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Betrieb & Gewerkschaft

1000 demonstrieren gegen Arbeitsplatzvernichtung

Von Korrespondent Weinheim | 01.01.2006

Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut!” “Hopp, hopp, hopp, – Abbau Stop!” Mit Sprechchören wie diesen und mit Trommel- und Trompetenbegleitung zogen am Samstag, den 17.12.05, über 1000 Menschen mit Fahnen und Transparenten vom TOR 1 der Firma Freudenberg zum Weinheimer Marktplatz, wo die Abschlusskundgebung stattfand. Die seit vielen Jahren größte Demonstration in Weinheim war nicht nur ausgesprochen kämpferisch, sondern fand auch in den Medien sehr große Beachtung.

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„Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut!” “Hopp, hopp, hopp, – Abbau Stop!” Mit Sprechchören wie diesen und mit Trommel- und Trompetenbegleitung zogen am Samstag, den 17.12.05, über 1000 Menschen mit Fahnen und Transparenten vom TOR 1 der Firma Freudenberg zum Weinheimer Marktplatz, wo die Abschlusskundgebung stattfand. Die seit vielen Jahren größte Demonstration in Weinheim war nicht nur ausgesprochen kämpferisch, sondern fand auch in den Medien sehr große Beachtung.

Aufgerufen hatte das erst im November 2005 neu gegründete Solidaritätskomitee für die Erhaltung der Arbeitsplätze in Weinheim und Region (siehe Kasten). Helmut Schmitt, Vorsitzender der Ortsgruppe Weinheim der IG BCE und Sprecher des Solidaritätskomitees, führte in seiner Ansprache aus, wie dramatisch sich der Personalabbau in Weinheim in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat.
Allein bei der Firma Freudenberg sei die Anzahl der Beschäftigten von 14.700 noch im Jahr 1970 auf nunmehr nur noch knapp 6.000 gesunken und der Personalabbau solle weitergehen. Auch die Firma Naturin in Weinheim habe in den letzten 15 Jahren ihre Belegschaft mehr als halbiert. Von den jetzt noch knapp 600 Beschäftigten würden im nächsten Jahr nochmals über 100 Kolleginnen und Kollegen gekündigt. Die Weinheimer Nudelfabrik 3-Glocken werde im Jahr 2006 komplett mit ihren ca. 130 Beschäftigten nach Mannheim verlagert und in die Firma Birkel integriert. Dort sei zwar bisher noch kein Personalabbau angekündigt, aber aufgrund der Synergieeffekte müsse dort ebenfalls mit einschneidenden Personalmaßnahmen gerechnet werden.

Die immer kleiner werdende Zahl von Arbeits- und Ausbildungsplätzen sei „eine schlimme Hypothek für die Zukunft der ganzen Region” so Helmut Schmitt. „Was nutzen Gewinne in China oder Osteuropa, wenn sich die Menschen sowohl dort, als auch bei uns, die Produkte nicht mehr leisten können, weil sie arbeitslos sind und weil sie zu wenig Lohn erhalten?” Die Auswirkungen dieser Unternehmenspolitik würden alle zu spüren bekommen, z. B. auch der Einzelhandel und die heute schon finanziell gebeutelten Kommunen, die ihre sozialen und kulturellen Einrichtungen wegen Geldmangel kaum noch unterhalten können.
Politik der Umverteilung
Helmut Schmitts Kritik richtete sich auch gegen die neue Bundesregierung, die die Politik der Umverteilung der Vorgängerregierung fortsetzen will. Statt die Ursache der Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen und Entlassungen zu verbieten, würden die Arbeitslosen und die Beschäftigten verantwortlich gemacht und gleichermaßen bestraft. Mit Hartz IV würden keine Arbeitsplätze geschaffen oder erhalten. Im Gegenteil! Mit der Einführung von Hartz IV würden nachweislich Normalarbeitsplätze in ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt. Hartz IV sei ein Instrument zur Deregulierung des Arbeitsmarktes auf Kosten der Erwerbslosen und der abhängig Beschäftigten. Es werde damit eine langfristige Weichenstellung vorgenommen zur nachhaltigen Etablierung von Billiglöhnen und Scheinselbständigkeit. Damit sollen die Tarifverträge unterlaufen und das Lohnniveau insgesamt gesenkt werden. Die Armut für diejenigen, die ohne Erwerbseinkommen sind, werde nachhaltig verschärft. Zukünftig werde es dank Hartz IV in großem Umfang Armut trotz Arbeit geben.
Eigenes Konzept
In diesem Zusammenhang sei die Forderung nach Arbeitszeitverlängerung, wie sie derzeit überall von den Kapitalvertretern gestellt würde, nur noch absurd und menschenverachtend. Es sei klar, dass die Umsetzung von Arbeitszeitverlängerung die Arbeitslosigkeit verschärfe. Daran werde auch deutlich, dass es dem Kapital in keiner Weise um den Abbau der Arbeitslosigkeit gehe.

Die Beschäftigten müssten den falschen und untauglichen Konzepten der Unternehmer und der Regierung ihr eigenes Konzept entgegenhalten und für eine gerechte Verteilung der Arbeit kämpfen. Arbeitszeitverkürzung solange bis alle Arbeit haben und mit dem entsprechenden Lohnausgleich, das sei die wichtigste Forderung um glaubwürdig und nachhaltig der fortschreitenden Arbeitsplatzvernichtung und der Massenarbeitslosigkeit zu begegnen. Im Interesse einer gesamtgesellschaftlichen Politik müsse auch die Aussage des Artikel 14 im Grundgesetz: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen”, verstärkt eingefordert werden. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit müsse deshalb auch den Kampf für ein Verbot von Entlassungen beinhalten.
Freundenberg
Nach dem Sprecher des Solidaritätskomitees sprachen noch weitere drei Redner. Zunächst ging der BR-Vorsitzende der Freudenberg Vliesstoffe KG, Norbert Pöhlert, in seinen Ausführungen auf die Situation der Firma ein. 349 Arbeitsplätze will die Vliesstoffe KG allein in Weinheim vernichten. Ein großer Teil davon soll nach Ost­europa verlagert werden. Aber nicht nur die Produktion ist betroffen, sondern auch der Verwaltungsbereich. So soll z. B. die Buchhaltung nach Rumänien verlagert werden. Er machte deutlich, dass die Vliesstoffe-Belegschaft nicht gewillt sei, den angekündigten Personalabbau von 349 Beschäftigten widerstandslos zu akzeptieren. Er verwies darauf, dass schon in der Vergangenheit genug Zugeständnisse von Seiten des Betriebsrats und der Belegschaft gemacht worden seien, die aber in keiner Weise zu einer größeren Sicherheit für die Arbeitsplätze geführt hätten. Im Gegenteil! Die Angriffe auf die sozialen Besitzstände der Beschäftigten seien stärker geworden und Erpressungsversuche der Geschäfts- und Konzernleitung würden das Verhältnis zur Belegschaft und zum Betriebsrat prägen. Vor diesem Hintergrund habe die Belegschaft jegliches Vertrauen in die betrieblich Verantwortlichen verloren. Er forderte die Beschäftigten der Vliesstoffe KG auf, sich nicht durch Angst lähmen zu lassen.
Alstom Power
Der BR-Vorsitzende der Alstom Power Mannheim, Udo Belz, stellte vor allem die Notwendigkeit des gemeinsamen, betriebsübergreifenden Widerstandes gegen Arbeitsplatzvernichtung heraus. Die Belegschaft von Alstom leiste schon seit vielen Jahren aktiven Widerstand gegen den Personalabbau im Mannheimer Werk. Mittlerweile habe die ganze Belegschaft begriffen, dass der Personalabbau, auch wenn er zunächst nur in kleinen Schritten erfolge, letztendlich den Fortbestand des ganzen Betriebes in Frage stelle. Allein im Jahr 2005 habe die Belegschaft, so klar und so oft wie noch nie zuvor, im Rahmen von
mehrtätigen Betriebsversammlungen ihren Protest gegen die Konzernpläne zum Ausdruck gebracht und dies auch in der Mannheimer Öffentlichkeit demonstriert. Der aktive Kampf und die öffentliche Solidarität, sowohl in Deutschland, als auch in Frankreich, wo sich der Konzernsitz befinde, sei die Voraussetzung dafür, dass den Konzernplänen ein Strich durch die Rechnung gemacht werden könne. Wer allein aus reiner Geldgier den sozialen Frieden aufkündige, brauche auch eine entsprechende Antwort und die könne nur heißen: „Widerstand!”

Er machte den Weinheimern Mut, es nicht mit dieser einen Demo bewenden zu lassen. Er rief dazu auf, den Widerstand auszuweiten. Denn ein Arbeitsplatz, der in der Industrie verloren gehe, koste weitere zwei bis drei Jobs im Umfeld. Auch diese Menschen müssten einbezogen werden. Er rief weiter dazu auf, sich mit den nächsten Aktionen der Alstom-Belegschaft zu solidarisieren und sich an den geplanten Aktionen am 23. Januar 2006 zu beteiligen.
Roche Diagnostics
Als letzter Redner sprach Wolfgang Katzmarek, Bezirksvorsitzender der IG BCE in Mannheim und BR-Vorsitzender von Roche Diagnostics Mannheim. Dieser schloss sich den Aussagen der Vorredner an und betonte, dass sich die Menschen den Angriffen auf zentrale Arbeitnehmerrechte gemeinsam entgegenstellen müssten. Die Unternehmer würden mittlerweile vieles, was früher als selbstverständlich galt, in Frage stellen und den Abbau der gewerkschaftlich erkämpften Rechte auf breitester Front betreiben. Tarifliche Mindeststandards seien gefährdet, weil immer mehr Unternehmen aus Tarifverträgen flüchten würden. Die Solidarität aller Beschäftigten und starke Gewerkschaften seien so wichtig wie nie zuvor, um in dieser Auseinandersetzung handlungsfähig zu bleiben. Auch er rief dazu auf, sich bei den anstehenden Auseinandersetzungen um die Erhaltung der Arbeitsplätze gegenseitig zu unterstützen.

Die Demonstration und auch die Kundgebung war von einer sehr positiven Stimmung geprägt. Es gab sehr viel Zustimmung von den Passanten und von vielen Einzelhändlern. Insbesondere der Aufruf von Udo Belz, zur gegenseitigen Solidarität und zur praktischen Unterstützung der Aktionen der Alstom-Belegschaft wurde mit viel Beifall aufgenommen. Damit sind die nächsten Aufgaben des Solidaritätskomitees wenigstens z.T. schon vorgegeben.

 

Solidaritätskomitee
Der angekündigte Personalabbau bei Freudenberg war der Anlass, dass sich innerhalb von nur wenigen Wochen das Solidaritätskomitee für die Erhaltung der Arbeitsplätze in Weinheim und Region gegründet hat, um gemeinsam mit anderen von Personalabbau betroffenen Betrieben in Weinheim und der Region den Widerstand zu organisieren. Es sind vor allem gewerkschaftlich engagierte Betriebsratsmitglieder und Vertrauensleute sowie Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen in Weinheim und Region ansässigen Betrieben, Krankenhäusern und Schulen, die dem schleichenden Personalabbau nicht länger tatenlos zuschauen wollen. An den bisherigen 2 Treffen des Solikomitees haben jeweils mehr als 50 Menschen teilgenommen. Ein Koordinierungskreis von ca. 10 Personen kümmert sich verantwortlich um die Koordinierung der verschiedenen Aktivitäten zur Vorbereitung von Aktionen.
In einer ersten Aktion im November wurde die Gründungsveranstaltung der Weinheimer Bürgerstiftung in der Stadthalle aufgesucht, um dort gegen die Arbeitsplatzvernichtung bei Freudenberg zu protestieren. Die Initiatoren dieser Stiftung sind u. a. bekannte Freudenberg Führungskräfte und auch die Ehefrau des Konzernsprechers von Freudenberg, Dr. Peter Bettermann. Die ca. 60 TeilnehmerInnen dieser Protestaktion wiesen mit Transparenten auf den Widerspruch hin, einerseits das „soziale Image” des Konzerns nach außen darstellen zu wollen, andererseits aber, höchst unsozial, die Arbeitsplätze zu vernichten, bzw. zu verlagern. Schon diese Aktion hatte einen Widerhall in den regionalen Medien gefunden. Die Demonstration vom 17.12.05 war die zweite Aktion die das Solidaritätskomitee erfolgreich durchgeführt hat. Es soll nun versucht werden, den Widerstand noch breiter zu organisieren. Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Arbeitsplatz- und Ausbildungsmisere ist angedacht, neben den Betrieben und Krankenhäusern auch verstärkt Schülerinnen und Schüler und ihre Lehrkräfte miteinzubeziehen.

 

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