Eine der Unseren
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Nachruf auf Irène Borten (1929‒2020)

Eine der Unseren

Von Catherine Samary | 15.08.2020

Irène, unsere Freundin und Genossin hat uns nach langer Krankheit am 31. Juli im Alter von 90 Jahren verlassen. Sie wurde am 9. September 1929 geboren und war lange als Dr. Irène Borten-Krivine bekannt. Sie war die erste Ehefrau von Jean-Michel Krivine (1932‒2013), dem neun Jahre älteren Bruder der Zwillinge Alain und Hubert Krivine; die 1953 geschlossene Ehe ging auseinander, Ende der 1960er Jahre ließen sie sich scheiden.

Viele langjährige und ehemalige Mitglieder der LCR (deren Mitglied sie war und in der sie das Pseudonym Frédérique benutzte) und Vierten Internationale erinnern sich daran, dass sie sie in der „Rue de Léningrad“ kennen gelernt haben: In ihrer immens großen Wohnung im Quartier de l’Europe im 8. Arrondissement in Paris, in der sie auch ihren Beruf als Gynäkologin ausübte und in der sie viele Jahre lang zu fröhlichen Silvesterabenden empfing, zu der sich Dutzende von Aktivist*innen und Freund*in­nen zu riesengroßen Buffets mit angenehmen Plaudereien und mit Tanzen versammelten.

Dort fanden auch die ersten Sitzungen der „commission femme“ (Frauenkommission) der LCR statt und wurde manch ein Genosse, manche Genossin aus der ganzen Welt untergebracht ‒ von Petr Uhl und Anna Šabatová (aus Prag) bis zu Hugo Blanco (aus Peru) und vielen andere lateinamerikanischen Genoss*innen oder Theo und Nadia Psaradellis aus Griechenland.

Jean-Michel Krivine war ab 1949 – wie die ganze Familie Krivine ‒ begeisterter Aktivist der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) und ihres Studierendenverbands (UEC), Ende 1956, nach den Enthüllungen von N. S. Chruschtschow auf dem 20. Parteitag der KPdSU im Februar und der Niederschlagung der ungarischen Revolution vom Oktober/November 1956 durch sowjetische Panzer, trat er der kleinen „Parti Communiste Internationaliste“ (PCI) bei. Von deren führendem Kopf Pierre Frank ließ er sich überzeugen, weiter in der Arbeitermassenpartei PCF zu bleiben (formell bis 1970), um dort „Entrismus“ zu betreiben. Er war nicht unbeteiligt daran, dass kurz nach 1956 auch Irène Borten-Kri­vine und seine jüngeren Brüder Hubert noch 1956 und Alain 1961/62 ebenfalls mehr oder minder insgeheim Mitglieder der PCI wurden.

Sie war danach selbstverständlich an der Gründung der „Ligue communiste“ (Ostern 1969) beteiligt, aus der später die LCR wurde. In den 1980er Jahren beendete sie ihre formelle Mitgliedschaft, sie blieb der Bewegung jedoch eng verbunden.

Im Rahmen des Verbands „Planning familial“ und der Bewegungsstruktur „Mouvement pour la liberté de l’avortement et de la contraception“ (MLAC) unterstützte Irène die Kämpfe dafür, dass die Frauen Zugang zu Verhütung und Abtreibung bekommen. Aber sie stellte auch ihre Wärme und Sorge um die Rechte der Frauen ‒ einschließlich des Rechts auf eine entfaltete Sexualität ‒ in den Mittelpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit als Gynäkologin. Sie war in der „Société de Gynécologie et Obstétrique Psychosomatique“ (SFGOP, Gesellschaft für Gynäkologie und psychosomatische Geburtshilfe) aktiv und war lange Zeit deren Sekretärin. Ihr Buch mit dem Titel Frauenmedizin: Was die Gynäkologen verstehen[1] ist ein Zeugnis ihres Werdegangs als engagierte Gynäkologin.

Sie beeindruckte mit ihrer großen Bildung, ihrer „Statur“, ihrem aufmerksamen Zuhören. Sie wird uns fehlen.

Aus dem Französischen übersetzt und bearbeitet von Wilfried Dubois. Einige Informationen wurden ergänzt und beruhen auf Korrespondenz mit der Verfasserin.

Quelle: https://npa2009.org/agir/politique/hommage-irene-borten-les-ex-de-la-rue-de-leningrad
(3. August 2020); http://www.europe-solidaire.org/spip.php?article54261


[1] Irène Borten-Krivine, Médecin de femmes. Ce qu’entendent les gynécologues, Paris: Albin Michel, 2004. ‒ 302 S.
Sie ist außerdem Mitverfasser in eines Buchs für junge Frauen: Irène Borten-Krivine u. Diane Winaver, Ados, amour et sexualité, Paris: Albin Michel, 2001. ‒ 231 S.

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