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Afghanistan: Kriegspolitik der US-Armee und Wiedergeburt der Taliban

Von M. Anwar Karimi | 01.07.2006

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Es ist kein Zufall, dass die Nato Anfang Juni die Verdoppelung ihrer Truppen in Afghanistan von 9 000 auf 20 000 Mann bis Ende des Jahres beschloss (hier nicht mitgerechnet sind die 19 000 US-amerikanischen Soldaten). Gleichzeitig begann Mitte Juni in vier südlichen Provinzen Afghanistans an der Grenze zu Pakistan die größte Operation der US-amerikanischen, britischen und kanadischen Soldaten seit dem Sturz der Taliban im November 2001 (Operation mountain thrust).

Es ist kein Zufall, dass die Nato Anfang Juni die Verdoppelung ihrer Truppen in Afghanistan von 9 000 auf 20 000 Mann bis Ende des Jahres beschloss (hier nicht mitgerechnet sind die 19 000 US-amerikanischen Soldaten). Gleichzeitig begann Mitte Juni in vier südlichen Provinzen Afghanistans an der Grenze zu Pakistan die größte Operation der US-amerikanischen, britischen und kanadischen Soldaten seit dem Sturz der Taliban im November 2001 (Operation mountain thrust).

Die Krieg führende Koalition hat schon am 19. Juni festgestellt, dass der Monat Juni der blutigste Monat seit dem Stürz der Taliban war. In drei Wochen kamen mehr als 500 Afghanen (meistens Zivilisten) aufgrund der Bombardierung ihrer Dörfer durch die Koalition und durch Attentate und Straßenminen der Taliban ums Leben.
Obwohl Donald Rumsfeld schon im Dezember 2001 den Afghanistankrieg für beendet erklärt hat und G. Bush noch Anfang des Jahres 2006 über seinen „Antiterrorkrieg“ verkündete, die Sicherheitslage im Irak und in Afghanistan habe sich verbessert, sind im Gegenteil die Opfer der Koalitionstruppen in Afghanistan in den letzten sechs Monaten um das Fünffache gestiegen. Seit Januar 2006 sind 59 Soldaten der Koalition getötet worden, 47 davon US-Amerikaner (verglichen mit 12 Opfern im Jahr 2005). Dazu kommen noch ca. 300 afghanische Polizisten und Armeeangehörige.
Rekrutierung und Bewaffnung der Taliban
Die Führung der Taliban und ihre Feldkommandanten zeigen sich immer öfter in internationalen Medien und im benachbarten Pakistan, wo sie für die Rekrutierung in den Madrasas (Religionsschulen) und für den Waffennachschub sorgen. Inzwischen ist die Ausblidung, Bewaffung und finanzielle Unterstützung durch das pakistanische Militär und den Geheimdienst ISI kein Geheimnis mehr, was in letzter Zeit mehrfach zu verbalen Attacken zwischen Muscharaf (pakistanischer Präsident) und Karzai (afghanischer Präsident) geführt hat.

Der Kriegstaktik der Taliban ist ähnlich der der Mudschaheddin in den achtziger Jahren gegen die Sowjetarmee, nämlich die kurzfristige Besetzung einer Stadt oder eines Bezirks und dann das Abtauchen in entlegene Dörfer; die Verbrennung von Verwaltungsgebäuden, Schulen und Krankenhäusern, Verminung der umliegenden Straßen, Einschüchterung der Zivilbevölkerung durch öffentliche Hinrichtungen, um die Menschen von der politischen Zusammenarbeit oder überhaupt von Lohnarbeit bei der Regierung oder den Koalitionstruppen abzuhalten.
Nach Medienberichten kontrollieren die Taliban inzwischen mehr als 15 Verwaltungsbezirke im von  Paschtunen bewohnten Südafghanistan (mit ca. 1 Million Einwohnern), und sollen wieder die Sharia eingeführt und alle öffentlichen Einrichtungen geschlossen haben. Die Schulverbrennungen und die Ermordung der Lehrer werden nicht nur im Süden, sondern zunehmend auch im Norden und Westen ausgeübt.
Wiederholung der Geschichte
Die Zunahme der Angriffe der Taliban ist zeitgleich mit der Übernahme des Kommandos im Süden durch die Nato und der Verlegung von 12 000 Soldaten, darunter 5 600 Briten in der Provinz Helmand, ca. 2 300 kanadischen Soldaten in Kandahar und 1 400 Niederländern in Uruzgan.
Da die Dörfer in diesen Provinzen bereits von den Taliban kontrolliert werden, bleibt der Krieg führenden Koalition nichts anderes übrig, als Luftangriffe zu fliegen. Das wiederum führt zu Verlusten bei der Zivilbevölkerung und treibt und immer mehr Menschen in die Hände der Gotteskrieger. Inzwischen haben sich die Menschen in Afghanistan auf einen langen Krieg ähnlich dem der sowjetischen Besatzungszeit (1979-1989) eingestellt, denn Stabilität und Frieden rücken in immer weitere Ferne.
Die Widersprüche der Intervention von 2001
Die Konzeptlosigkeit der Kampfansätze der US-Truppen und die direkten Auswirkungen der Besatzung auf die afghanische Gesellschaft führen zunehmend zur Isolierung der Koalitionstruppen und der Marionettenregierung von Kabul. Am Anfang der Intervention wurde versprochen, man wolle dem Terrorismus den Boden entziehen und die Organisationsstrukturen der Al-Kaida und der Taliban zerschlagen – mit diesem Argument war die Besatzung begründet worden. Dazu werde man aber nicht nur militärische Gewalt anwenden, sondern man werde großzügig zivile Aufbauprojekte in Gang setzen – zeitweise war sogar von einem afghanischen Marshallplan die Rede. Man hat verkündet, nur durch Modernisierung der afghanischen Gesellschaft könne dem militanten Islamismus die gesellschaftliche Legitimation entzogen werden. Die AfghanInnen – so die Idee – sollten sich eher dem westlichen Gesellschaftsmodell als dem der Taliban verbunden fühlen.

Die Folge dieses Modells: Nahezu alle ausländischen Organisationen in Afghanistan gehen von der Überlegenheit der westlichen gegenüber der afghanischen Gesellschaftsform aus. Heraus kam dabei eine typisch imperialistische Entwicklungspolitik mit Korruption, Ineffizienz und Selbstbereicherung der Bosse dieser Organisationen und deren heimischer Vertreter.
Die Rolle der Kabuler Regierung
Die Ausweitung des Bürgerkriegs in Afghanistan hat das Machtgefüge der von der Euro-amerikanische Kriegskoalition eingesetzten Regierung stark eingeschränkt und die Bevölkerung desillusioniert, denn immer mehr Schlüsselpositionen der Regierung werden mit im westlichen Sinne loyalen und geschulten Personen besetzt. Diese Änderungen haben natürlich den Marionettencharakter dieser Regierung bloßgestellt.
So werden die so hoch gepriesene „Demokratisierung“ Afghanistans und deren militärische Absicherung durch die westlichen Besatzungsmächte von vielen AfghanInnen nur als Mittel zur Sicherung der strategischen Interessen der westlichen kapitalistischen Länder und deren heimischer Elite betrachtet. Die Aufgaben der Kabuler Regierung sind auf reine Routine-Verwaltungsaufgaben reduziert geblieben. Um zu verdeutlichen wie ohnmächtig die Regierung gegenüber ausländischen militärischen und zivilen Institutionen ist, genügt wahrscheinlich das Beispiel des Parlamentsbeschlusses zur Beseitigung der Blockaden in den Straßen von Kabul (für einen besseren Fluss im Autoverkehr): Der Beschluss wurde von der ISAF, den privaten amerikanischen Sicherheitsfirmen und den mächtigen westlichen Hilfsorganisationen vollständig ignoriert.

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