Für ein „Weiter so“?

Traktor von John Deere Foto: Elcajonfarms, cc-by 3.0

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Landwirtschaft im Aufruhr

Für ein „Weiter so“?

Von U. D. | 01.02.2024

Seit Dezember 2023 finden in Deutschland Proteste von Bäuerinnen und Bauern statt.

Mit Traktoren werden Innenstädte lahmgelegt, der Verkehr auf Land-straßen ausgebremst und zeitweise Auffahrten zu Autobahnen blockiert.

Im Unterschied zum Umgang mit Aktionen der Klimabewegung waren die Reaktionen von Polizei und Politik auf die Blockaden sehr zurückhaltend. BLIND veröffentlichte keine Hetzartikel. Selbst der Blockade-Angriff auf die Habeck-Fähre blieb bisher strafrechtlich folgenlos

Konservativ und in Teilen „rechtsoffen“

Mehrheitlich sind die Bäuerinnen und Bauern zwar national-konservativ, aber nicht faschistisch. Aber sie fühlen sich als Opfer einer weltfremden, „öko-ideologischen“ Politik. Das macht sie empfänglich für die rechte Propaganda, die gegen eine „links-grün-versiffte“ Politik hetzt.

Daher können AFD und Co. mit ihren völkisch-rassistischen Hass-Parolen, Symbolen und Fahnen an den Protesten andocken und werden teilweise sogar mit Sympathie geduldet. Nicht zuletzt gelten bäuerliche Verbände wie der „LSV Deutschland“ oder die „Freien Bauern“ als „rechtsoffen“.

Kleine Gruppe, große Wirkung

An den Aktionen haben einige Zehntausend Menschen teilgenommen. Erstaunlich ist, dass ein solch kleiner Teil der Bevölkerung, dessen Beitrag zur deutschen Bruttowertschöpfung geringer als 1 % ist, einen solch großen Einfluss hat.

Inzwischen hat die Regierung aufgrund der Proteste bereits einen Teil der geplanten Kürzungen zurückgenommen und sogar einen Maßnahmenkatalog zu Gunsten der Landwirtschaft angekündigt.

Politisch gewolltes Höfesterben

Auslöser der aktuellen Proteste waren die Kürzungs-Beschlüsse der Ampel-Koalition, die zu Lasten der Landwirtschaft gingen. Geplant waren die Einführung der Steuerpflicht für landwirtschaftliche Fahrzeuge und die Streichung der Steuerermäßigung für Agrar-Diesel. Zusammen eine Belastung von rund 920 Millionen Euro.

Doch der Kern der Proteste liegt tiefer. Viele landwirtschaftliche Betriebe sind in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Sie sind Teil der globalisierten, kapitalintensiven und durchindustrialisierten Nahrungsmittelproduktion und dem Diktat der Lebensmittelkonzerne und der Agro-Industrie ausgeliefert.

Seit Jahrzehnten werden die Höfe von Konzernen und Agrarpolitik zu fortgesetzter Ertragssteigerung mittels Chemiekeule, zerstörerischer Bodenausbeutung, immer größeren Maschinen und billigen Hilfskräften getrieben. Es gilt das Diktat: „Wachsen oder Weichen“. Mit Subventionen, die 40 bis 60 Prozent des Einkommens ausmachen, werden die Erzeugerpreise niedrig gehalten. Die meisten landwirtschaftlichen Betriebe sind tief in diese Abhängigkeitsstrukturen integriert und längst zu einem aktiven Teil dieser Fehlentwicklung geworden.

Das angeprangerte Höfesterben ist keine neue Erscheinung, sondern seit Jahrzehnten Realität. 1995 gab es 590.000 Betriebe, 2020 nur noch 263.000, während sich die bewirtschaftete Gesamtfläche lediglich um 4 % auf 16,6 Millionen ha verringerte.

Investoren und Bodenspekulation

Seit der Krise 2008/09 sind Spekulanten auf der Suche nach sicheren Kapitalanlagen und kaufen Ackerland. Unter anderem führt dies zu einer Verknappung von Böden und steigenden Pachtzahlungen.

Wachsende Bedeutung haben Agrarholdings. Sie stellen nur 1,4 % aller Betriebe, bewirtschaften aber bereits 11 % der Ackerflächen, in Thüringen sogar fast 40 %.

Hinter diesen Agrarholdings stecken Adlige, Großagrarier und reiche „Investoren“ wie Merkle, Rethmann oder ALDI Nord. Diese Holdings kassieren allein wegen ihrer Betriebsgröße hohe Subventionen − die Deutsche Agrar-Holding rund 5 Millionen Euro, die Boscor-Gruppe (ALDI-Nord) ca. 3 Millionen Euro.

Agro-industrieller Komplex

Die großen Nahrungsmittelprofiteure sind die marktbeherrschenden Konzerne in den Bereichen Landmaschinen, Energie, Chemie, Düngemittel, Saatgut, Pharmazie und Lebensmittelhandel. Zum Beispiel Bayer, BASF, John Deere, Mondelēz, ALDI, REWE, EDEKA und Co.

Sie alle wollen in der Landwirtschaft ein „Weiter so“, um ihre hochprofitablen Geschäfte fortsetzen zu können. Sie beeinflussen die Gesetzgebung und zwingen der Landwirtschaft ihre Bedingungen auf. Sie präsentieren sich „ökologisch“ und „nachhaltig“, aber maximale Profite sind ihnen wichtiger als der Erhalt der Natur und unserer Gesundheit.

Ökologischer Umbau jetzt

Aus der globalen Krise der Landwirtschaft gibt es keinen kapitalistischen Ausweg. Ohne Überwindung des wachstumsorientierten Profitsystems kann sich nichts ändern.

Die Klimakatastrophe erfordert jedoch ein schnelles und gesellschaftlich geplantes Handeln unter Berücksichtigung folgender Punkte:

  • Sofortiger ökologischer Umbau der Land wirtschaft unter Einbeziehung der Bäuerinnen und Bauern
  • Keine Subventionen auf Grundlage der Betriebsgröße
  • Keine Subventionen für klima- und naturschädigenden Anbau
  • Förderung und Weiterentwicklung schonender Anbaumethoden
  • Vergesellschaftung der gesamten Nahrungsmittelindustrie
  • Für eine solidarische und ökologische Landwirtschaft.

Aus Avanti² Rhein-Neckar Februar 2024

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