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Besatzer raus aus dem Irak!

01.03.2004

Spätestens seit den Selbstmordattentaten auf schiitische Pilger in Bagdad und Kerbela Ende Februar, die bis zu 270 Tote forderten, ist auf dramatische Weise klar geworden, dass die US-Besatzungsmacht im Irak keine wirkliche Kontrolle über das Land ausübt. Wer immer hinter den Anschlägen stehen mag, es zeigt sich, dass die Okkupation reaktionären und menschenverachtenden Gruppen die Möglichkeit gibt, ungehindert im Land zu operieren. In den Anschlägen kommt eine Ethnisierung der irakischen Politik zum Ausdruck, die von den Besatzern bewusst vorangetrieben wird. Traditionell hat sich die irakische Gesellschaft nicht nach ethnischen oder religiösen Kriterien definiert, soziale Trennlinien waren wichtiger. Erst die neue Besatzungsmacht hat eine Zusammensetzung sämtlicher Gremien der »Übergangsverwaltung«, von der lokalen Ebene bis zum Regierungsrat, nach einem ethnisch-konfessionellen Proporzsystem durchgesetzt. Die Anschläge werden von Washington als Rechtfertigung für ein weiteres Verbleiben der US-Truppen im Irak interpretiert, es gibt bereits Pläne zur Errichtung von vier permanenten US-Militärbasen. Sie liefern der US-Regierung die dringend benötigte Legitimation, hat sich doch nach dem Bericht des früheren US-Waffeninspekteurs David Kay gezeigt, dass die Massenvernichtungswaffen, zu deren Zerstörung der Krieg gegen den Irak angeblich begonnen wurde, lediglich in der Propaganda des Pentagon und des US-Außenministeriums existierten. So ist auch George W. Bushs Charmeoffensive gegenüber der UNO und gegenüber dem ehemaligen »Kriegsgegner« Bundeskanzler Schröder zu verstehen. Eine »Internationalisierung« der Besatzung, natürlich unter US-Vorherrschaft, soll der imperialen Politik eine gewisse »Legalität« verschaffen. Die Rechnung könnte aufgehen, das zeigte sich bereits kurz nach Kriegsende, als die ehemaligen Neinsager im UN-Sicherheitsrat mit der Annahme der Resolution 1483 die USA und Großbritannien zur verwaltenden »Autorität« im Irak machten, dem Krieg also nachträglich ihre Zustimmung erteilten. Eben diese Resolution legt auch fest, dass andere Staaten künftig »unter der Autorität dieser Behörde« tätig werden können. Vor einer solchen direkten Beteiligung am Irakeinsatz scheut die Bundesregierung noch zurück; sie ist einweilen mit der Rolle als Führungsmacht in Afghanistan zufrieden, wo Deutschland im Rahmen der internationalen imperialen Arbeitsteilung den USA den Rücken freihält. Einen NATO-Einsatz im Irak allerdings kann sich Schröder sehr wohl vorstellen. In einer gemeinsamen Erklärung lobten vor kurzem Schröder und Bush »die wachsende Rolle der Vereinten Nationen« im Irak und hoffen »auf die Übergabe der Souveränität an eine neue irakische Regierung am 1.Juli 2004«. Die Souveränität dieser Regierung wird freilich trotz des eigens zur Wahlbeobachtung entsandten UNO-»Expertenteams« nur auf dem Papier stehen. Die Besatzungsbehörde hat durchgesetzt, dass die irakische Übergangsregierung nicht in allgemeinen Wahlen bestimmt, sondern aus Delegierten von 18 Regionalversammlungen zusammengesetzt werden soll. Ein Drittel der Mitglieder dieser Ratsversammlungen wird aber direkt von der Besatzungsbehörde ernannt! In Bagdad wird es eine Marionettenregierung geben, die den USA ermöglichen soll, einen Teil ihrer Truppen abzuziehen, ohne die Kontrolle über den Zugang zu den Ölquellen des Landes zu verlieren oder die militärische Besetzung geostrategischer Positionen aufzugeben. Die US-Truppen avancieren »von einer Besatzung zu einer eingeladenen Anwesenheit«. Eine US-freundliche Regierung soll auch die umfangreichen Privatisierungen absegnen, die die Besatzer planen oder schon durchgeführt haben. Der Löwenanteil geht natürlich an US-Firmen: Halliburton, Bechtel, DynCorps haben sich Milliardenaufträge beim Bau von Militärbasen, der Sicherung der Ölproduktion und dem Wiederaufbau der Infrastruktur des Landes gesichert. Bezahlt werden sie aus den Öleinnahmen des Irak. Die Menschen im Land haben durch die Besatzung nichts zu gewinnen: Die Versorgungslage ist nach wie vor katastrophal, es fehlen Wasser und Nahrung, Strom und Medikamente, und Arbeitsplätze. Das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen, die Kindersterblichkeit liegt höher als zur Zeit des Embargos. Die Lage der Frauen ist schlimmer als unter Saddam. Ihre Befürchtungen, dass der Krieg den Islamisten Auftrieb geben werde, hat sich bestätigt. Die Besatzung will den Widerstand vor allem der schiitischen Parteien brechen und macht ihnen deshalb bei der Frauenfrage große Zugeständnisse. Der Zwang zur Verschleierung wächst, es beginnen die Arbeitsverbote gegen Frauen, bekannte Vertreterinnen der unabhängigen Frauenbewegungen werden offen mit dem Tod bedroht. Der von den USA eingesetzte Regierungsrat hat die Rechte der Frauen drastisch eingeschränkt: Mit dem Dekret Nr.137 vom 29.Dezember 2003 wurde das Familienrecht von 1959 – eines der fortschrittlichsten im Nahen Osten, das von der Gleichberechtigung von Frau und Mann ausgeht – außer Kraft gesetzt und die Sharia wieder eingeführt. Nichts macht deutlicher, dass Krieg und Besatzung die Kräfte der Reaktion, nicht die des Fortschritts befördern.

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