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Als Menschenrechtsbeobachterin in Chiapas

Von Rosalinde | 01.09.2008

Während ich in diesem Frühjahr als Menschenrechtsbeobachterin in einem von der Vertreibung bedrohten Dorf in Chiapas/Mexiko war, stand der RSB auf meiner Unterstützerliste zur Verbreitung der Informationen von dort. Auch deshalb berichte ich gern hier darüber.  In einer weltpolitisch günstigen Situation fand im ärmsten, südöstlichsten Teil Mexikos die erste „Postmoderne Revolution des 21.Jahrhunderts“ statt, lang vorbereitet und allgemein bekannt unter „Aufstand der Zapatisten“, benannt nach Emiliano Zapata, dem Anführer der ersten Revolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Mexiko.

Während ich in diesem Frühjahr als Menschenrechtsbeobachterin in einem von der Vertreibung bedrohten Dorf in Chiapas/Mexiko war, stand der RSB auf meiner Unterstützerliste zur Verbreitung der Informationen von dort. Auch deshalb berichte ich gern hier darüber. 

In einer weltpolitisch günstigen Situation fand im ärmsten, südöstlichsten Teil Mexikos die erste „Postmoderne Revolution des 21.Jahrhunderts“ statt, lang vorbereitet und allgemein bekannt unter „Aufstand der Zapatisten“, benannt nach Emiliano Zapata, dem Anführer der ersten Revolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Mexiko. Zapata vive, Zapata lebt, hört und liest man immer wieder. Im Denken der Nachfahren der Mayas sind die Lebenden wie die Toten wichtig, und Menschen wie Zapata, die sich selbstlos für eine Verbesserung unmenschlicher Zustände einsetzen, haben natürlich einen großen Bekanntheitsgrad und sind deshalb auch immer bedeutend und lebendig.

Äußerer Anlass zur Rebellion war das Inkrafttreten der NAFTA am 1.1.1994, eines Freihandelsabkommens zwischen Kanada, USA und Mexiko, angeblich zur Verbesserung der Lebensbedingungen, welches in Wirklichkeit aber das Leben der Ärmsten, hauptsächlich Ureinwohner, landlose Bauern, die wie Leibeigene von den Großgrundbesitzern gehalten wurden, noch einmal so verschlechterte, dass die Devise „Leben können wir nicht mehr, dann können wir auch sterben – oder kämpfen!“ folgerichtig war.

Ebenso wie vor einem Jahrhundert ging es wieder um Land und Freiheit. Unter Zapata wurde manches erreicht, aber besonders hier in diesem vergessenen Winkel des Landes nie umgesetzt. Jetzt war unter dem Druck der USA als Bedingung zum Eintritt in die NAFTA noch der besonders wichtige Artikel 27 der Verfassung von 1917 gestrichen worden, der Gemeindeland zur Nutzung aller vorsah. Gerade dieses für die Ärmsten und Entrechteten so elementare Gemeindeland, unveräußerliches staatliches Landeigentum (bei uns gab es früher Ähnliches, als Almende bekannt, heute kennen wir das noch als Alm), das gerade noch vor dem Verhungern retten konnte, wurde ihnen auch noch genommen. Als ganz wichtiger Punkt kommt noch hinzu, dass damit ihre traditionelle Gemeinschaftsarbeit wegfallen musste.

Der Staat verkauft das Gemeindeland häufig auch an ausländische Investoren, das ist ein ganz aktuelles Problem für alle zapatistischen Gemeinden sowie den ihnen nahe Stehenden und soll mit dem Nachfolgeplan „Puebla Panama“ eine „saubere Lösung“ für das Problem bieten, das der Aufstand von Anfang an war.

Für die Mayas ist der Gedanke, Erde zu verkaufen oder zu kaufen, vollkommen unnatürlich. Er passt nicht in ihre Vorstellungswelt: Die Erde ist unsere Mutter. Immer wieder kann man lesen: Land wird nicht gekauft oder verkauft. Land ist keine Ware, sondern hat kulturelle, religiöse und historische Bedeutungen.
Die Zapatistische Armee
Die EZLN, die nach Zapata benannte Zapatistische Armee der nationalen Befreiung unterscheidet nicht zwischen den Gemeinden und ihr. Die Revolution von unten, aus der Tiefe der indigenen, vorkolonialen Wurzeln ihrer Geschichte ist etwas Neues, das sich auch in der Sprache ausdrückt, für alle und international verständlich. Entscheidungen wurden von Anfang an basisdemokratisch getroffen, es wird bis zum Konsens diskutiert. Alle sind gleich. Es gibt kein Streben nach Macht, weder im Dorf noch im Staat. Zuhören und dann reden lernen stehen am Anfang, die Verantwortlichen befehlen gehorchend.

Erstaunlich war für mich, wie ich diese Punkte in der Realität wieder fand, in dieser anderen Welt, die mir trotz aller Kargheit dort und nach der Rückkehr in die „Zivilisation“ so viel zu denken gab. Wir alle werden unsere Zeit dort nie vergessen mit all den tiefen Eindrücken von der Widerstandskraft, der Solidarität und Würde der Menschen.

Zuerst fiel mir die Heiterkeit, das häufige befreiende Lachen und die Höflichkeit miteinander auf. Es passt zu dem von den Menschen im Widerstand in Chiapas oft gehörten: Hay que reirse mucho para cambiar el mundo. Etwa: Um die Welt zu verändern, muss viel gelacht werden.
Was stärkte diese Menschen, die außer einem Familienleben, einer unveränderten Natur, abgesehen von den wellblechgedeckten Hütten aus luftgetrockneten Ziegeln, Ställen aus Material von Bananenstauden und einem Gemisch aus Erde und Dung, einer fast immer sehr steinigen, nur unter großer Kraftanstrengung zu bearbeitenden Erde, die ihnen außer sauberem Quellwasser allein Mais und Bohnen meist reichlich hergab, dazu saisonal Bananen, Mangos, Papayas, nichts hatten und so an ihrem „Paradies“ hingen und sich unter keinen Umständen daraus vertreiben lassen würden?

Die Familien waren tagtäglich zusammen, Mütter und Kinder ebenso wie Väter und Kinder. […] Bei Versammlungen wurde betont, dass sie das von ihren Vätern kultivierte Land für ihre Kinder erhalten und pflegen wollten, dass ihre Kinder und das Land das Wichtigste seien. Ich erlebte die Kinder friedlich und ausgeglichen, das fiel mir besonders auf, wenn sie uns abends besuchten und bei uns zu mehreren auf einem Blatt Papier zusammen farbenfrohe Bilder zeichneten. Für sie wie für die Erwachsenen ist gemeinsames Tun selbstverständlich. […]

Wenige Tage vor diesem Fest, dem alle entgegenfieberten, wir waren inzwischen abgelöst worden, die Information haben wir von unseren Nachfolgerinnen, kamen im Morgengrauen Hunderte bewaffneter Männer mit Pickups. Niemand von uns kann vergessen, wie entschlossen, solidarisch und kämpferisch alle waren. Bei einem Überfall am frühen Morgen demonstrierte Josefa, Mutter von acht Kindern, dies, als ihr, umringt von vielen Frauen, Kindern und Alten, eine Waffe vorgehalten wurde und sie verraten sollte, wo sich die Männer versteckt hielten, sie den Polizist am Kragen packte und rief: „Schieß doch! Sterben muss ich sowieso, so hat´s wenigstens einen Sinn“.
Gemeinde im Widerstand
Seit einem Jahr befand sich unsere Gemeinde im Widerstand. Jeden Tag mussten vierundzwanzig Stunden lang zwei bis drei Männer an vier Beobachtungsposten Wache halten, fast alle ohne Schutz gegen Nässe und Kälte. Über die zusätzliche Belastung neben der schweren Arbeit und Neuerschließung von Maisanbauflächen, weil der Maispreis sehr gesunken war, sein Verkauf als einzige Geldquelle f&
uuml;r notwendige Ausgaben für Macheten, Sandalen, Saatgut für den Garten, Öl, Salz und Zucker, um die Wichtigsten zu nennen, klagte niemand, das war so selbstverständlich.
Wir Menschenrechtsbeobachter waren als zusätzliche Beobachter an einer Stelle täglich von sieben bis sechzehn Uhr eingesetzt. […] Nicht alle Menschenrechtsbeobachter haben so viel Gelegenheit zu intensivem Austausch wie wir. Ich habe viel gelernt von den mutigen Menschen im Widerstand, nicht nur einige Sätze in ihrer Muttersprache Tsotzil, und zur Aufzeichnung der Vorkommnisse zur Weitergabe an Frayba, benannt nach Fray Bartolome de las Casas. Diese sehr hilfreiche Einrichtung schickte uns in die Gemeinden, sie kooperiert mit CAREA, die Menschenrechtsbeobachter auf den Einsatz vorbereitet. Hoffentlich nehmen viele den Weg dorthin.

Für das heutige Gebiet der Zapatisten in Chiapas interessierte sich die mexikanische Regierung erst, als es den sie sehr überraschenden Aufstand gab, und als die Bodenschätze wie Gas, Uran u.a. bekannt wurden, sowie die biologische Vielfalt des Regenwaldes für Monsanto und andere Biopiraten und in Zusammenhang mit den Kulturschätzen und den „ursprünglichen Menschen“ mit „angepasstem“ Massentourismus das Gebiet ausgebeutet werden kann. Zum Anschluss an die moderne Welt soll der Plan Puebla Panama für Staudämme zur Stromversorgung auch der USA dienen, Trinkwasser für Coca Cola liefern u.s.w.. Ein „Plan Mexiko“ nach dem Vorbild des „Plan Kolumbien“ zur Drogenbekämpfung kommt nach der Ausbildung des gefürchteten Paramilitärs als weitere „Nachbarschaftshilfe“ aus den USA. Vertreibungen vom Land, Drohungen und Morde hat es immer wieder gegeben, aber mit den neuen Plänen stehen Umsiedlungen und Enteignungen um großen Stil ganz legal auf dem Programm.

Zum Glück wächst der Widerstand in den betroffenen Ländern! Ein Lichtblick ist auch, dass z. Zt. eine Unterstützergruppe in Chiapas unterwegs ist. Über dreihundert Menschen aus vielen Ländern beweisen internationale Solidarität, die Zärtlichkeit der Völker, wie Che, ebenso wie Zapata hier lebendig, sagte.  […]
Frauengesetze
Eine andere Besonderheit der Bewegung war, dass von Anfang an die Frauen eine wichtige Rolle spielten. Noch vor dem Aufstand, schon 1993, wurden die Frauengesetze beschlossen und das heißt hier, auch umgesetzt. In Mittelamerika, die südlichsten Gebiete Chiapas gehören schon zu Lateinamerika, erschwert der Machismo, der Männerkult, den Frauen das Leben und besonders das der Indigenen. Bei den Zapatisten, natürlich auch bei der EZLN, haben alle Menschen gleiche Rechte. Frauen bestimmen z. B. ihre Partner und die Kinderzahl.

Eine Frau führte die EZLN bei der Einnahme der wichtigen Stadt San Cristobal, ebenso sprach eine Frau als Vertreterin der EZLN, d.h. der Zapatisten, als die Zapatisten 2001 mit dem Marsch der Würde mit vielen Tausenden in Mexiko Stadt einmarschierten und durchsetzten, im Parlament zu sprechen und alle Marcos, den Subcommandant insurgente, Unterkommandant im Aufstand, erwarteten. Alle Posten werden paritätisch besetzt, davon kann ich aus eigener Anschauung Zeugnis ablegen. […]

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