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Länder

Abwegiger Blickwinkel

Von Birgit Althaler | 29.09.2005

Antwort auf den Leserbrief „eines Wütenden” zum Artikel „Ein Traum wird Wirklichkeit” in Avanti September 2005.

Antwort auf den Leserbrief „eines Wütenden” zum Artikel „Ein Traum wird Wirklichkeit” in Avanti September 2005.

170 palästinensische Organisationen rufen die Weltöffentlichkeit zu einer Boykott-Devestment-Sanctions-Kampagne auf. Boykott zielt auf das Individuum und meint, dass z.B. keine israelischen Produkte gekauft oder kein Urlaub in Israel gemacht wird. Devestment zielt auf Unternehmen, aber auch kirchliche Institutionen und meint den Rückzug von Investitionen, Sanktionen zielt auf die politischen Instanzen und die Aufkündigung zwischenstaatlicher Abkommen, wofür Druck auf unsere Regierungen aufgebaut werden muss. Dass der Begriff Boykott in linken Kreisen mit der Aufforderung “Kauft nicht bei Juden” assoziiert wird statt etwa mit dem Boykott Südafrikas bis zur Abschaffung der Apartheid, hängt vermutlich mit den Abwegen einer deutschen Diskussion zusammen. Der Boykott israelischer Produkte und Institutionen zielt nicht auf die Vernichtung der Existenzgrundlagen oder gar der physischen Existenz einer Gruppe, wie dies im Nationalsozialismus gegenüber der jüdischen Bevölkerung der Fall war. Er zielt darauf ab, ein Land politisch unter Druck zu setzen, um dieses zur Anerkennung der Rechte eines unterdrückten Volks zu zwingen. Den Begriff Volk benutze ich hier übrigens als nicht determiniertes, offenes Konzept, um die PalästinenserInnen mit zu benennen, die nicht in Israel/Palästina leben und trotzdem nationale Rechte besitzen.

Die Solidaritätsbewegung muss selbst entscheiden, welche Maßnahmen sie sich in welchem Kontext zutraut, und es spricht auch nichts dagegen, in Deutschland andere Begriffe zu verwenden. Worauf es ankommt, ist die Bereitschaft, Israel politisch zu isolieren, sei dies im Bereich der Wirtschaft, des Sports, der Kultur, der Wissenschaften oder sonst wo.
Solidarität mit einem mittlerweile in seiner gesellschaftlichen Existenz bedrohten Volk kann nicht erst dort ansetzen, wo dieses einen revolutionären Klassenkampf führt. Der in fortschrittlichen israelischen wie palästinensischen Kreisen geforderte Druck auf Israel fühlt sich gerade einem nicht ethnisch, religiös oder nationalistisch orientierten Ansatz verpflichtet und läuft auf die Anerkennung von Israel/Palästina als eines zum arabischen Raum gehörenden Landes mit einer national ausgesprochen durchmischten Bevölkerung hinaus.

Ansätze des Klassenkampfs gibt es sehr wohl, zu nennen wäre etwa die wertvolle Arbeit des Democratic Workers Rights Center in den besetzten Gebieten. Dennoch ist der Klassenkampf sowohl in der israelischen wie auch der palästinensischen Gesellschaft weitgehend blockiert durch eine rassistische (über Abstammung) definierte Vorherrschaft der jüdischen Gesellschaft über den Rest.

Was die arabischen Regimes des Nahen Ostens betrifft, geben sich gerade fortschrittliche PalästinenserInnen und weite Teile der Solidaritätsbewegung keinerlei Illusionen über deren teils reaktionären, teil pro-imperialistischen Kurs hin.

Aus der Geschichte Deutschlands (Österreichs etc.) lassen sich auch andere Schlüsse ableiten als Blindheit gegenüber der Politik des israelischen Staates, nur weil dort viele in Europa verfolgte Juden/Jüdinnen Zuflucht gefunden haben. Die Antideutschen bringen es auf den Punkt, wenn sie den jüdisch-israelischen Nationalismus als einzig legitimen bezeichnen. Viele MarxistInnen und andere kritische Geister haben seit den Anfängen des Zionismus Ende des 19. Jahrhunderts und über die Katastrophe der Shoah hinaus eine andere Schlussfolgerung gezogen und sich dagegen verwehrt, dass im Nahen Osten in Namen des jüdischem Volks ein nationalistisches Projekt gegen die palästinensische Bevölkerung verwirklicht wird, das nur im Kontext imperialistischer Interessenpolitik haltbar war und ist.

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