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Länder

Afghanistan: Aasgeier im Anflug

Von Harry Tuttle | 01.03.2008

Die Bundesregierung erhöht die Truppenstärke in Afghanistan und feiert ihren Beitrag zur Demokratisierung. Doch die Intervention stärkt Islamisten und Warlords. Manchmal lohnt es sich, bei Bundestagsdebatten genau hinzuhören. Bei der Afghanistan-Konferenz im Juni in Paris werde „Halbzeitbilanz“ gezogen, erläuterte Günter Gloser (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, Mitte Februar den Abgeordneten. Offenbar rechnet die Bundesregierung also noch mit mindestens sieben Jahren Krieg.

Die Bundesregierung erhöht die Truppenstärke in Afghanistan und feiert ihren Beitrag zur Demokratisierung. Doch die Intervention stärkt Islamisten und Warlords.

Manchmal lohnt es sich, bei Bundestagsdebatten genau hinzuhören. Bei der Afghanistan-Konferenz im Juni in Paris werde „Halbzeitbilanz“ gezogen, erläuterte Günter Gloser (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, Mitte Februar den Abgeordneten. Offenbar rechnet die Bundesregierung also noch mit mindestens sieben Jahren Krieg.

Eigentlich sollte die Bundesregierung darüber informieren, ob die Zahl der in Afghanistan stationierten Bundeswehrsoldaten, derzeit über 3 000, erhöht wird. Die Erklärung erschöpfte sich in nebulösen Andeutungen, mittlerweile ist jedoch so gut wie sicher, dass die Bundesregierung dem Drängen anderer NATO-Staaten nachgeben und die Truppenstärke um mindestens 500, vielleicht aber auch 1 500 oder mehr Soldaten erhöhen wird. Sie werden möglicherweise auch im Süden des Landes eingesetzt, wo es Kämpfe mit den Taliban gibt. Um die zu erwartenden Rechtfertigungsprobleme zu reduzieren, soll der Bundestag nicht mehr alle zwölf, sondern nur noch alle 18 Monate über das Mandat für den Afghanistan-Krieg entscheiden. Die nächste Abstimmung steht im Oktober an, und die Bundesregierung wünscht nicht, dass eine Debatte über den unpopulären Krieg den Wahlkampf 2009 stört.

Realpolitisch betrachtet ist diese Entscheidung unvermeidlich, um den Einfluss Deutschlands in der NATO und der Weltpolitik zu erhalten. Der Unwille der westlichen Verbündeten ist verständlich. Deutschland hat sich bei internationalen Militäreinsätzen mit einem Minimum an Risiken und Kosten ein Maximum an Einfluss verschafft. Derzeit sind 7 100 Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz, Bodentruppen vor allem in Afghanistan und im Kosovo (knapp 2 500), Marineeinheiten vor der libanesischen Küste und am Horn von Afrika.

Da die libanesische Hizbollah sich auf dem Landweg mit Waffen versorgt, ist die Marine nur dann in Gefahr, wenn, wie im Januar geschehen, ein unachtsamer Kapitän ein anderes Schiff rammt. Der Einsatz vor der ostafrikanischen Küste im Rahmen des „war on terror“ sichert eine westliche Militärpräsenz in einem strategisch wichtigen Gebiet. Die Marineeinheiten haben in mehr als sechs Jahren weder Terroristen gefangen noch Waffen beschlagnahmt.
Propagandistische Kunststücke
Die Präsenz im Kosovo ist eine Folge des Krieges gegen Serbien 1999. Dass der NATO-Angriff gegen internationales Recht verstieß, störte seinerzeit Politiker wie Joschka Fischer nicht. Damals entstand das Bild des Bundeswehrsoldaten als eines humanitären Helfers, im Hinblick auf Afghanistan pflegt die Bundesregierung nun eifrig das Bild des deutschen Soldaten als eines bewaffneten Entwicklungshelfers, dessen Arbeit noch viel erfolgreicher wäre, wenn die unbelehrbaren Amerikaner nicht ständig dazwischenbomben würden. Ohne den Angriff der USA wäre es jedoch gar nicht zu einer Stationierung der Bundeswehr gekommen, und obwohl die ausländischen Truppen sich in zwei Gliederungen teilen, die ISAF zur Unterstützung der afghanischen Regierung und die im Rahmen des „war on terror“ kämpfenden, überwiegend amerikanischen Truppen, operieren nun einmal alle im gleichen Land mit den gleichen Zielen. In der deutschen Debatte werden US-Politiker gerne als Falken bezeichnet, ein nicht ganz zutreffender Vergleich, denn ein Falke trifft immer sein Ziel, wenn er herabstößt, was man von der US-Luftwaffe nicht behaupten kann. Suchte man einen Wappenvogel für die deutschen PolitikerInnen, wäre wohl der Aasgeier die beste Wahl. Die deutsche Interventionspolitik konzentriert sich darauf, die von der US-Militärmaschinerie hinterlassenen Trümmerfelder nach Beute abzusuchen.

Ihren Beitrag hält die Bundesregierung für unentbehrlich. Seit nicht mehr Deutschland, sondern die EU die Verantwortung für die Polizeiausbildung in Afghanistan trage, gehe es bergab, behauptete der CDU-Abgeordnete Bernd Schmidbauer: „Ein Dreck hat sich hier positiv entwickelt.“ 2002 hatte Deutschland die Polizeiausbildung übernommen. Bereits im folgenden Jahr begann die US-Regierung eigene Programme, sie investierte zwischen 2002 und 2006 mehr als zwei Milliarden Dollar in die afghanische Polizei, vornehmlich in deren Bewaffnung. Deutschland zahlte im gleichen Zeitraum knapp 80 Mio. €, die Ausbildung sollte eine demokratische Polizei schaffen. Die International Crisis Group stellte im August 2007 fest, dass Korruption, Erpressung, Plünderung, Misshandlung von Gefangenen und Parteinahme für lokale Warlords bei der Polizei so weit verbreitet sind, dass viele Afghanen sich deshalb gegen die Regierung wenden.

Das wohl bemerkenswerteste propagandistische Kunststück ist jedoch, dass die Bundesregierung recht erfolgreich den Eindruck erweckt hat, Deutschland sei führend beim zivilen Aufbau. Bis zum Jahr 2007 wurden dafür jährlich 80 Mio. € gezahlt, es gilt schon als großzügig, dass es in Zukunft 100 bis 120 Millionen sein sollen. Diese Beträge sind selbst im Vergleich mit den Zahlungen anderer westlicher Staaten erbärmlich gering. Während im warmen Bundestag RegierungspolitikerInnen die angeblichen deutschen Leistungen priesen, erfroren bei einer Kältewelle in Afghanistan mehr als 900 Menschen. Etwa die Hälfte der Kinder unter fünf Jahren ist chronisch unterernährt.
Feinde des Glücks
Wer Mitte Februar in Berlin etwas über die afghanische Realität erfahren wollte, war daher gut beraten, sich lieber den Film „Enemies of Happiness“ (Feinde des Glücks) anzusehen. Er schildert die Arbeit der Abgeordneten und Bürgerrechtlerin Malalai Joya, die im Rahmen der Berlinale von der Initiative Cinema for Peace den International Human Rights Award erhielt. Bereits Joyas erste Rede vor dem afghanischen Parlament verursachte 2003 einen Skandal. Sie hielt den versammelten Islamisten und Warlords ihre Kriegsverbrechen vor und forderte, sie vor Gericht zu stellen.

Joya gehört zur Minderheit demokratischer Abgeordneter, die die Herrschaft der Warlords und ihre Unterstützung durch die Interventionsmächte kritisieren. Sie muss in Afghanistan unter Bewachung leben und ständig den Wohnort wechseln. Bei islamistischen Demonstrationen wird „Nieder mit Malalai Joya“ gerufen.

Es verwundert nicht, dass deutsche Abgeordnete in etwas milderer Form in den islamistischen Schlachtruf einstimmen. Renate Künast (Grüne) nannte Joya im Oktober 2007 in einer Bundestagsrede eine unglaubwürdige „K
ronzeugin“ die „sich auch vor Ort selber ins Off katapultiert hat.“

Demokratische AfghanInnen haben von den westlichen Staaten keine Unterstützung zu erwarten, am allerwenigsten aus Deutschland. Dem Studenten und Journalisten Sayid Pervez Kambaksh droht die Todesstrafe, weil er einen aus dem Internet heruntergeladenen Text über Frauenrechte im Islam unter seinen Kommilitonen verteilte. Der „gemäßigte“ Präsident Hamid Karzai hat sich geweigert, das von einem Sharia-Gericht verhängte Urteil aufzuheben, an dem auch sein religiöser Berater Sibghatullah Mojahedi beteiligt war. Wie es bei der angeblichen „Beleidigung des Islam“ häufig der Fall ist, steht hinter dem Urteil nicht allein religiöse Empfindsamkeit. Kambakshs Bruder, Sayid Yakub Ibrahimi, ist der bekannteste investigative Journalist des Landes. Er hat zahlreiche Korruptionsfälle und Menschenrechtsverletzungen aufgedeckt, überwiegend im Norden Afghanistans, im Einsatzgebiet der Bundeswehr.

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Übersicht der ISAF-Mandatsgebiete in Afghanistan
„Helden des Jihad“
Deutschland spielte eine führende Rolle bei der „Islamisierung“ Afghanistans. Das Ende 2001 in Petersberg nahe Bonn geschlossene Abkommen über die Neuordnung des Landes bekundet die Anerkennung für die „Helden des Jihad“ gegen die sowjetische Intervention nach 1979. Die unter deutscher Federführung erstellte und 2004 verabschiedete Verfassung macht die „Bewunderung für die höchste Position der Märtyrer“ zur Grundlage der „Islamischen Republik Afghanistan“. Basis der Justiz sind die „Bestimmungen der heiligen Religion des Islam“.

Seit die wieder erstarkten Taliban in die Offensive gingen, mehren sich die Versuche, den „gemäßigten“ Flügel der Bewegung zu integrieren. Auch hierbei hat Deutschland die Führungsrolle. Die US-Regierung nahm bereits 2003 Kontakte zu den Taliban auf, besteht aber auf einer Trennung von al-Qaida, die die Führung der Bewegung bislang ablehnt. Die Bundesregierung dagegen verhandelte 2005 auch mit zwei Taliban, die auf US-Fahndungslisten standen. Die zu Geheimverhandlungen nach Deutschland Angereisten hatten jedoch kein Mandat der Führung.

Wenngleich die verlogene Selbstgerechtigkeit deutscher PolitikerInnen besonders unappetitlich ist, repräsentiert sie letztlich doch die Haltung der NATO-Staaten, die sich am islamistischen Terror nur dann stören, wenn er ausnahmsweise einmal den Westen trifft. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern nur noch mit welchem Personal die islamistische Bewegung die Macht ausübt. Die Bundeswehr und andere NATO-Armeen stützen ein Regime, unter dem weiterhin 70 % der Mädchen und Frauen zwangsverheiratet werden.

Eine Demokratisierungspolitik müsste jene Bevölkerungsgruppen stärken, die ein Interesse an der Veränderung haben: Frauen, arme Bauern, Lohnabhängige und Jugendliche. Dies ist ziemlich genau das Gegenteil dessen, was die „internationale Gemeinschaft“ tut. Sie drängt die Regierung, die wenigen Staatsbetriebe zu privatisieren, die dann folgenden Entlassungen werden die ohnehin schmale Schicht der Lohnabhängigen weiter reduzieren. Sie lässt die Opiumfelder zerstören und treibt die ihrer Lebensgrundlage beraubten Bauern in die Arme der Taliban. Sie stärkt die Warlords, die die Bauern in neofeudaler Abhängigkeit halten.

Der soziale Fortschritt in Afghanistan kann nur revolutionär durchgesetzt werden. Die demokratische und linke Opposition ist derzeit schwach, doch die Macht der Warlords beruht allein auf Gewalt. Andernfalls müssten sie dann nicht soviel Angst davor haben, dass eine Frau wie Malalai Joya, die sich nicht mit Drogengeld Loyalität erkaufen kann und keine Miliz kommandiert, einfach nur die Wahrheit sagt.

Länder mit mehr als 1000 Soldaten im Einsatz
Kanada 1730 Polen 1141
Frankreich 1292 Türkei 1219
Deutschland 3155 Großbritannien 7753
Italien 2358 USA 15038
Niederlande 1512    

Quelle: ISAF, Stand: Dezember 2007
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