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Innenpolitik

Rassismus bekämpfen – aber wie?

Von Heinz Jandl/Jakob Schäfer | 28.06.2016

Mit dem Aufstieg der AfD und der Stärkung ihres rechtsextremen bis faschistischen Flügels ist seit einigen Monaten eine Situation entstanden, die Schlimmes befürchten lässt, wenn dem nichts Wirksames entgegengestellt wird. Es könnten sich politische Kräfteverhältnisse wie in Frankreich oder in Österreich herausbilden, wo Front National und FPÖ die anderen Parteien vor sich hertreiben, mit katastrophalen Folgen nicht nur für die MigrantInnen.

Mit dem Aufstieg der AfD und der Stärkung ihres rechtsextremen bis faschistischen Flügels ist seit einigen Monaten eine Situation entstanden, die Schlimmes befürchten lässt, wenn dem nichts Wirksames entgegengestellt wird. Es könnten sich politische Kräfteverhältnisse wie in Frankreich oder in Österreich herausbilden, wo Front National und FPÖ die anderen Parteien vor sich hertreiben, mit katastrophalen Folgen nicht nur für die MigrantInnen.

Sowohl gegen die rassistischen Mobilisierungen vor Flüchtlingsheimen wie auch gegen Neonaziaufmärsche gibt es landauf landab (mehr oder weniger breite) Bündnisse vor Ort und die Antifa hat immer noch bundesweite Strukturen, aber diese sind nicht sehr breit aufgestellt.

Von daher ist es begrüßenswert, dass es Anfang des Jahres der Initiative „Aufstehen gegen Rassismus“ gelang, Dutzende von bekannten Namen aus dem öffentlichen und politischen Leben für einen Aufruf zusammenzubekommen: https://www.aufstehen-gegen-rassismus.de/aufruf/. Die Liste dieser Unterzeichner­Innen ist politisch sehr breit, vor allem aber: Es sind viele gewerkschaftliche Funktionsträger (auch Hauptamtliche) dabei.

Vierzig Aktive aus unterschiedlichen politischen Spektren hatten eine Aktionskonferenz am 23./24. April in Frankfurt unter dem Motto „Aufstehen gegen Rassismus“ geplant und mit ca. dreihundert Teilnehmer­Innen gerechnet. Aber der Erfolg hat alle Erwartungen übertroffen: Es kamen über 600 Aktive aus annähernd 150 Städten aus allen Teilen des Landes.

Über weite Teile tagte die Konferenz in Arbeitsgruppen zu Themen wie: bundesweite Mobilisierung/Großevent; StammtischkämpferInnen-Ausbildung; von der lokalen Initiative zur bundesweit handlungsfähigen Kampagne; Massenmaterial; Vernetzung der Recherchearbeit. Die zweite AG-Phase beschäftigte sich mit: Was tun in der Schule, der Uni, in Betrieb und Gewerkschaft, im Stadtteil, in der Flüchtlingshilfearbeit, im Internet?

Aktive aus den unterschiedlichsten politischen Spektren fanden sich ein, von einzelnen SPD-Gliederungen über Grüne bis zu Linksradikalen und Ex-Autonomen. Wesentlichen Auftrieb bekam dieses sich neu formierende Bündnis durch den Aufstieg der AfD (vor allem bei den letzten Landtagswahlen im März).

AfD angreifen und dabei andere Rassisten nicht übersehen

Die Etablierung dieser Partei wird – zu Recht – von linken Kräften als eine neue Qualität gesehen. Zwar tragen alle bürgerlichen Parteien einschließlich der SPD (und im besonderen Maße die CSU) die mörderische Abschottungspolitik der EU mit, aber die AfD ermuntert Rassisten gewaltsam gegen Flüchtlingsheime vorzugehen, indem sie ihnen das Gefühl vermittelt, sie würden damit einen Volkswillen vollstrecken.

Die AFD ist programmatisch eine radikale Variante des Neoliberalismus; allerdings hat sie den Liberalismus durch traditionell deutsche völkische Rhetorik ersetzt. Ihre Grenzen zum Faschismus sind fließend.

Es wäre verkehrt, die Kräfte, die sich im Bündnis zusammenfinden, als reines Anti-AfD-Bündnis zu betrachten. Nicht nur sollen für den Alltag „Stammtischkämpfer­Innen“ ausgebildet werden, die überall in der Lage sind, dem Rassismus Paroli zu bieten: in der Frühstückspause im Betrieb genauso wie bei einer Bürger­Innenversammlung oder im „privaten“ Umfeld, sondern: Das Bündnis ruft zu allen anstehenden antirassistischen Mobilisierungen auf, so zum Beispiel für den 4. Juni in Dortmund, wo am „Tag der deutschen Zukunft“ (TDDZ) ein bundesweiter Naziaufmarsch der NPD unter Beteiligung militanter Faschistengruppen geplant ist; oder z. B. zu den Mobilisierungen des Bündnisses „Hand-in-Hand“ am 18. und 19. Juni in Berlin, Bochum, Hamburg, Leipzig, München; oder auch zum Kongress „Welcome2Stay“ am 10.-12. Juni in Leipzig.

Am 3. September nach Berlin

Zwei Wochen vor der Landtagswahl soll es in Berlin (es ist gleichzeitig ein Tag vor der Wahl in Meck-Pom) eine Großmobilisierung geben: Kundgebung, Demo, Konzert… Der Termin wurde gewählt, weil die Initiatoren hoffen, für Berlin das nachahmen zu können, was letztes Jahr bei der Landtagswahl in Wien gelang: Dort wurde wenige Wochen vor der Wahl – als alle Anzeichen auf einen klaren Sieg der FPÖ hindeuteten – mit einer Reihe von Großveranstaltungen dazu beigetragen, dass die Stimmung kippte und die FPÖ nicht siegte.

Der Termin 3.9. ist zwar noch etwas in der Ferienzeit, aber es könnte dennoch zu einem Erfolg gemacht werden. Dadurch dass eine ganz erkleckliche Zahl von Gewerkschaftsaktiven (auch viele Hauptamtliche) auf der Aktionskonferenz vertreten waren, kann gehofft werden, dass es ihnen gelingen wird, in einer beträchtlichen Zahl von gewerkschaftlichen Gliederungen die Mobilisierung aktiv voranzutreiben. Es könnte sogar eine Dynamik entstehen – trotz Sommerpause –, dass auch der eine oder andere Gewerkschaftsvorstand zu dieser Demo aufruft.

Das nächste Großevent (zu organisieren zusammen mit anderen Kräften) soll dann im Frühjahr 2017 stattfinden. Zu diesem stehen sich bisher zwei Vorstellungen gegenüber: ein dezentrales regionales Aktionswochenende in mehreren zentralen Städten – Konzept Blockupy II – oder eine zentrale Großkundgebung mit Konzert und Infoständen, eher Volksauflauf unter dem Thema Antifaschismus.

Unsere Aufgaben

Der Aufruf selbst ist politisch schwach. Er benennt nicht die Verantwortung der Herrschenden (auch nicht der Regierung einschließlich der SPD) an der Abschottungspolitik wie auch an der indirekten Schützenhilfe für rassistisches Gedankengut. Auch wird der Zusammenhang von fehlender klassenpolitischer Alternative zur herrschenden Politik (dem einzigen Mittel, dem faschistischen Gedankengut den Boden zu entziehen) und dem Aufstieg der AfD nicht hergestellt.

Der Aufruf stellt also eher einen Kompromiss dar mit „systemtragenden Teilen“ aus dem DGB und dem SPD-Milieu.
Und natürlich haben die Kritiker­Innen recht, die davon ausgehen, dass die SPD versuchen wird, nach der Demo vom Frühjahr 2017 diese Kampagne als Wahlkampfvehikel zu nutzen.

Aber auch wir müssen diese Kampagne nutzen: Es liegt an uns, ob wir unseren Einfluss auf jene ausdehnen können, die gegen Rechts kämpfen wollen. Denn der Aufruf grenzt keine der antirassistischen Gruppen oder Organisationen aus. Es wurde auf der Aktionskonferenz mehrfach betont: Jeder und jede kann mit seinen oder ihren eigenen Aufrufen zu den entsprechenden Anlässen (auch zum Großevent in Berlin) mobilisieren. Wir können nicht nörgelnd abseitsstehen, wenn eine antirassistische Mobilisierung in Schwung kommt; zumal diese fast unweigerlich eine Politisierung in Teile der G
ewerkschaften hin­eintragen wird.

Bereits kurz nach der Konferenz waren die Auswirkungen spürbar: Zum AfD-Parteitag Ende April demonstrierten über 15 000 Menschen. Obwohl die Polizei eine Bannmeile um das Gelände am Stuttgarter Flughafen gezogen hatte, gelang radikalen Gruppen eine Blockade, sodass das „Event“ der Partei mit eineinhalbstündiger Verspätung begann.

Und noch etwas wurde deutlich: Der staatliche Repressionsapparat legt einen anderen Gang ein: Erstmals seit über 20 Jahren kam es zu Massenfestnahmen von fast 1000 Personen. Auch die Gerichtsbeschlüsse, dass politische Kundgebungen in Sicht- und Hörweite zugelassen werden müssen, wurden in Stuttgart vom Tisch gewischt. Hunderte Demoteilnehmer­Innen wurden über zehn Stunden eingesperrt und erkennungsdienstlich behandelt.

Dass dieses Vorgehen von „ganz oben“ gesteuert ist, zeigte sich auch wenige Tage später in Bochum, wo anlässlich eines NPD-Aufmarschs über 300 Gegendemonstrant­Innen verhaftet wurden. In beiden Fällen wurden den „Festgesetzten“ immer wieder eindringlich dieselbe Frage gestellt: Wer hat die Busse bestellt? Und: Wer organisiert sie?

Die Angst des Repressionsapparates, dass Teile der Gewerkschaften aktiv werden, ist unübersehbar. Diese Angst vor drohender Basismobilisierung hat mittlerweile auch im SPD-Vorstand Einzug gehalten. Dort legte Olaf Scholz ein Papier vor, wo die Partei davor gewarnt wird, die AfD zu „attackieren“. Vielmehr sollte die „sachliche Ausein­andersetzung“ gesucht werden. Angesichts vieler junger Parteimitglieder in der anlaufenden Mobilisierung ist dies ein Wink mit dem Zaunpfahl. Mit praktischer kontinuierlicher Aktivitäten vor Ort müssen wir uns das Vertrauenskapital erarbeiten, um diese neu in den antirassistischen Kampf eintretenden Bündnispartner­Innen zu überzeugen und mit ihnen gemeinsam den Kampf zu einer breiten antifaschistischen Mobilisierung auszuweiten.

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