Die Spirale von Hochrüstung und Militarisierung dreht sich immer schneller
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Aufrüstung

Die Spirale von Hochrüstung und Militarisierung dreht sich immer schneller

Von Wolfgang Feikert | 19.08.2024

In diesem Sommer gab es eine geradezu atemberaubende Beschleunigung der Hochrüstung und Militarisierung in der BRD durch die Ampel-Regierung.

Insgesamt handelt es sich um sechs Punkte:

1. Die Staatsausgaben für Rüstung erreichen 2024 eine neue Rekordhöhe.

2. Die Rüstungsexporte steigen auf ein vorher nie erreichtes Niveau.

3. Der militärisch-industrielle Komplex erfährt eine offensive staatliche Förderung.

4. Die Bundeswehr soll mit dem „neuen Wehrdienst“ personell gestärkt werden.

5. Ab 2026 sollen erstschlagfähige Mittelstreckenwaffen in Deutschland stationiert werden.

6. Für die BRD wird eine stärkere Rolle in der NATO anvisiert.

Hintergrund ist die geänderte, d.h. erweiterte und somit doppelte Aufgabenstellung für die Bundeswehr: Die Bundeswehr war nach der Auflösung des Ostblocks vorwiegend eine intervenierende Armee in Auslandseinsätzen, und zwar im Wesentlichen gestützt auf Berufssoldaten. Der „Landesverteidigung“ wurde nur eine geringe Bedeutung beigemessen, da das Bedrohungsszenario nicht mehr aktuell schien. Jetzt, da die geopolitische Dimension des Machtkampfs zwischen den neuen imperialen Mächten Russland und China einerseits, den USA, der EU und der NATO andererseits wieder auf der Tagesordnung steht, bedürfe es zusätzlicher enormer Anstrengungen, um der angeblich drohenden akuten Gefahr durch Russland für das NATO-Gebiet durch Stärkung der „Landesverteidigung“ zu begegnen.

1) 91 Milliarden für das Militär

Die Ausgaben für 2024 erreichen eine neue Rekordhöhe: Die NATO schätzt die deutschen Militärausgaben 2024 inzwischen auf 90,58 Mrd. Euro (2,12 % des BIP). Die Summe setzt sich zusammen aus 51,95 Mrd. Euro (regulärer) Verteidigungshaushalt, hinzu kommen 19,8 Mrd. aus dem „Sondervermögen“ und 18,83 Mrd. Euro nach NATO-Kriterien.[i] Besonders pikant ist dabei, dass der sogenannte „ARD-Faktenfinder“ Sahra Wagenknecht, die auch diese Summe kommuniziert hatte, der Unwahrheit bezichtigte, indem er die Ausgaben nach NATO-Kriterien, z.B. Waffenlieferungen an die Ukraine, einfach wegließ.

Allein im Sommer wurden Rüstungsgüter im Wert von 35 Milliarden € geordert[ii]:

Art der RüstungsgüterHerstellerKosten in Milliarden €
6 500 Militär-LKWRheinmetall  3,5
2 FregattenBlohm&Voss u.a.  3,0
ArtilleriemunitionRheinmetall  8,5
ArtilleriemunitionDiehl und Raufoss 15,0
105 Leopard-PanzerKNDS  3,0
2 TelekommunikationssatellitenAirbus  2,2
Summe  35,2

Nicht alle diese Ausgaben sind durch das „Sondervermögen“ abgedeckt, ein Teil, wie die Leopard-Panzer, wurde „auf Pump“ gekauft, wie IMI berichtete.[iii]

2) Rüstungsexporte auf Rekordhöhe

Die deutschen Rüstungsexporte sind im ersten Halbjahr 2024 deutlich gestiegen. Von Januar bis Juni wurde die Ausfuhr militärischer Güter für 7,6 Mrd. Euro genehmigt. (Im Gesamtjahr 2023 waren es 12,2 Mrd.). Die 7,6 Milliarden Euro sind eine Steigerung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (5,22 Milliarden Euro) von gut 45 Prozent. Dabei handelt es sich um Kriegswaffen im Wert von 5,5 Milliarden Euro und „sonstige Rüstungsgüter“ (2,1 Mrd. Euro).

Der Großteil ging in die Ukraine. Zu den fünf wichtigsten Empfängerländern zählt seit geraumer Zeit wieder Saudi-Arabien, das Kriegspartei im Jemen ist.[iv]

3) Die staatliche Förderung eines starken „militärisch-industriellen Komplexes“

Das Engagement der Bundesregierung geht weit über die Vergabe von lukrativen Rüstungsausgaben hinaus: Die – im Vergleich zu anderen imperialistischen Mächten – bisher eher zweitrangige deutsche Rüstungsindustrie soll mit staatlicher Förderung und direkter Staatsbeteiligung zu einem starken „militärisch-industriellen Komplex“ ausgebaut werden. Im internationalen Ranking der hundert umsatzstärksten Rüstungskonzerne weltweit steht der größte deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall gerade mal auf Platz 19[v]. Das soll sich ändern, auch mit Hilfe direkter Beteiligungen des Bundes: Am börsennotierten Rüstungskonzern Hensoldt ist der Bund bereits mit 21,8 % beteiligt.

Diese Bestrebungen werden skandalöserweise auch von der IG Metall unterstützt, die ein Positionspapier zusammen mit dem Wirtschaftsrat der SPD und dem Dachverband der Rüstungsindustrie veröffentlicht hat.

4) Der „neue Wehrdienst“: keine Abkehr von der Berufsarmee

Der im Juni vorgestellte „neue Wehrdienst“ sieht die systematische Erfassung der wehrfähigen jungen Männer und Frauen mit einem Online-Fragebogen vor, den Männer beantworten müssen. Diese Form ist angelehnt an das schwedische Modell, das Verteidigungsminister Pistorius im Frühjahr vor Ort begutachtete. „Wir wollen nur die Besten“ wurde er im Reisebericht auf der Bundeswehr-Webseite zitiert. Es sollen aus der Menge der Interessierten pro Jahr 5 000 herausgefiltert und ausgebildet werden, mehr kann die Bundeswehr aktuell nicht leisten, fehlen ihr doch 20 000 Soldat:innen zur Sollstärke. Die Dauer des Wehrdienstes beträgt mindestens 7 Monate, kann jedoch auf 23 Monate aufgestockt werden. Da die Bundeswehr auch dringend Personal für den Aufbau einer Brigade von 4 800 Soldat:innen in Litauen an der Ostflanke der NATO braucht, wird sie eher diejenigen nehmen, die sich länger als ein Jahr verpflichten, weil Auslandseinsätze das voraussetzen.

Jedoch wird allein schon durch die massenhafte Propaganda der Bundeswehr gegenüber jungen Leuten die Militarisierung der Gesellschaft weiter angeheizt. Mit einer Wiederinkraftsetzung der allgemeinen Wehrpflicht hat dieses Modell rein gar nichts zu tun[vi], ungeachtet der Wünsche von Pistorius und den weitergehenden Vorstellungen der CDU/CSU. Auf dem letzten Parteitag der Union wurde auf Antrag der Jungen Union folgender Antrag mit großer Mehrheit angenommen: „Wir werden die Aussetzung der Wehrpflicht schrittweise zurücknehmen und die Wehrpflicht in ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr überführen[vii]. Bis zu dieser Umsetzung fordern wir zur Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr die Einführung einer Kontingent-Wehrpflicht.“ Letzteres ist – mit anderer Wortwahl – nicht wesentlich anders als die beschlossene selektive Rekrutierung à la Pistorius.

Zwischenfazit: „Als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet“, so könnte man den jetzigen Stand der Bemühungen um eine Wiederinkraftsetzung der allgemeinen Wehrpflicht charakterisieren. Mehr geht wegen der fehlenden Infrastruktur (die komplett abgebaut wurde) und ungelöster rechtlicher Probleme (Stichworte: Wehrgerechtigkeit, Wehrdienst für Frauen) eben nicht.

Entscheidender ist jedoch folgende Frage: Braucht eine hochtechnisierte Armee wie die Bundeswehr nicht eher gut ausgebildete und somit längerfristig an sie gebundene Fachkräfte? Was könnte sie heutzutage überhaupt mit Wehrpflichtigen anfangen? Die Antwort ist klar: Die Bundeswehr wird eine Armee von Berufssoldaten[viii] bleiben, eine Rückkehr zu einer Bundeswehr der 1970/80er Jahre (siehe hierzu Fußnote 8) wird es nicht geben.

5) Die Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Deutschland ab 2026

Am Rande der Feierlichkeiten zum 75-jährigen Bestehen der NATO wurde von Kanzler Scholz und Pistorius Folgendes (als bilaterales Abkommen) verkündet: Ab 2026 werden in Deutschland Mittelstreckenwaffen stationiert, die bis nach Russland reichen. Überrascht davon waren die anderen Ampel-Koalitionäre, die Regierungspartei SPD und die anderen NATO-Partner. Vorgesehen sind: Marschflugkörper, Mittelstreckenraketen und neu entwickelte Hyperschallwaffen als „Antwort“ auf die in der russischen Enklave Kaliningrad vermuteten Marschflugkörper mit großer Reichweite.[ix] Scholz und Pistorius sprachen davon, dass damit eine „Fähigkeitslücke“ geschlossen werde. Wieder einmal soll suggeriert werden, die NATO sei gegenüber Russland in ein militärisches Hintertreffen geraten und müsse „nachrüsten“, wie es damals beim NATO-Doppelbeschluss hieß. Wie damals wird das „Gleichgewicht des Schreckens“, die „Abschreckung“, als „Garant des Friedens“ bezeichnet. Gegen diese ideologischen Nebelkerzen und die Stationierung sind in der BRD damals Hunderttausende auf die Straße gegangen.

Mit der Stationierung soll eine Erstschlagfähigkeit der NATO hergestellt werden, wie die Beraterin der Bundesregierung, Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik, offen zugab: „Die Tomahawks sollen bis zu 2500 Kilometer weit fliegen können, könnten also Ziele in Russland treffen. Und ja, genau darum geht es. […] So hart es klingt. Im Ernstfall müssen NATO-Staaten auch selbst angreifen können, zum Beispiel, um russische Raketenfähigkeiten zu vernichten, bevor diese NATO-Gebiet angreifen können, und um russische Militärziele zu zerstören, wie Kommandozentralen.“[x]

Die Stationierung und die Einrichtung einer Kommandozentrale in Wiesbaden wurden von den USA bereits insgeheim seit 2021 vorbereitet.[xi]

Außerdem haben Polen, Deutschland, Frankreich und Italien am Rande des NATO-Gipfels 2024 in Washington eine Absichtserklärung zur Entwicklung bodengestützter Marschflugkörper mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern unterzeichnet. Frankreich hat dabei die Entwicklung einer fahrzeuggebundenen Ausführung des MdCN-Marinemarschflugkörpers vorgeschlagen.

6) Die neue Rolle der BRD in der NATO

In der Summe bedeuten die oben genannten Punkte eine deutlich stärkere Integration Deutschlands in das atlantische Bündnis, bezogen auf Europa soll es gar eine Führungsrolle sein, die die Bundesregierung ausfüllen will. Vor dem Hintergrund, dass andere wichtige NATO-Staaten gerade stark mit sich selbst beschäftigt sind, sieht die Bundesregierung aktuell eine gute Chance, ihre Rolle aufzuwerten, auch wenn Scholz scheinheilig leugnet, dass die BRD einen (europäischen) Führungsanspruch in der NATO anstrebt. Pistorius jedenfalls setzt alles daran, noch mehr Finanzmittel zu bekommen und setzt sich auch entsprechend in Szene. Dies geht sogar so weit, dass er zwei Kriegsschiffe in den Indopazifik schickt. Vergessen wir nicht: Die NATO soll mehr denn je die (militärischen) Interessen der westlichen imperialistischen Mächte bündeln, nicht zuletzt aufgrund der allgemeinen Änderung der geopolitischen Lage (Aufstieg Chinas). 

Beschleunigt wurde die Stärkung des europäischen Teils der NATO durch die Befürchtung, Donald Trump könnte die nächsten US-Präsidentschaftswahlen gewinnen. So oder so soll endlich Schluss sein mit der Schwäche der uneinigen EU. Ganz nebenbei könnte ein „stärkeres Europa“ Macron zumindest ein wenig helfen, seine innenpolitische Schwäche nach der Wahlniederlage zu überwinden.

13.08.2024

Vorabdruck aus die internationale, 5/2024


[i] IMI-Standpunkt 2024/12, 19. Juni 2024, „Militärausgaben 2024: Deutschland knackt 90 Mrd.!“.

[ii] Zusammengestellt vom Autor; Quellen: tagesschau.de und IMI e.V.

[iii] IMI-Aktuell 2024/414, 21. Juni 2024, „Panzer auf pump“.

[iv]„Bericht zur Rüstungsexportpolitik“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimapolitik, 5.07.2024.

[v] Factsheet Rüstung, IMI e.V.

[vi] In den Hochzeiten der 1979/80er Jahre hatte die Bundeswehr über 400 000 Soldaten, zusätzlich gab es bis zu 1,4 Millionen wehrpflichtige Reservisten.

[vii] Die Union fordert bereits ein verpflichtendes Soziales Jahr für junge Leute ab 18. Das „Gesellschaftsjahr“ ließe die Wahl zwischen sozialer Betätigung und Wehrdienst.

[viii] „Berufssoldaten“ verpflichten sich laut Bundeswehr lebenslang bis zu ihrem Ausscheiden, im Unterschied zu Zeitsoldaten. Im Artikel verwende ich den Begriff „Berufssoldat“ jedoch für alle, die die militärische Tätigkeit bei der Bundeswehr als ihren Beruf ausüben.

[ix] Ob die in Kaliningrad stationierten Waffen diese behauptete Reichweite haben, ist umstritten. Die Möglichkeit einer Überprüfung, wie es sie mit dem INF-Vertrag einmal gab, ist nicht mehr vorhanden.

[x] Zit. nach: IMI-Analyse 2024/33 (Update: 23.7.2024): Jürgen Wagner, „Das ist lange her, dass es das gab.“ Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland mit Reichweite bis Russland beschlossen.

[xi] Ebenda.

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