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Innenpolitik

Arbeitskämpfe in der BRD: Und sie bewegt sich doch

Von Thadeus Pato | 29.04.2006

In den 90er Jahren wurde der Abschied von der ArbeiterInnenklasse ausgerufen, Negri halluziniert inzwischen an ihrer Stelle eine „Multitud“ und die Tatsachen schienen den Auguren recht zu geben: Seit Beginn der 90er Jahre gingen die Arbeitskämpfe in der BRD kontinuierlich zurück und im Jahr 2001 vermeldete die Statistik bei den Streiktagen pro 1000 Beschäftigte eine runde Null. Doch das Blatt hat sich gewendet. Die totgesagte ArbeiterInnenklasse brachte sich in diesem und dem letzten Jahr nachdrücklich in Erinnerung und es gerieten Sektoren in Bewegung, von denen man es am wenigsten erwartet hätte.

In den 90er Jahren wurde der Abschied von der ArbeiterInnenklasse ausgerufen, Negri halluziniert inzwischen an ihrer Stelle eine „Multitud“ und die Tatsachen schienen den Auguren recht zu geben: Seit Beginn der 90er Jahre gingen die Arbeitskämpfe in der BRD kontinuierlich zurück und im Jahr 2001 vermeldete die Statistik bei den Streiktagen pro 1000 Beschäftigte eine runde Null. Doch das Blatt hat sich gewendet.

Die totgesagte ArbeiterInnenklasse brachte sich in diesem und dem letzten Jahr nachdrücklich in Erinnerung und es gerieten Sektoren in Bewegung, von denen man es am wenigsten erwartet hätte. Der Streik bei der Privatklinik Heines in Bremen Anfang 2005, der nach 90 Tagen mit einem Achtungserfolg endete, war der Auftakt zu einem Jahr, in dem sowohl auf betrieblicher als auch auf Branchenebene exemplarische Auseinandersetzungen begannen, die sich teilweise in diesem Jahr fortsetzen.

28 Tage Streik bei der Brauerei Eichbaum in Mannheim – der längste Streik im Bereich der Gewerkschaft NGG seit 10 Jahren und der Druckerstreik, bei dem die 35 Stunden-Woche verteidigt werden konnte, zeigten, dass angesichts der exorbitanten Gewinnsteigerungen der Unternehmen in den letzten Jahren die Belegschaften nicht mehr bereit sind, jedes Diktat der anderen Seite hinzunehmen.
Abwehrkämpfe
Zwar waren eine ganze Reihe von Auseinandersetzungen reine Abwehrkämpfe. Der Kraftwerkshersteller Alstom in Mannheim, die Rolltreppenfabrik Kone in Hattingen, Electrolux/AEG in Nürnberg, Infineon in München, der Druckmaschinenhersteller Giesecke & Devrient – bei all diesen Kämpfen (und noch einigen mehr) ging es nicht um höhere Löhne, sondern gegen Stellenabbau und/oder um Sozialpläne. Aber festzuhalten ist, dass in allen diesen Fällen der soziale Kahlschlag nicht mehr, wie noch vor wenigen Jahren, als die Belegschaften jede Kröte schluckten, geräuschlos über die Bühne ging und dass es in den meisten Fällen für den Gegner erheblich teurer wurde als geplant.

Und es geht weiter. Erst im März dieses Jahres endete der rekordverdächtige Streik bei der Cateringfirma Gate Gourmet nach fast einem halben Jahr mit einem Teilsieg und die Streiks im öffentlichen Dienst dauern an. In letzterem Fall sind erstmals in der Nachkriegsgeschichte die Beschäftigten im Gesundheitswesen in einem Ausmaß in Bewegung geraten, das niemand für möglich gehalten hätte. Die MetallerInnen ihrerseits fordern in der laufenden Tarifrunde 5% und die bereits angelaufenen Warnstreiks lassen einiges erwarten.
Europäisierung & Globalisierung
Natürlich haben sich durch die Auswirkungen der zunehmenden europa- und weltweiten Mobilität des Kapitals die Rahmenbedingungen erheblich geändert. Die Gewerkschaftsführung hinkt dieser Entwicklung seit langem hinterher: Der Europäisierung der Kapitalstrategie, jetzt wieder im Falle von Volkswagen in Spanien zu beobachten, hatte sie bisher nichts entgegenzusetzen. Allerdings gibt es auch hier Ausnahmen. Der auf ganzer Linie erfolgreiche gesamteuropäische Kampf der HafenarbeiterInnen gegen die Transportrichtlinie der Europäischen Kommission zeigte, was nottut: Ein konsequentes, europäisch koordiniertes Vorgehen der ArbeiterInnenorganisationen mit gemeinsamen Forderungen und gemeinsamen Handlungsstrategien gegen die Taktik der UnternehmerInnen, die Belegschaften der verschiedenen Länder gegeneinander auszuspielen.

Festzuhalten bleibt: Der Widerstandswille der Belegschaften gegen die Zumutungen des Kapitals ist gewachsen und in Sektoren wie dem Gesundheitswesen taucht eine neue Generation von Aktivist­Innen auf, die, wie das klägliche Urabstimmungsergebnis in Hamburg zeigte, wo gerade einmal 48% der Gewerkschaftsmitglieder den von der Führung ausgehandelten „Kompromiss“ billigten, mehr will und sich auch mehr zutraut, als nur die schlimmsten Grausamkeiten abzuwenden. Bewusstsein wird in der Auseinandersetzung geschaffen und nicht durch Verhandlungen hinter geschlossenen Türen. Und in dieser Hinsicht sind auch die Streiks für den Sozialplan bei Electrolux/AEG oder Infineon ein Fortschritt. Die DruckerInnen wiederum haben vorgemacht, dass Arbeitszeitverlängerungen nicht unabwendbar sind, sondern eine Frage der Kräfteverhältnisse.

Der, wenn auch im Vergleich zu Frankreich oder Spanien sehr moderate, Aufschwung der Arbeitskämpfe in den letzten anderthalb Jahren in der Bundesrepublik ist unübersehbar. Das macht Hoffnung – und verbessert die Voraussetzungen, eine schlagkräftige Widerstandsfront gegen den derzeitigen Generalangriff der großen Koalition auf die sozialen Sicherungssysteme, gegen Rentenklau und Durchkapitalisierung des Gesundheitswesens, aufzubauen. Totgesagte leben eben länger.

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