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Linke

50 Jahre Vierte Internationale in Mannheim (1956- 2006)

Von H.N. | 01.12.2006

1956 war ein besonderes Jahr. Vor allem wegen des blutig unterdrückten Räteaufstandes der ungarischen ArbeiterInnen. Sicher auch wegen des XX. Parteitages der KPdSU und Chruschtschows „Geheimrede” zu Stalins Verbrechen.

1956 war ein besonderes Jahr. Vor allem wegen des blutig unterdrückten Räteaufstandes der ungarischen ArbeiterInnen. Sicher auch wegen des XX. Parteitages der KPdSU und Chruschtschows „Geheimrede” zu Stalins Verbrechen.

Wie konnte es aber dazu kommen, dass damals, in der Hochphase des „Kalten Krieges”, die Mannheimer Ortsgruppe der IV. Internationale gegründet wurde? Um diese Frage beantworten und eine grobe Skizze der Anfänge der Mannheimer Gruppe entwerfen zu können, müssen wir zunächst noch einige Jahre weiter zurückblicken.
Vorgeschichte
Anfang 1948 kam es in Berlin zum Eklat zwischen dem Vertreter des Parteibezirks Nordbaden und dem Vertreter Stalins im gemeinsamen Parteivorstand von KPD und SED. Der eine, Willy Boepple, hatte es erneut gewagt, sich kritisch mit der Deutschlandpolitik des Kreml und ihren verheerenden Folgen für die KPD auseinander zu setzen. Der andere, Walter Ulbricht, hatte „sich [daraufhin] verfärbt, mit der Faust auf den Tisch gehauen und … [W. Boepple] angebrüllt: Wenn der Genosse Stalin sagt, die Oder-Neiße-Linie ist gültig und die Deutschen müssen da raus, dann ist sie gültig, und die Deutschen müssen raus.” Im April 1948 zog Willy die Konsequenz aus seinen politischen Differenzen mit der Parteispitze und legte sein Landtagsmandat sowie sämtliche Parteiämter nieder, und im März 1949 trat er nach heftigen Debatten aus der KPD aus.
Vor dem Hintergrund des Ost-West-Konfliktes gelang es den herrschenden Kreisen in der BRD, eine repressive politische Atmosphäre zu schaffen. Schon lange vor dem KPD-Verbot 1956 konnten wieder Haftstrafen und Berufsverbote für KommunistInnen verhängt und dem weiteren Niedergang der deutschen ArbeiterInnenbewegung der Weg geebnet werden. In dieser Zeit der politischen Reaktion musste sich die deutsche Sektion der IV. Internationale, die Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD), behaupten.

Ab Sommer 1950 beteiligte sich Willy Boepple wie andere ehemalige KPD-FunktionärInnen an den Vorbereitungsarbeiten zur Gründung der Unabhängigen Arbeiterpartei (UAP), die an Titos Jugoslawien orientiert war. Willy lernte dadurch die IV. Internationale und ihren Positionen kennen. Vor allem Trotzkis Verratene  Revolution vermittelte ihm „klare Einsichten… über das Problem der Bürokratie und des Stalinismus”. Eine lange Diskussion mit Ernest Mandel in Mannheim gab für Willy den letzten Anstoß, Ende April 1951 der IV. Internationale beizutreten. Ernest erinnerte sich daran 1994 wie folgt: „Zum ersten Mal seit Ende des 2. Weltkriegs trat ein ZK-Mitglied einer KP zu uns über… [Der] Bruch mit einer Partei, …die …, trotz ihrer Schwäche, noch bedeutsame Möglichkeiten politischen Handelns und nicht unbedeutende materielle Vorteile im Ostblock bot, [war] zweifelsohne ein Opfer und ein Risiko. Wir waren noch viel kleiner. Wir hatten keine selbständige Massenbasis. Zu uns kam man nicht, um Karriere zu machen oder materielle Vorteile zu erlangen. Zu uns kam man nur aus Überzeugung.”
Sehr bald gewann Willy Boepple in der Sektion, die damals bundesweit kaum mehr als 30 Mitglieder zählte, politischen Einfluss. Als gewähltes Leitungsmitglied spielte er gemeinsam mit Georg Jungclas, dem Sekretär der Organisation, bis in die 60er Jahre eine führende Rolle.

Nach dem Scheitern der UAP traten die deutschen Mitglieder der IV. Internationale 1953 einzeln der SPD bei, hielten aber ihre internen Gruppenstrukturen aufrecht. Sie gingen davon aus, dass sich eine politische Radikalisierung vor allem in der SPD als traditioneller Massenpartei der ArbeiterInnenbewegung auswirken würde. Ziel ihres „Entrismus” war es, den linken Flügel in der Partei zu stärken. In einer gesellschaftlich zugespitzteren Situation sollte so die Grundlage für eine in der ArbeiterInnenschaft verankerte revolutionäre Partei geschaffen werden.

In einem damals wahrscheinlich von Willy Boepple verfassten Thesenpapier heißt es: „Die revolutionäre Klassenpartei kann nicht willkürlich ‚geschaffen’ oder ‚proklamiert’ werden. Sie kann nur organisch aus dem Differenzierungs- und Reifeprozeß der fortgeschrittenen Arbeiter, gestützt auf ihre politische und gewerkschaftliche Kampferfahrung, erwachsen. Sie entsteht in dem Augenblick, wo ein bedeutender Teil der tatsächlichen Führer der Arbeiterklasse in Betrieb und Gewerkschaften und allen Massenorganisationen sich der Notwendigkeit eines Zusammenschlusses zum Beschreiten eines revolutionären Weges… bewußt ist. Aber dieser Differenzierungs- und Reifungsprozeß wird… überhaupt erst ermöglicht…, wenn er befruchtet wird durch das bewußte Eingreifen eines organisierten Kaders, der in seinem Programm… Weg und Ziel der Revolution niedergelegt hat und mit seiner Aktivität die Voraussetzungen schafft, um die Vorhut der Arbeiterklasse von der Richtigkeit dieses Programms zu überzeugen.”
Gründung
1956 führten die Bemühungen Willy Boepples, eine Mannheimer Gruppe der IV. Internationale aufzubauen, zum Erfolg. Zu dieser Zeit galt Hermann Weber, der später als Kommunismusforscher berühmt wurde, als „Sympathisant”. Um Einzelne mit den Ideen des revolutionären Marxismus vertraut zu machen und – nicht zuletzt – um neue Mitglieder zu gewinnen, gründete die Gruppe wie in anderen Städten einen „Marxistischen Arbeitskreis” (MAK).

Am Mannheimer MAK beteiligten sich Mitglieder der SPD-Betriebsgruppe von Daimler-Benz, hauptamtliche GewerkschaftsfunktionärInnen, JungsozialistInnen, AktivistInnen des SDS und Studierende des Seminars für Sozialberufe. Oft auf der Grundlage von Texten aus der theoretischen Zeitschrift die internationale diskutierten sie über aktuelle politische Probleme oder führten Schulungen über prinzipielle Fragen der marxistischen Analyse durch.
Die seit 1954 herausgegebene Zeitschrift  Sozialistische Politik (SOPO) stieß im Umfeld der Sektion auf eine positive Resonanz und unterstützte die politische Aktivität in der SPD und in den Gewerkschaften. Auf dem Höhepunkt der entristischen Arbeit der Mannheimer Gruppe Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre konnten allein beim „Benz” auf dem Waldhof etwa 90 Zeitungen im Monat verkauft werden.
Betriebsarbeit
Ab 1957/58 bestimmte die Mannheimer Gruppe im wesentlichen die Politik der SPD-Betriebsgruppe bei Daimler-Benz und gab eine Betriebszeitung heraus.

Neben den monatlichen Treffen der Mitglieder der IV. Internationale und den Zusammenkünften des MAK konnten bis Ende 1961 regelmäßig Betriebsgruppensitzungen organisiert werden. Daran nahmen bis zu 30 Genossinnen und Genossen teil und diskutierten über Themen wie Remilitarisierung, Anti-Atomtod, Ostermärsche, Wahlkampfpolitik der SPD und Solidarität mit der algerischen Revolution, aber auch über Tarifp
olitik, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Reform der Krankenversicherung, Preissteigerungen, Mietfreigabe, Unternehmenskonzentration. Nicht zuletzt setzten sie sich mit konkreten Fragen wie Arbeitssicherheit, Lohn und Akkord, Arbeitstempo und Frühinvalidität auseinander und versuchten, auch über die Lage in anderen Betrieben zu informieren.

Diese Diskussionen dienten nicht nur zur inhaltlichen Vorbereitung der Betriebszeitung, sondern auch von Diskussionsbeiträgen und Anträgen für Konferenzen und Versammlungen sowie von Parolen und Transparenten für Kundgebungen und Demonstrationen der Gewerkschaften und der SPD.
Der Schwerpunkt der praktischen Arbeit lag auf der Auseinandersetzung mit innerbetrieblichen und innergewerkschaftlichen Problemen. So bereitete die Betriebsgruppe Betriebsversammlungen, Vertrauensleutetreffen und Delegiertenkonferenzen der IG Metall vor.

Zum großen Teil waren die Zusammenkünfte der SPD-Betriebsgruppe bei Daimler-Benz durch Absprachen der Ortsgruppe vorbereitet. Es war üblich, ReferentInnen auch von außerhalb des Betriebs einzuladen – Mitglieder der IV. Internationale oder des MAK.

Durch die Initiative der bei Daimler-Benz arbeitenden Mitglieder der IV. Internationale konnte die Aufstellung der IG Metall-Liste für die Betriebsratswahlen demokratischer gestaltet werden. Gegen den Willen der hauptamtlichen IGM-Funktionäre und vieler Betriebsräte setzten die Vertrauensleute das Recht durch, die KandidatInnenliste aufzustellen. Diese mehrjährige Auseinandersetzung stärkte die Stellung der „TrotzkistInnen” im Vertrauenskörper erheblich. Damals gehörten der Mannheimer Ortsgruppe drei Vertrauensleute und vier Betriebsräte vom „Benz” an – darunter der spätere Gesamtbetriebsratsvorsitzende Karl Feuerstein.

Auch im Metallerstreik 1963 machte sich ihr Einfluss spürbar. Sie mobilisierten eine Protestdelegation aus Mannheimer Metallbetrieben zum Frankfurter Vorstand der IG Metall um Otto Brenner und forderten massiv den Beginn des Arbeitskampfes. Praktisch alle wichtigen Losungen und Aktivitäten während dieser Tarifauseinandersetzung gingen in Mannheim auf die Initiative der Ortsgruppe zurück und wurden gegen den Widerstand des hauptamtlichen IGM-Apparats durchgesetzt.
Trotz aller politischen und organisatorischer Brüche in den Zeiten danach – die Mannheimer Gruppe der IV. Internationale kämpft auch 50 Jahre nach ihrer Gründung für die Verwirklichung des Traums von der Roten Republik.

*       Alle Zitate nach: W. Alles (Hg.), Gegen den Strom, Texte von Willy Boepple (1911-1992), Köln 1997.]
 

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