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Attentat auf Benazir Bhutto: Eine beispiellose Massenreaktion

Von Farooq Tariq | 01.02.2008

Pakistan hat noch nie so viele protestierende Menschen auf den Straßen gesehen wie in den letzten beiden Tagen. Sie alle waren in der Verurteilung des brutalen Mordes an Benazir Bhutto vereint. Die Nachricht war schockierend; spontane Massenwut brach aus. Der 28. Dezember (2007) war der erste Tag eines Generalstreiks, zu dem von vielen Organisationen ausgerufen wurde, angefangen von den politischen Parteien bis hin zu verschiedenen Berufsgruppen.

Pakistan hat noch nie so viele protestierende Menschen auf den Straßen gesehen wie in den letzten beiden Tagen. Sie alle waren in der Verurteilung des brutalen Mordes an Benazir Bhutto vereint. Die Nachricht war schockierend; spontane Massenwut brach aus. Der 28. Dezember (2007) war der erste Tag eines Generalstreiks, zu dem von vielen Organisationen ausgerufen wurde, angefangen von den politischen Parteien bis hin zu verschiedenen Berufsgruppen.

Die ersten Ziele waren die Wahlplakate, Banner, Flaggen und Plakatwände der Pakistanischen Muslimliga. Die PMLQ (Pakistanische Muslimliga Quid Azam), eine größere Absplitterung der Muslimliga, wird von Nawaz Sharif geführt, dem früheren Premierminister. Die PMLQ – bestehend aus meist korrupten früheren Armeegenerälen, Landadel, Kapitalisten und Schwarzmarktlern – hatte sich seit 2002 auf eine Machtteilung mit General Musharraf geeinigt.

Die PMLQ hatte Milliarden in ihre Wahlwerbung gesteckt; all das war innerhalb weniger Stunden vorbei. Die Masse war stolz, dass sie ihre Hausarbeit erledigt hatte. Das Abräumen war mit äußerster Sorgfalt bewerkstelligt worden. Kein Material der PPP (Pakistan People Party, die Partei von M. Bhutto) und der Pakistanischen Muslimliga (PML) war beseitigt worden.
In vielen Städten der Provinz Sind (wo Bhutto herkam) wurden Banken angegriffen und niedergebrannt und die meisten Bankautomaten zerstört. Banken waren das Ziel, weil sie in den letzten paar Jahren unglaubliche Profite gemacht hatten, auch indem sie Dienste wie Gratisbanking eingestellt hatten. Mancherorts konnten die Leute sogar Geld nach Hause bringen.

In Sind wurden auch Züge zerstört. Laut Daily Jang wurden 28 Bahnhöfe, 13 Loks und 7 Züge durch Feuer in einem Wert von insgesamt 3 Mrd. Rupien (ca. 52 Mio. $) zerstört. (In der Absicht, die Defizite bei der Bahn zu reduzieren, hatte Musharraf in mehreren Schritten die Fahrpreise erhöht und das System teilweise privatisiert. Aber seit diesem Abend des 27. Dezember ist dieses Bahnsystem zusammengebrochen.) Tausende von Fahrgästen warten auf den Bahnhöfen, aber es gibt keine Anzeichen, dass der Betrieb wieder aufgenommen wurde. Die pakistanische staatliche Fluggesellschaft PIA (Pakistan International Airlines) und zwei private Linien (Air Blue und Shaheen Air) haben ihre Inlandsflüge unter dem Vorwand eines ‚Fahrplanwechsels’ abgesagt. Die Wahrheit ist, dass das Personal die Arbeit nicht wieder aufnahm.

Im ganzen Land brannten Hunderte von Bussen. Im Laufe der acht Jahre Herrschaft von Musharraf wurde der öffentliche Busbetrieb eingestellt und die Preise der Privaten stiegen ins Unermessliche. In der Tat haben viele PMLQ-Minister eigene Busbetriebe und machen damit riesige Gewinne aus der Massenarmut.

In ganz Pakistan wurden Tausende von privaten Autos von dem zornigen Mob zerstört, besonders von der Jugend. Sie zeigten ihre Wut über die Autofirmen (hauptsächlich Toyota, Suzuki und Honda), weil die enorme Gewinne kassierten, während der größte Teil der Bevölkerung auf nicht subventionierten öffentlichen Transport angewiesen ist. Viele Leasinggesellschaften haben die Mittelklasse mit ihren Autoangeboten zu abnorm hohen Preisen geplündert.
Häuser und Büros vom PMLQ-Politikern, örtlichen Bürgermeistern und Verwaltungsleuten wurden ebenfalls demoliert oder durch Feuer zerstört.

Über 100 Menschen starben in den ersten 40 Stunden in den Massenprotesten. Sie wurden von der Polizei erschossen oder starben im Kugelhagel rivalisierender Gruppen.
Hunderttausende riefen angesichts des Todes von Benazir Bhutto Slogans gegen das Regime von Musharraf und gegen den US-Imperialismus. Die Wut, die sich in den letzen acht Jahren angestaut hatte, hat sich entladen. Das war die Antwort der Massen auf eine strikte Durchführung einer neoliberalen Agenda mit den Ergebnissen von noch nie da gewesenen Preiserhöhungen, Erwerbslosigkeit und Armut. Nach dem Attentat hat sich die Wut, die sich sonst zwischen Wahlboykott oder -Beteiligung äußerte, Luft gemacht.

Es gibt eine starke Anti-Musharraf- Grundhaltung. Sie zeigt sich in verschiedenen Teilen des Landes auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlicher Intensität. Das so genannte kapitalistische Wachstum unter Musharraf hat Millionen in absolute Armut gebracht. Es gibt kein ‚leuchtendes Pakistan’, wie es die Diktatur propagiert.

Im Jahr 2007 erwachten die Massen. Es begann mit der Bewegung der Rechtsanwälte nach der Absetzung von Ifikhar Choudry als Chefrichter am Höchsten Gericht in Pakistan. Er sagte ‚Nein’, als die Generäle ihn zum Rücktritt zwangen. So wurde er entlassen, nur um am 20. Juli nach einem massiven Protest von 80 000 Anwälten wieder eingesetzt zu werden. Sie wurden von Politikern fast aller politischer Parteien unterstützt, nicht aber von den Massen; sie standen wohlwollend nur am Straßenrand und nahmen nicht aktiv an dieser Bewegung zur Wiedereinsetzung teil.

Dann ließ sich Musharraf zum Präsidenten für einen zweiten 5-Jahres-Zeitraum auf ‚demokratische Art’ von einem Parlament wählen, das auf 5 Jahre gewählt ist. Er trug immer noch die Militäruniform, als er zum ‚zivilen’ Präsidenten gewählt wurde. Sein Motto lautete: ‚Wählt mich ein zweites Mal zum Präsidenten und ich werde meine Uniform ausziehen, sobald ich den Eid für einen Zivilpräsidenten abgelegt habe’.
Notstand
Die Ausrufung des Kriegsrechtes im November im Namen des ‚Notstandes’ wurde zur Beseitigung der relativ unabhängigen Richter in Pakistan genutzt. Das Gesetz schränkte auch die Medien ein; über 10 000 wurden verhaftet.

So ließ sich Musharraf gebührend zum Präsidenten wählen und zog seine Uniform aus, nachdem er die höchsten Richter entlassen hatte. Handverlesene Richter gaben ihm die nötige Rückendeckung. In diesem Prozess wurde er von Benazir Bhutto unterstützt, die, in den Worten von Tariq Ali, zu einer ‚Zwangsheirat’ vom US-amerikanischen und britischen Imperialismus gezwungen wurde. In dieser unheiligen Allianz betrog jeder jeden mit gebührender Redlichkeit.

Nach der Unterdrückung in großem Maßstab und der Beseitigung der unabhängigen Judikative rief Musharraf zu allgemeinen Wahlen für den 8. Januar (2008) auf und hob den Notstand auf. Das Regime war froh, dass alles ‚nach Plan’ lief. Die größeren Parteien (Benazir Bhuttos PPP und Nawaz Sharifs PMLQ) hatten die Teilnahme an der betrügerischen Wahl beschlossen. Die Allianz der religiösen Fundamentalisten (MMA) hat sich an dieser Frage gespalten; der größere Teil tritt zur Wahl an.
Aber als die religiösen Fundamentalisten zuschlugen
und Benazir Bhutto an dem Abend des 27. Dezember töteten, wurde der ‚Plan’ in Stücke zerrissen. Die vereinbarten Absprachen und Bedingungen der verschiedenen Parteien lösten sich in Luft auf. Das war kein Hindernis auf dem Weg zu Versöhnung und Kompromiss, sondern dessen totale Zerstörung.

Der Mord an Bhutto ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite zerfetzt er die Pläne des britischen und US-amerikanischen Imperialismus, aber auf der anderen Seite wird auch den religiös-fundamentalistischen Kräften keine Unterstützung zuteil. Die erste Wut richtete sich gegen das Militärregime und seine politischen Kumpel. Aber sie kann sich genauso gut gegen die Fundamentalisten richten. Keine Partei wird diesen schockierenden Mord für sich nutzen können.
Das Musharraf- Regime hat das klar verstanden und versucht bewusst, die Richtung der Bewegung gegen die religiösen Fundamentalisten zu lenken. Am 28. Dezember nannte ein Militär, der die Regierung vertat, den Namen von Baitulalh Mehsud, ein Al-Kaida-Mitglied aus den Stammesgebieten in Pakistan, als einen von denjenigen, der den Angriff ausführte.

Der Militäroffizier war dumm genug beweisen zu wollen, dass Benazir Bhutto, während sie nach dem Bombenanschlag zu den Massen gestikulierte, nicht von einer Kugel, sondern vom Hebel für den Sonnenschutz ihres kugelsicheren Wagens getötet wurde. Was ist das für ein Unterschied, falls es tatsächlich erwiesen ist, dass Bhutto nicht durch eine Kugel, sondern anderswie getötet wurde? Kein großer!

Diese Erklärung des Brigadegenerals stellte die wütenden Journalisten nicht zufrieden, die ihn wiederholt nach der Verbindung vom Pakistanischen Geheimdienst (ISI) und Abdullah Mahsood fragten. Die Frage blieb unbeantwortet: Warum wurde Mahsood ohne große Öffentlichkeit an dem Tag freigelassen, als der Notstand ausgerufen wurde, derselbe Tag, an dem 200 Soldaten der pakistanischen Armee, die von Mahsoods Gruppe eine Woche zuvor gekidnappt worden waren, auch frei gelassen wurden? Der ISI hat seit den 80er Jahren eine Verbindung mit religiösen Fundamentalisten, als Imperialisten und Fundamentalisten dicke Freunde waren.
Generalstreik
Es besteht eine sehr brisante, unsichere, unüberschaubare, explosive, gefährliche, unbeständige und launische politische Situation. Es brauchte viele Jahre, bis die Massenreaktion ein solches Ausmaß angenommen hat. Der Generalstreik war ein voller Erfolg. Alle Straßen waren leer. Kein Verkehr nirgendwo. Alle Geschäfte waren geschlossen. Alle Industrie- und andere Einrichtungen waren dicht.

Nach den anfänglichen Hemmungen, den Streik zu behindern, hat das Regime nun strikten Befehl zum Töten jedermanns gegeben, der beim ‚Plündern’ angetroffen wird. Es hat die Armee in 16 Distrikte von Sind und paramilitärische Kräfte in ganz Pakistan geschickt.

Das Regime hat die angesetzte Wahl nicht aufgeschoben, aber sie am 8. Januar durchzuführen wird sehr schwierig sein. Nawaz’ Muslim Liga und einige andere politische Parteien haben schon ihre Absicht des Wahlboykotts verkündet.
Die Labour Party Pakistan (LPP) fordert die sofortige Aufhebung der Musharraf-Diktatur und die Bildung einer Zwischenregierung aus zivilen Organisationen, Gewerkschaften und Bauernorganisationen. Die Regierung sollte dann weitergehen und freie und faire allgemeine Wahlen unter Aufsicht einer unabhängigen Wahlkommission durchführen.

Die LPP fordert auch die sofortige Wiedereinsetzung der höchsten Richter und von ihnen die Durchführung einer Untersuchung über die zwei Attentate auf Benazir Bhutto. Des Weiteren unterstützt die LPP als Teil einer demokratischen Allparteienbewegung einen dreitägigen Generalstreik und verbindet diesen mit der Forderung nach Aufhebung der Militärdiktatur. Sie bittet alle Parteien, sich an der betrügerischen Wahl am 8. Januar nicht zu beteiligen.

29.12.2007

Übersetzung: Walter Wiese 

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