerkschaften aus dem arabischsprachigen Raum, der Türkei, Iran, Afghanistan und europäischen Ländern, den USA, Lateinamerika. Gruppen, die für nationale Unabhängigkeit kämpfen, waren auch zugegen. Chavez und Morales wurden gegrüßt, ein Grußwort von Ahmadinedjad wurde eher missmutig aufgenommen.
Nationale Unabhängigkeit und Demokratie
Vor allem die Zusammenarbeit von KommunistInnen und IslamistInnen ist zunächst verwunderlich. Noch 1980 ermordete die Hizbollah libanesische KommunistInnen. Im Manifest der Hamas ist unter Berufung auf die Protokolle der Weisen von Zion zu lesen, dass der Kommunismus Teil der jüdischen Weltverschwörung sei. Offenbar schenken sie selbst ihrem Grundsatzdokument keinen großen Glauben. Was diese sehr unterschiedlichen Gruppierungen zu einer Konferenz bewegt, was deren gemeinsame politische Schnittmenge ist, ist in der von über 100 Organisationen unterzeichneten Abschlusserklärung zu finden. Sie stellt zunächst ausdrucksvoll fest, dass der Kapitalismus sich in einer tiefen, universellen Krise befindet,  „nicht nur auf finanzpolitischer, sondern auch auf ökonomischer, sozialer, kultureller und moralischer Front“. Die Forderungen weisen jedoch kaum über den Kapitalismus hinaus, sie zielen hauptsächlich auf nationale Unabhängigkeit und Demokratie. Betont wird das „Recht auf Widerstand“ von unterdrückten Völkern. Die Erklärung spricht sich gegen „Frei“handel aus und verurteilt industriellen Fischfang. Es werden in ihr erneuerbare Energien gefordert.  Wo ist der muslimische Einfluss? Zum Thema Religion findet sich nur die Forderung nach dem Recht „auf kulturelle Unterscheidung und Freiheit der Religionsausübung ohne jedwede kulturelle oder Rassenstigmatisierung.“ Die gemeinsame Schnittmenge ist die Feindschaft gegen die imperialistische Hegemonialmacht USA und die israelische Apartheids- und Kriegspolitik. Gegen Israel werden diplomatische Sanktionen gefordert.

Alles in allem haben die Forderungen den Charakter eines Minimalprogramms. Appelliert wird an die UN und an kritische Parlamentarier, nicht aber an die ArbeiterInnenklasse, obwohl sie in der Einleitung als Urheberin für soziale Errungenschaften angesehen wird. „Rechte“ und „Gesetze“ nehmen einen großen Platz ein. Es scheint also, wenn IslamistInnen und KommunistInnen eine Erklärung verfassen, dann fordert diese weder einen Gottes- noch einen ArbeiterInnenstaat. Das Profil beider verliert sich. Die Antiimperialistische Koordination aus Wien mit der Zeitschrift Intifada feiert die Konferenz als „Vereinigung linker und islamischer Widerstandsbewegung“. In der Tat: Die Breite des Bündnisses ist voll ausgeschöpft, in der Tiefe ist allerdings noch viel Platz.
Schablone Volksfront
All dies erinnert an die „Volksfront“, ein Konzept, dem TrotzkistInnen die permanente Revolution gegenüber stellen. Die Idee der „Volksfront“ ist eng verbunden mit der Idee der „Revolution in Etappen“. Dieses Konzept war historisch in den 20er Jahren, als die Komintern einen „Zickzack-Kurs“ aus Links- und Rechtsschwenks verfolgte, eine Rechtsabweichung vom revolutionären Marxismus. Die Politik der Komintern war an für sich rein pragmatisch, die jeweiligen theoretischen Begründungen wurden als Analyse besonderer Situationen verkauft.

Aus der Beobachtung, dass die kolonialen, halbkolonialen Länder noch keinen bürgerlich-demokratischen Kapitalismus kennen und die Mehrheit der Bevölkerung aus BäuerInnen besteht, folgerten sie, dass zuerst eine national-demokratische Revolution die alten Verhältnisse umstürzen müsse. Nach einer Periode der kapitalistischen Entwicklung könne dann die sozialistische Revolution folgen. Dies bedeutete praktisch, dass die proletarische Revolution gerade in den Ländern mit den größten sozialen Spannungen auf einen unbekannten Tag in der fernen Zukunft verschoben wurde. So forderte die Komintern bei der chinesischen Revolution (1925-1927) eine Unterordnung der Kommunistischen Partei unter die bürgerlichen Kräfte, die nationalistische Guomintang, da China als zu unterentwickelt für die sozialistische Revolution angesehen wurde. Die stalinistische Theorie bewertete die liberale Bourgeoisie als immer noch fortschrittliche Klasse. Das Ergebnis war ein Massaker des Diktators Tschiang Kai-Sheck unter den KommunistInnen und ArbeiterInnen und ein Zurückwerfen der Revolution um 20 Jahre. 

Noch heute, im 21. Jahrhundert behaupten die MaoistInnen Nepals, dass nach dem Sturz der Monarchie zunächst ein bürgerlich-demokratisches Nepal bestehen müsse, nicht etwa Sozialismus. In Wirklichkeit hat es sich nie um eine Analyse gehandelt, sondern nur um eine leblose Schablone, die über die Entwicklung gelegt wurde. Im Grunde ist, die Etappentheorie weiter gesponnen, zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte irgendein Land „reif“ für den Sozialismus, da diesem eine weltweite Umwälzung der Produktionsverhältnisse vorausgehen muss. Somit lässt sich auch in entwickelten Industriestaaten eine Revolution ablehnen, so geschehen in Deutschland nach 1945 durch die KPD und in Frankreich 1968 durch die KPF.
Alternative: Permanente Revolution
Trotzki nennt als Grundsatz für die „permanente Revolution“ hingegen, dass „die volle und wirkliche Lösung ihrer (der kolonialen und halbkolonialen Länder) demokratischen Aufgabe und des Problems ihrer nationalen Befreiung nur denkbar ist mittels der Diktatur des Proletariats als des Führers der unterdrückten Nation und vor allem der Bauern. Ohne ein Bündnis des Proletariats mit der Bauernschaft können die Aufgaben der demokratischen Revolution nicht nur nicht gelöst, sondern auch nicht ernstlich gestellt werden. Das Bündnis dieser zwei Klassen ist aber nicht anders zu verwirklichen als im unversöhnlichen Kampf gegen den Einfluss der national-liberalen Bourgeoisie.“
Die Fehler der Libanon-Konferenz
Die Libanon-Konferenz begeht nun den ersten Fehler, dass sie mit keiner Silbe von Klassen spricht. Die richtige Feststellung, dass die USA als größte imperi
alistische Macht zur post-kolonialen nationalen Unterdrückung den Hauptteil beitragen, wird verabsolutiert. Die revolutionäre Rolle des Proletariats in diesen Ländern wird nicht erwähnt, erst recht nicht die Klasse der BäuerInnen, die gerade in den unterentwickelt gehaltenen Ländern die Bevölkerungsmehrheit ausmacht. Als zweites werden die nationalen Bourgeoisien und deren imperialismus-affirmative Politik nicht kritisiert. Beispielsweise hat sich die Fatah ebenso mit dem israelischen Imperialismus arrangiert wie die irakische Bourgeoise mit dem amerikanischen. Die reichen Menschen aus Palästina und dem Irak haben sich und ihre Reichtümer ohnehin längst in Sicherheit gebracht. Die Regierung Saudi-Arabiens ist von den USA abhängig, ebenso öffnet Ägypten nicht seine Grenze zum Gaza-Streifen.

Die demokratischen Forderungen und die Forderung nach dem Ende nationaler Unterdrückung sind davon unbenommen vollkommen richtig. Verwischt wird nur die Tatsache, dass selbst die bescheidensten von ihnen nicht verwirklicht werden können ohne revolutionären Kampf. Dass islamistische Kräfte sich mit kommunistischen verbünden, ist allemal besser, als dass sie sie terrorisieren. Dass Widerstandsbewegungen international zusammenarbeiten wollen, ist auch ein Fortschritt, der über die klassische Volksfrontpolitik hinaus geht. So bleibt abzuwarten, inwiefern das neue Bündnis handlungsfähig ist.

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