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Feminismus

Irak: „Der Schleier ist die Schönheit der Frauen“

Von B.S. | 29.10.2005

Am 9. August 2005 haben Dutzende von Frauen in Bagdad für ihre Rechte demonstriert. Dabei haben sie 40 Prozent der Stellen im Staatsdienst gefordert.

Am 9. August 2005 haben Dutzende von Frauen in Bagdad für ihre Rechte demonstriert. Dabei haben sie 40 Prozent der Stellen im Staatsdienst gefordert.
Die Demonstration im August zeigt, dass es mutige und entschlossene Frauen gibt, die für ihre Emanzipation kämpfen. Die Verfassung von 1970 sicherte ihnen die Gleichberechtigung und eine starke Rechtsstellung. In den folgenden Jahren hatten die Frauen im Irak den höchsten Bildungsstand der Region.  UniversitätsabsolventInnen wurden in den Staatsdienst übernommen, der Staat förderte die Beschäftigung von Frauen.
Situation nach 1970
Mit dem Golfkrieg 1991 verschlechterte sich die Lage. Ursache war die Instrumentalisierung der Religion durch Saddam Hussein, der religiöse Tradition und Stammesstrukturen benutzte, um seine Macht zu festigen. So legitimierte er die Mehrehe und führte die weitgehende Straflosigkeit der Ehrenmorde ein. Erbrecht und Ehescheidung wurden für Frauen verschlechtert. Dazu waren Frauen oft von der Warenzuteilung ausgeschlossen, die während der UN-Sanktionen eine Existenzgrundlage bildete. Die Baathregierung schränkte die Bewegungsfreiheit von Frauen ein und auch ihre Arbeitsmöglichkeiten. Um RegierungskritikerInnen zu treffen, wurden deren Angehörige geschlechtsspezifischen Verfolgungen ausgesetzt, auch Vergewaltigungen.
Situation nach 2003
Nach dem Sturz des Saddamregimes wurde einiges unternommen, um die Stellung der Frauen zu verbessern. Die Übergangsverfassung vom 8. März 2004 verbietet die Diskriminierung auf Grund des Geschlechts. Nicht wirklich geregelt werden Heirat, Scheidung, Erbrecht usf.. Das islamische Recht wird nicht mehr als die eine Rechtsquelle benannt. Frauen stellen mindestens 25% der Abgeordneten des Parlaments, es wurde ein Frauenministerium eingerichtet und staatliche wie nichtstaatliche Frauenorganisationen werden aktiv.
Tatsächlich ist die Mehrehe noch zulässig, Zwangsehen sind möglich und Strafen für die Täter bei Ehrenmorden sind keineswegs sicher. Die Einbindung in die Familie geschieht auch durch eine besondere Eheform, die Jin be Jin heißt: Der Sohn der Familie A heiratet die Tochter der Familie B, der Sohn der Familie B die Tochter der Familie A. Dadurch wird der Brautpreis gespart und die Familien werden miteinander verschränkt.

Situation im Nordirak
Der Nordirak erscheint wegen des Autonomiestatus politisch und ökonomisch gefestigter als die anderen Teile und auch irgendwie fortschrittlicher. Aber auch im kurdischen Nordirak ist die Sühne bei Ehrenmorden nicht gesichert. Für diesen Bereich gilt auch, dass die Genitalverstümmelung (FGM) nicht beendet ist. Das Thema wurde jetzt von der PUK nahen Kurdischen Frauenunion aufgenommen, nachdem die NGO Wadi bei ihrer Arbeit durch Befragungen festgestellt hat, dass 60% der Befragten beschnitten waren, auch Mädchen unter 10 Jahren ( das ist offensichtlich ein günstiges Alter ). Dabei verstoßen die Beschneiderinnen zwar gegen das Gesetz, und wegen der Heimlichkeit sind unhygienische Verhältnisse verbreitet. ( Sunnabeschneidung ist üblich, d.h. Klitorisbeschneidung bis zur Entfernung der Klitoris und der äußeren Schamlippen ).
Alltag
Die Möglichkeiten von Frauen in der Öffentlichkeit zu agieren, sind stark eingeschränkt. Einmal sind sie den Gefahren ausgesetzt, denen alle ausgesetzt sind, zugleich werden sie aber als Frauen bedroht. So tragen sie Kopftuch oder Abbaja, einige sollen es auch mit T-Shirt und offenen Haaren versuchen, aber auf keinem veröffentlichten Bild wurde das sichtbar. Frauen können ohne männlichen Schutz das Haus kaum verlassen, wie sollen sie da einer Erwerbsarbeit nachgehen? Wenn sich Frauen z.B. für die neue Polizei bewerben, verletzt das die religiösen Gefühle der Iraker, so ein Rechtsgelehrter. Solange die Sicherheit auf der Straße nicht gewährleistet ist, können Frauen nur bedingt Schulen, Universitäten und Arbeitsplätze aufsuchen. Der Schutz der Familie und eine gewisse Anpassung helfen beim Überleben. Schiitische Geistliche, schiitische Parteien wie Sciri und Da´wa und bewaffnete Gruppen der Baatisten treten für strikte Geschlechtertrennung ein. Diese ständige auch physische Bedrohung ist schwer zu überwinden, zumal auch die US-Regierung und die internationale Gemeinschaft sich nicht ausdrücklich gegen einen islamischen Staat wenden.
Hilfsangebote
Wie lassen sich Notlagen und Konflikte außerhalb der Familien bewältigen? Es gibt eine Vielzahl von Organisationen, die teilweise mit breiter Unterstützung von BasisaktivistInnen, zum Teil angelehnt an Parteien, arbeiten. Sie werden geleitet und organisiert von Frauen, die durch ihre Bildung und auch durch Auslandserfahrung und -kontakte  eine gewisse Prominenz haben. Auch die Herkunft ist nicht ganz unwichtig, was sie aber nicht vor Verfolgung schützen muss. Diese Organisationen helfen mit Rat und Tat, auch in Alltagsfragen. Sie beherbergen und verbergen Frauen auch in akuter Gefahr. Sie versuchen durch Mediation die Kluft zwischen Frauen, die „Schande“ über ihre Familie gebracht haben, z.B. indem sie Opfer einer Vergewaltigung geworden sind, und den Familien zu überwinden, was durchaus nicht immer gelingt. Gewalt gegen Frauen wird in allen Gesellschaftsschichten ausgeübt. Frauen können für die Prostitution, aber auch um Geld zu erpressen, entführt werden.
Hier ein Beispiel für eine Frauenstruktur in Bagdad. Women’s Freedom in Iraq (OWFI) organisiert einen Frauenabend, möglichst mit Livemusik und Tee, bei dem Fabrikarbeiterinnen, Studentinnen, Medienfrauen und andere teilnehmen. Die Gruppierung will Frauen auf den revolutionären Weg orientieren. Sie gibt eine Zeitung heraus, die in wichtigen Orten vertrieben wird. Dabei hat sie Unterstützung von Gewerkschaften und den ArbeiterkommunistInnen. Sie hat in Flüchtlingslagern gearbeitet, und ihre Präsidentin Yanar Mohammed musste, nachdem sie gegen die Scharia gesprochen hatte, nach einer Warnung das Land verlassen.
Verfassungsreferendum
Was können Frauen durch das Referendum gewinnen? Da die Scharia nur noch eine, aber nicht mehr die Quelle des Rechts ist, hängt vieles von der Ausfüllung des gegebenen Rahmens ab, aber das gilt für alle Gesetzgebung. 25% weibliche Mitglieder im Parlament sind noch keine Garantie für weiblichen Einfluss, aber  Frauen sind in der Öffentlichkeit nicht mehr einfach unsichtbar. Manche Frauen denken an gender-mainstreaming, das durch die Initiativen der Frauen vor Ort als Richtschnur dienen kann. Bei aller Skepsis, auch das wäre ein Fortschritt. 
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