Kramp-Karrenbauer will Deutschland weiter militarisieren

Kramp-Karrenbauer will die Akzeptanz von Auslandseinsätzen un der Bundeswehr generell in der Bevölkerung erhöhen. Foto: Wir. Dienen. Deutschland., Tag der offenen Tür im BMVg, CC BY-ND 2.0

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Einsatz der Bundeswehr in Nordsyrien

Kramp-Karrenbauer will Deutschland weiter militarisieren

Von Horst Hilse und Jakob Schäfer | 23.10.2019

Mit dem Vorschlag einer „internationalen kontrollierten Sicherheitszone“ in Nordsyrien will Annegret Kramp-Karrenbauer nicht nur einen außenpolitischen Strategiewechsel einleiten. Seit Jahrzehnten ist den herrschenden Kreisen in diesem Land die Handlungsbeschränkung der Bundeswehr für imperialistische Interventionen ein Dorn im Auge. Und seit Jahren wird von reaktionären Kräften dagegen angegangen.

1955 konnte zwar mit der Gründung der Bundeswehr und dem NATO-Beitritt die Wiederbewaffnung endgültig durchgesetzt werden. Aber aufgrund der politisch-moralischen Last des verlorenen II. Weltkriegs und der jahrelangen Kampagne gegen die Wiederaufrüstung ging das nur mit zwei gravierenden Einschränkungen, die einer ordentlichen imperialistischen Macht auf Dauer nicht schmecken konnten:

1. Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen

Es gab wiederholt erfolgreiche Vorstöße, die Zustimmungsverpflichtung des Bundestages mindestens schon mal aufzuweichen, indem man diese Kompetenz der Einfachheit halber einem Ausschuss überträgt. Das hätte für die interventionistischen Kreise den großen Vorteil, dass die Zustimmung schnell klappen kann (vor allem in den Parlamentspausen) und dass ein solcher Ausschuss mit Sicherheit mit entsprechenden Personen besetzt wäre.

Aber auch ohne diese Einschränkung wird dieser gemäß Grundgesetz feststehende Parlamentsvorbehalt auch mal einfach ignoriert. Beispiel: die Beteiligung deutscher Soldaten an der AWACS-Überwachung in der Türkei im Jahr 2003 (siehe dazu das tadelnde Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 07.05.2008, Az. 2 BvE 1/03). Aber nicht nur in der Luft wurde an der Gesetzeslage vorbei agiert: Im Mai 2019 wurde bekannt, dass deutsche Kampftruppen als Spezialeinheiten in Niger und Kamerun im Einsatz waren – ohne Zustimmung des Bundestages. Selbst die niedrige Schwelle des Gesetzes von 2005 wird also noch unterlaufen

Es gab wiederholt erfolgreiche Vorstöße, die Zustimmungsverpflichtung des Bundestages mindestens schon mal aufzuweichen

Inzwischen sind die entsprechenden Kreise sogar schon weiter. In der entsprechenden Literatur bürgerlichen Rechtsverständnisses ist man sich weitgehend einig, dass „bei Gefahr im Verzug“ die Bundesregierung sofort handeln und sich nachträglich die Zustimmung des Bundestages einholen kann. Getreu dem Motto: Wir schaffen Fakten und dann soll sich mal jemand trauen, … Und wenn es doch zu einer Ablehnung käme: Wen kümmert’s?

Auch höchstrichterlich ist das schon (wenn auch interpretationsfähig) inzwischen abgedeckt: Mit dem besonderen „Entsendeausschuss“ des Bundestags sieht das Parlamentsbeteiligungsgesetz schon ein vereinfachtes Zustimmungsverfahren bei Einsätzen „mit geringer Intensität“ vor. Das BVerfG hat im Somalia-Urteil ausdrücklich zugelassen, dass, bei Einsätzen von „geringer Bedeutung“ der „Zeitpunkt und die Intensität der Kontrolle des Parlaments“ näher eingegrenzt werden kann. 

Doch wofür kann denn die Bundeswehr eingesetzt werden?

2. Offiziell nur zur Landesverteidigung

Das Grundgesetzt § 87a, Abs. 2 ist eigentlich eindeutig: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.“ Aber auch diese Einschränkung ist inzwischen schon stark dezimiert, hat doch die Rot-Grüne-Regierung im März 1999 mit dem aktiven Einsatz von 14 Tornados im Kosovo Deutschland an einem Angriffskrieg beteiligt. Mit Ausreden haben es die Herrschenden nie besonders schwer. Außenminister Joschka Fischer (Die Grünen) bezeichnete den Einsatz eine „humanitäre Intervention“.

Aber diese Hürde aus der Vergangenheit ist mit dem Neuen Sicherheitsgesetz weitgehend umschifft: Zentral ist das sog. „Vereinfachte Zustimmungsverfahren“ aus § 4: Ist ein Einsatz von geringer Intensität und Tragweite, sind nur wenige Soldaten beteiligt und handelt es sich nicht um einen regulären Krieg, dann setzt die Regierung das Parlament einfach nur von ihrem Vorhaben in Kenntnis und dieses gilt als genehmigt, wenn nicht binnen einer Woche eine Fraktion oder fünf Prozent der Abgeordneten eine Plenarberatung fordern. Dieses Verfahren wird auch bei der Verlängerung bereits einmal gebilligter Auslandseinsätze angewandt.

Bei der Kriegsvorbereitung in den Stäben und durch Militärberater in den so genannten Krisengebieten muss das Parlament eh nicht mehr informiert werden. So war z.B. der Berliner AfD-Vorsitzende jahrelang in solch einem Nato-Stab aktiv. Was er da gemacht hat, ist militärisches Geheimnis!

Bei der Kriegsvorbereitung in den Stäben und durch Militärberater in den so genannten Krisengebieten muss das Parlament eh nicht mehr informiert werden

Ist damit für den deutschen Imperialismus alles in Butter? Längst nicht, denn eine imperialistische Macht, die sich international Respekt verschaffen will, strebt danach, seine Interessen gegebenenfalls auch militärisch durchsetzen zu können. Dazu soll möglichst kurzfristig und auch geballt eingegriffen werden können, notfalls auch ohne Absprache mit anderen Mächten. Und wer z. B. Entsprechendes androhen will, darf nicht an einen Parlamentsvorbehalt oder an die Auflage der Landesverteidigung gebunden sein. Letzterer Begriff wurde allerdings seinerzeit von dem damaligen „Verteidigungsminister“ Struck (SPD) schon politisch mehr als willkürlich gedehnt, als er erklärte, am Hindukusch (Afghanistan) werde auch die Bundesrepublik verteidigt.

Aktuell ist die Bundeswehr in 12 Ländern im Einsatz, aber dies sind noch nicht die Einsätze, die sich die herrschenden Kreise in diesem Land für die Sicherung der Rohstoffversorgung, der Transportwege und vor allem der geopolitischen Einflusssphäre wünscht. Das soll dann schon etwas massiver werden und sich auch an der schnellen Einsetzbarkeit etwa der französischen oder britischen Streitkräfte orientieren.

Bereits seit Jahren verlieren junge Soldaten der Bundeswehr bei diesen „Einsätzen” unterhalb der Kriegsschwelle ihr Leben und die sterblichen Überreste werden dann jeweils nachts bei Dunkelheit auf einem abgetrennten Teil des Köln-Bonner Flughafens den Angehörigen übergeben. So werden Bilder und Debatten in der Öffentlichkeit vermieden.

Da kommt doch die jüngste Entwicklung in Syrien der neuen Kriegsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) wie gerufen (von der Leyen war da nicht besser). Mit ihrem Vorschlag einer internationalen Schutztruppe in Nordsyrien will sie mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen:

AKK will Einsetzbarkeit der Bundeswehr im Ausland erhöhen und sie innenpolitisch aufwerten

Vor allem politisch eröffnet sich Annegret Kramp-Karrenbauer hier eine Chance. Denn wenn man schon von Deutschland aus eine Schutztruppe vorschlägt, dann wird auch jeder „vernünftige“ Politiker im Ausland wie im Inland davon ausgehen können, dass dann auch Deutschland selbst etwas dazu beiträgt und nicht schon wieder „daneben steht“.  Und wer will sich schon ‒ außer den Linken und den Kurd*innen ‒ gegen eine deutsche Beteiligung wenden wollen?

Die neue Bundesverteidigungsministerin kündigte anlässlich ihres Amtsantrittes im Juli 2019 für den 12. November dieses Jahres bundesweit Zapfenstreiche an. In Berlin „wünscht“ sie sich für den „Geburtstag“ der Bundeswehr einen Zapfenstreich vor dem Reichstag. „Wir werden die Sichtbarkeit der Bundeswehr in unserer Gesellschaft erhöhen.“ Ausgerechnet der „Zapfenstreich,” zentrales Ritual der antidemokratischen preußisch-deutschen Militarismus seit 1726.

Die Vorlage war bereits in der Neujahrsansprache der Kanzlerin Merkel geliefert worden, als sie davon sprach, dass man in Deutschland vor „schwierigen Entscheidungen” im Kontext globaler Konflikte nicht zurückzuschrecken dürfe und Berlin „Verantwortung” übernehmen müsse und „globale Lösungen” anstreben müsse.

Außenminister Maas will Kampfeinsatz

Seit 1. Januar ist Heiko Maas im Sicherheitsrat der UN präsent und sein erster „konstruktiver” Vorschlag vom August betraf einen möglichen EU-Kampfeinsatz am Persischen Golf unter Beteiligung der Bundesmarine.

Damit löste der Außenminister Begeisterung bei dem Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Manfred Ischinger, beim Bundesverband der deutschen Industrie und bei den Bundeswehrhochschulen aus. Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität in München schrieb „Kein Blut für Öl?“ (man beachte das Fragezeichen!) Die Bedenken deutscher Politiker bezüglich der rechtlichen Zulässigkeit solch eines Kampfeinsatzes, geißelte er als „sicherheitspolitische Provinzposse”. „Feigheit vor dem Volk“, wirft zum Beispiel Alan Posener der Bundesregierung in der September-Ausgabe des Zentralorgans der deutschen Außenpolitischen Eliten, der „Internationalen Politik“ vor, als man u. a. den Warnungen des deutschen Reederverbandes folgte.

Bundeswehr will Operation am Boden

Und wenn es wirklich in Syrien zu einer „internationalen Sicherheitszone“ kommt, dann wäre die Bundeswehr ganz bestimmt nicht nur mit Aufklärungsflugzeugen beteiligt. Dann könnten die Bundeswehrsoldaten endlich auch mal am Boden wirklich für „Ordnung und Sicherheit“ sorgen. Angesichts der Lage in Syrien würde dies auch weit über alle anderen Einsätze (außer dem 13-jährigen Einsatz in Afghanistan) hinausgehen.

Im Gegensatz zu Afghanistan fänden die Kampfeinsätze in einem Land statt, in dem die russische Armee Stützpunkte besitzt und nach den Vereinbarungen von Astana einen Beobachterstatus genießt. Der Kern dieser Interventionstruppe existiert schon. Die Gründung der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) ist auf dem NATO-Gipfel im September 2014 eingeleitet worden. Die Truppe besteht aus rund 8.000 Soldat*innen, die binnen 72 Stunden an einen beliebigen Einsatzort der Welt verlegt werden können sollen; 4.000 von ihnen stellt das deutsche Heer, während die Bundeswehr noch rund 1.000 zusätzliche Soldat*innen weiterer Organisationsbereiche für die VJTF abgestellt hat. Ergänzende Truppenteile kommen unter anderem aus Frankreich, Norwegen und den Niederlanden. Die Bundeswehr hat die Einheit im Jahr 2015 maßgeblich mit aufgebaut und strebt deren dauernde Führung an. Der Syrieneinsatz wäre eine erste „Bewährungsprobe.”

Aber auch aus einem anderen Grund passt der Vorstoß von AKK gut ins Konzept: Mit einer „internationalen Schutztruppe“ kann die herrschende Klasse auch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Ziel verfolgen, nämlich die Strahlkraft eines selbstverwalteten, demokratischen, multiethnischen und feministischen Rojava zerstören.

Und nebenbei wird damit auch untermauert, dass das Verbot der PKK seine Berechtigung hat. Denn wenn schon zum Schutz vor der PKK (und ihres „Ablegers“ YPG) eine Schutztruppe (und eine Schutzzone) gebraucht wird, dann ist ja wohl die Bezeichnung PKK als „terroristisch“ gerechtfertigt.

Mit einer „internationalen Schutztruppe“ kann die herrschende Klasse auch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Ziel verfolgen, nämlich die Strahlkraft Rojavas zerstören.

Auch geopolitisch wäre das Ganze im Sinne der NATO und des westlichen Imperialismus. Hat man sich erst mal in Syrien festgesetzt (bzw. die USA ersetzt), dann kann man damit u. U. wenigstens zum Teil den Einfluss Russlands begrenzen.

Nicht zuletzt soll damit auch Druck auf die Türkei ausgeübt werden, nicht die Tore zu öffnen und eine große Zahl von Flüchtlingen nach Europa durchzulassen.

Also nicht nur, weil wir gegen eine Machtausdehnung des deutschen Imperialismus und den verstärkten Einsatz der Bundeswehr sind, wenden wir uns gegen die Initiative von Kramp-Karrenbauer. Mehr denn je gilt es, für die Verteidigung der Kurdinnen und Kurden auf die Straße zu gehen.

Es gelten die Schlussfolgerungen die wir bereits anlässlich der Ankündigung des türkischen Einmarschs geschrieben haben:

  • Stopp aller Militäraktionen gegen die Demokratische Föderation Nordsyrien!
  • Abzug aller Bundeswehrtruppen aus der Region.
  • Stopp aller Waffenlieferungen aus der Bundesrepublik auch mit Rückwirkung auf bereits genehmigte Aufträge.
  • Aufnahme syrischer Flüchtlinge auch ohne Einigung in der EU.
  • Schluss mit der Repression kurdischer Verbände und kurdischer Aktivist*innen in der BRD.
  • Keine Hermesbürgschaften mehr für Geschäftsbeziehungen mit der Türkei!
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