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Betrieb & Gewerkschaft

Tarifpolitik 2010: Entwaffnend

Von Clarissa Lang | 01.04.2010

Für den DGB und die Vorstände seiner Einzelgewerkschaften gilt uneingeschränkt: Sie sind in keiner Weise bereit, Widerstand gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die abhängig Beschäftigten zu leisten. Selbst auf ihrem ureigensten Gebiet, der Tarifpolitik, vertreten sie immer weniger die Interessen ihrer Mitglieder.

Für den DGB und die Vorstände seiner Einzelgewerkschaften gilt uneingeschränkt: Sie sind in keiner Weise bereit, Widerstand gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die abhängig Beschäftigten zu leisten. Selbst auf ihrem ureigensten Gebiet, der Tarifpolitik, vertreten sie immer weniger die Interessen ihrer Mitglieder.

Es gibt zwar nach wie vor eine Reihe von gewerkschaftlichen Gliederungen, die nicht vom neoliberalen Mainstream geprägt sind, aber sie haben real immer weniger Einwirkungsmöglichkeiten auf die Politik ihrer Gesamt­organisationen. Die diesjährigen Tarifrunden werden ganz wesentlich von den Abschlüssen der beiden größten Gewerkschaften, IGM und ver.di, geprägt. Andere werden weder die politische Kraft noch den Willen haben, davon nennenswert abzuweichen. Im besten Fall werden kleinere, eher berufsständische Gewerkschaften auf die Durchsetzung nennenswerter Forderung setzen, einfach deshalb, weil dort der Bürokratisierungsgrad deutlich geringer ist und sie es in dem einen oder anderen Fall auch leichter haben, ökonomischen Druck auszu­üben (etwa die Pilot­Innen, Fluglotsen oder Flugbegleiter­Innen).
Fest in der Hand der zentralen Apparate
Wir sind es inzwischen gewohnt, dass die Meinungen der Mitglieder beim Zustandekommen eines Verhandlungsergebnisses (bzw. beim Abschluss eines Tarifvertrages) keine große Rolle spielen, wenn überhaupt, dann bestenfalls nach dem Motto: Wie weit können wir von unsren Forderungen abweichen, ohne dass massenhaft die Gewerkschaftsbücher fliegen?

Da die Regungen und das selbstständige Denken an der Basis aber keineswegs abgeschaltet sind und das Selbstbewusstsein eher gewachsen ist, mussten sich die Standortpolitiker­Innen an der Spitze von IGM und ver.di etwas Neues einfallen lassen. Um sicherzustellen, dass die Kluft zwischen aufgestellter Forderung und mickrigem Abschluss nicht zu groß erscheint, haben die beiden zentralen Apparate alles getan, damit keine richtige Bewegung entsteht, nicht nur, was das Tempo der Verhandlungen angeht.

ver.di hat vom Beginn der Verhandlungen bis zum (gemeinsamen!) Anrufen der Schlichtung gerade mal vier Wochen ins Land gehen lassen, lediglich Zeit genug, um eine erste Warnstreikwelle laufen zu lassen. Zudem hat ver.di eine nicht näher detaillierte Forderung „in einem Gesamtvolumen“ von 5 % aufgestellt. Hier war von Anfang an nicht klar, um wie viel denn nun das Einkommen steigen soll. Die Mischung einer nicht spezifizierten Entgeltforderung mit Forderungen nach Weiterführung der Altersteilzeit und Übernahme der Azubis gab dem Vorstand die Möglichkeit in die Hand, das Tarifergebnis nach eigenem Gusto schönzurechnen. Zudem wurde noch während der Verhandlungen ohne neue Sachlage und ohne jegliche Not die Forderung von 5 % auf 3,5 % reduziert. Da ver.di die Schlichtung mit angerufen hatte, war zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon klar, dass in jedem Fall ein Ergebnis rauskommen sollte. Der Möglichkeit, eine Urabstimmung einzuleiten, war damit politisch die Tür zugeschlagen. Und das wusste natürlich auch die Gegenseite, weshalb sie sich nicht groß bewegen musste.

Die IG Metall hat es noch krasser gebracht: Sie hat die Tarifrunde „vorgezogen“ und sie mit ihrer de facto zentralen Verhandlungsführung ohne Forderungsdiskussion in den Betrieben und den regionalen Tarifkommissionen durchgezogen. Offiziell wurden die ers­ten Verhandlungen (ab Dezember 2009) „Sondierungsgespräche“ genannt. Nur so konnte der IGM-Vorstand ohne eigene Forderungen in die Verhandlungen gehen. Wenn der schnelle Abschluss und sogar die Vermeidung von Warnstreiks oberstes Ziel waren, dann ist klar, was diese Bürokraten tatsächlich umtreibt: auf der einen Seite Kos­ten in der Gewerkschaftskasse sparen und auf der anderen Seite die Konkurrenzfähigkeit deutscher Betriebe nicht beeinträchtigen. Die Interessen der Mitgliedschaft werden gar nicht erst abgefragt oder gar ernst genommen. Die Basis hat nichts zu melden.
Mickriges Ergebnis im ÖD
Die ver.di-Führung rechnet in das Ergebnis ein:

  • die Übernahme der Azubis (für die Dauer von 12 Monaten), aber die ist in keiner Weise verbindlich geregelt, weil sie vom „dienstlichen bzw. betrieblichen Bedarf“ abhängig gemacht werden kann;
  • die Weiterführung der Altersteilzeit. Auch das ist keine wirkliche Errungenschaft, weil künftig nur noch 70 % des Entgelts abgesichert sind (früher 83 %). Das werden sich nicht viele Kolleg­Innen leisten können und für das Einkommen heute ist das sowieso ohne Belang.
  • Verschärfend kommt hinzu, dass 4 Jahre lang der Anteil der leistungsorientierten Bezahlung (Lob) jährlich um 0,25 % zunimmt (und 2013 dann bei 2 % liegen wird). Dies bedeutet nicht nur sehr viel mehr Rechnerei auf betrieblicher oder Dienststellenebene, es fördert auch das Duckmäusertum, weil es faktisch nur eine Nasenprämie ist.

Real bedeutet der diesjährige Abschluss bei Bund und Kommunen (1,2 % ab 1.1.2010; 0,6 % ab 1.1.2011 und 0,5 % ab dem 1.8.2011 plus Einmalzahlung von 240 Euro) eine Gehaltsanhebung von im ersten Jahr 1,2 % und danach (aufs Jahr umgerechnet) von 0,85 % (auf die Gesamtlaufzeit bezogen sind das jährlich 1,025 %). Wie der ver.di-Vorstand auf 3,5 % kommt, hat er leider nirgendwo verraten.
Wenn mensch bedenkt, dass bei den Warnstreiks in kurzer Zeit immerhin 120 000 Kolleg­Innen die Arbeit niedergelegt haben (deutlich mehr als erwartet), dann kann niemand behaupten, mehr wäre nicht drin gewesen.
Lange Laufzeiten
Ähnlich verheerend wie das Übergehen von Meinungsbildung und Beteiligung der Mitglieder ist die lange Laufzeit (bei der IGM 23 Monate, bei ver.di 26 Monate). Damit ist sichergestellt, dass die Kolleg­Innen in den Ländern, die 2011 wieder dran sind, allein dastehen und nicht gemeinsam gekämpft wird. Außerdem sollen ab Ende 2010 „Verhandlungen zum Zweck der Sicherung der wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit…“ geführt werden, ohne Streikrecht und mit nur einem möglichen Ergebnis: Zugeständnisse an die Betriebe und Dienststellen machen, denn darüber sollen die Entgelte um bis zu 10 % abgesenkt werden können.

Die zentrale Frage lautet nun: Wie können wir es schaffen, dass sich dieses Theater der eigenmächtigen Verhandlungen und der Entmündigung der Mitglieder nicht wiederholt? Es tut in jedem Fall not, sich innergewerkschaftlich besser zu organisieren und zu vernetzen, sonst sind wir nicht nur bei den Tarifrunden entwaffnet, sondern werden auch sonst nach Strich und Faden verkauft.

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