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Betrieb & Gewerkschaft

Arbeitszeit und Gesundheit

Von Pidder Lüng | 28.05.2013

In der Diskussion um Arbeitszeitverkürzung spielen politische und wirtschaftliche Argumente die Hauptrolle. Gesundheitliche Aspekte treten dabei meist in den Hintergrund – zu Unrecht. Sie sollten ebenfalls aufmerksam betrachtet werden, zumal Gesundheitsschäden durch Arbeit für gewerkschaftliche Vertrauensleute sowie für die Betriebs- und Personalräte in letzter Zeit vermehrt in den Focus gerückt sind. Wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema sind eine nützliche Argumentationshilfe.

In der Diskussion um Arbeitszeitverkürzung spielen politische und wirtschaftliche Argumente die Hauptrolle. Gesundheitliche Aspekte treten dabei meist in den Hintergrund – zu Unrecht. Sie sollten ebenfalls aufmerksam betrachtet werden, zumal Gesundheitsschäden durch Arbeit für gewerkschaftliche Vertrauensleute sowie für die Betriebs- und Personalräte in letzter Zeit vermehrt in den Focus gerückt sind. Wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema sind eine nützliche Argumentationshilfe.

Eine der gründlichsten Untersuchungen (wenn nicht die gründlichste überhaupt) dazu stammt von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin BAuA – im Internet: www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/artikel20.html.

 

Diese Quelle hat zudem den Vorteil, jeder linken oder sonst wie parteilichen Beeinflussung unverdächtig zu sein, was Nebenkriegsschauplätze in der Diskussion vermeiden hilft. In ihrem Artikel „Lange Arbeitszeiten und Gesundheit“ fassen die AutorInnen vier Studien zusammen, davon eine der  BAuA selber. Insgesamt werden dadurch ca. 52.000 „abhängig Beschäftigte“ in Europa in den Stichproben erfasst. Diese Zahl dürfte jede Diskussion darüber, ob die Ergebnisse repräsentativ seien, erübrigen. Im Gegenteil: Sie gelten landauf landab als „gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnis“.


Abbildung 1

 

Untersucht wurde der statistische Zusammenhang zwischen Arbeitszeiten und verschiedenen Gesundheitsstörungen: Rückenschmerzen, Schlafstörungen und Herzbeschwerden. Bei allen zeigt sich: Je länger die Arbeitszeit, desto häufiger diese Gesundheitsstörungen. (Abb. 1, 2 und 3) Bei den Schlafstörungen besonders beeindruckend: Verdoppelt sich die Arbeitszeit von 30 auf 60 Stunden, gibt es auch eine Verdoppelung der Häufigkeit von Schlafstörungen (in einer Teilstudie von 10% auf 20%).  Herzbeschwerden sind etwas seltener vertreten, dafür ist hier der Befund umso ernster: Herz- und Kreislauferkrankungen führen die Liste der Todesursachen in entwickelten Industrieländern an.

 
Abbildung 2

Einige methodische und statistische Anmerkungen: In den Bereichen der Arbeitszeiten unter 19 und über 60 Stunden sind die Ergebnisse weniger aussagekräftig, weil die Zahl der davon Betroffenen in den Studien relativ klein ist. Auffällig ist, dass es bei allen Diagrammen zwei Kurven gibt, deren Verlauf deutlich über den anderen beiden liegen, wenn auch leidlich parallel dazu. Das liegt daran, dass bei den Studien, deren Werte niedriger ausfallen, in den Fragebögen eine „Filterfrage“ vorkam, etwa so: „Beantworten Sie die folgenden Fragen nur, wenn sie bei der vorigen ‚ja’ angegeben haben“. Trotz dieser Einschränkungen wird eindrucksvoll belegt, wie gesundheitsschädlich längere Arbeitszeiten sind.

 
Abbildung 3

 

Wie die Lage verschärft wird, wenn es sich um Schichtarbeit handelt, zeigt die Abb. 4: Die beiden oberen Linien zeigen die Häufigkeit der Schlafstörungen bei Schichtarbeit, die beiden unteren bei regelmäßiger Arbeit. Schicht- arbeit lässt Schlafstörungen jeweils zu gut 5% öfter auftreten. Das Ergebnis dürfte alle, die schon einmal Schichtarbeit leisten mussten, wenig überraschen. Anzumerken bleibt, dass flexible Arbeitszeiten ähnliche Auswirkungen haben. Allen Beteuerungen, dass sie doch auch im Interesse der Beschäftigten seien, zum Trotz. Die unterschiedlichen Auswirkungen verschiedener Schichtmodelle sind in dem Artikel nicht untersucht worden. Generell lässt sich jedoch sagen, dass es aus Sicht der Gesundheit ein gewichtiges Argument gegen Schichtarbeit gibt. Das allein wird noch nichts bewirken, kann jedoch vielleicht dazu beitragen, die KollegInnen für entsprechende Forderungen zu gewinnen.


Abbildung 4

Abb. 5 weist auf eine interessante Erscheinung hin. Hier wird der Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Magenbeschwerden untersucht. Wie schon fast zu erwarten, steigt die Häufigkeit der Magenbeschwerden mit der Arbeitszeit. Die Besonderheit dieser Darstellung ist allerdings, dass nach Altersgruppen unterschieden wird. Es zeigt sich – wenig überraschend –, dass die unter 25jährigen mit den wenigsten gesundheitlichen Einschränkungen davonkommen. Bei den über 55jährigen nimmt die Linie einen merkwürdigen Verlauf: Sie scheinen sich bei Arbeitszeiten über 40 Stunden pro Woche geradezu zu erholen. Erst über 60 Stunden nehmen die Beschwerden wieder zu. Der Grund ist nicht etwa, dass die über 55jährigen besonders robuste Naturen seien. Vielmehr haben so viele dieses Alter in ihrem Arbeitsleben nicht gesund erreicht und sind zwangsweise ausgeschieden, dass nur noch die Widerstandsfähigsten übrig geblieben sind. In dem Aufsatz der BAuA wird das – für Wi
ssenschaftler ungewöhnlich – plastisch ausgedrückt: Es sei die „Überlebenspopulation“.

 

In einer Gesellschaft, in der Unternehmen ihre Profite maximieren müssen oder aber in der Konkurrenz untergehen, ist nicht zu erwarten, dass auf Gesundheit viel Rücksicht genommen und die Arbeitszeit deswegen verkürzt werden wird. Aber in den Kämpfen darum können solche Argumente hilfreich sein.


Abbildung 5

 

Erläuterungen

EU 2000 und EU 2005 sind Umfragen, die in den Jahren 2000 und 2005 in den 15 ursprünglichen EU-Ländern durchgeführt wurden (EU 15).

GA 2004 ist der Name der deutschlandweiten Umfrage „Was ist Gute Arbeit?“ aus dem Jahr 2004.

BB 2006 steht für eine Umfrage, die im Jahr 2006 in Deutschland unter Erwerbstätigen durchgeführt wurde.

Quelle

Die Untersuchung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) mit dem Titel „Lange Arbeitszeiten und Gesundheit“ aus dem Jahr 2009. Alle Grafiken sind dieser Quelle entnommen. Der vollständige Beitrag ist im Internet zu finden unter

www.baua.de/de/Publikationen /Fachbeitraege/artikel20.html

 

 

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