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Afrika: Kontrolle ist besser

Von Harry Tuttle | 01.10.2003

Die Warlordisierung in Afrika unterwandert die legale Wirtschaft. Militärinterventionen sollen die Spielregeln des Kapitalismus durchsetzen.

Die Warlordisierung in Afrika unterwandert die legale Wirtschaft. Militärinterventionen sollen die Spielregeln des Kapitalismus durchsetzen.

Wirklich begeistert war George W. Bush nie von Interventionen in Afrika. Während seiner Wahlkampagne 2000 verkündete er, dass der Kontinent „nicht in das nationale strategische Interesse passt, soweit ich das sehen kann". Als sich die Forderungen nach einer US-Intervention in Liberia mehrten, forderte er, dass zunächst die Westafrikaner in Aktion treten müssen. Ende August erklärte Bush, die 150 zur Unterstützung der westafrikanischen Truppen entsandten Soldaten würden bald wieder abziehen: „Bis zum 1. Oktober sind wir da raus."

Die Zurückhaltung der US-Regierung erklärt sich nur zum Teil aus der Befürchtung, sich möglicherweise einen weiteren verlustreichen Guerillakrieg aufzuhalsen. Anders als der Irak, der zum Zentrum des politischen und ökonomischen Konkurrenzkampfes der wichtigsten Staaten geworden ist, ist Liberia nur von sehr geringem wirtschaftlichen und strategischen Interesse. Die Kontrolle dieses Staates ist eine lästige Pflicht, die man gerne auch Afrikanern überträgt.
Privatisierung der Politik
Nach dem Ende des Kalten Krieges schwand das Interesse der westlichen Staaten an Afrika. Es bestand keine Notwendigkeit mehr, antikommunistische Diktatoren zu unterstützen. Und zu eben jenem Zeitpunkt, als die ganze Welt dem Kapitalismus restlos offen stand, entdeckte man, dass viele Gebiete weder für den Handel noch für Investitionen von Interesse sind. Nachdem Anfang der 90er Jahre der Versuch gescheitert war, den Bürgerkrieg in Somalia durch eine Militärintervention zu beenden, wurde der Einsatz ergebnislos abgebrochen. Widerstandlos überließ man den Warlords das Feld. Fortan blieb es den Konzernen selbst überlassen, ihre Interessen zu vertreten. Bestechung und der Einsatz von Söldnern sicherten ihnen die Geschäfte, die kapitalistische Wirtschaft stellte sich flexibel auf die Warlordisierung ein und handelte mit den Kriegsunternehmern. Nun aber soll die Kontrolle über die „failed states" (gescheiterten Staaten) wieder hergesellt werden. Dies ist zum Teil eine Folge der Anschläge vom 11. September. Das durch den Bürgerkrieg zerrissene Afghanistan beherbergte die al-Qaida, auch andere Warlord-Territorien gelten als potenzielle Rückzugsgebiete terroristischer Gruppen. Die USA bauen deshalb eine begrenzte Militärpräsenz in Afrika auf, vorzugsweise allerdings in derzeit stabilen Staaten wie Mali und Djibouti.

Die erneute Wende in der Interventionspolitik ging dem 11. September jedoch voraus. Bereits im Jahr zuvor schickte der britische Premierminister Tony Blair Truppen nach Sierra Leone, einen Nachbarstaat Liberias. Im Bündnis mit UN-Truppen, ehemaligen Putschisten und Milizen besiegten sie die Truppen des Warlords Foday Sankoh. Anschließend übernahmen Briten zentrale Positionen in Polizei, Armee und Verwaltung. Dieses Muster scheint das Vorbild für die Liberia-Intervention zu sein, auch wenn möglicherweise von der Regionalmacht Nigeria geführte afrikanische Kräfte die britische Rolle übernehmen.
Subversive Netzwerke
Der zentrale Grund für die neuen Interventionen in Afrika ist die von den Warlords ausgehende ökonomische Subversion. Ihre mafiosen Netzwerke unterwandern den legalen Handel und können, wie es im Drogenhandel bereits geschehen ist, einflussreiche, milliardenschwere Netzwerke bilden. Auch wenn sie dies nicht wie al-Qaida für Angriffe auf den Westen nutzen, kann ein globalisierter Kapitalismus diesen Kontrollverlust nicht hinnehmen. Im Falle des Kongo kommt das Interesse an den bedeutenden Bodenschätzen des Landes hinzu, deren industrielle Ausbeutung durch die Warlordisierung behindert wird.

Doch selbst im Kongo ist das Interesse der westlichen Staaten an einer direkten Intervention gering. Der Einsatz der EU in Bunia war ein willkommenes Mittel, europäischen Machtwillen zu demonstrieren. Doch am 1. September wurde die EU-Truppen von Soldaten aus Bangladesh abgelöst. Für die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ordnung ist es gleichgültig, welche Fahne auf die Uniform genäht ist.

Dass die westlichen Staaten sich nicht um die vordersten Plätze bei afrikanischen Interventionen drängeln, dürfte auch damit zusammenhängen, dass sie sich der Unzulänglichkeiten ihrer Einsatzkonzepte bewusst sind. Zwei Konzepte stehen sich gegenüber: Der Versuch, alle Warlords zu einer Einigung zu zwingen einerseits und andererseits das Bestreben, einem von ihnen zum Sieg zu verhelfen. In beiden Fällen werden nicht nur Kriegsververbrecher mit der Zuteilung von Macht und Pfründen belohnt. Die Legalisierung der Warlords festigt auch die Verhältnisse, die zum Krieg führten. Eben dies geschah in Liberia, wo sich bald nach dem Sieg des Warlords Charles Taylor dessen nur zeitweilig geschlagenen Feinde zu einem neuen Feldzug zusammenfanden. Taylor drohte nach seinem erzwungenen Rücktritt: „Ich komme wieder."

Die Warlordisierung ist die Folge der gescheiterten kapitalistischen Vergesellschaftung in vom Weltmarkt marginalisierten Staaten. Sie wird von einer IWF-Politik gefördert, die die Institutionen afrikanischer Staaten im Namen der Marktwirtschaft „verschlankt" und so die gesellschafliche Integration weiter schwächt. Die westlichen Staaten scheinen nun nicht einmal mehr das Interesse zu haben, sich als Feuerwehr für das Löschen von ihnen gelegter Brände bejubeln zu lassen. Schon die meisten Kolonialkriege wurden ja mit Truppen aus den unterworfenen Gesellschaften geführt.

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