Der Einzug der AfD in den Bundestag 2017 stellt eine Zäsur in der politischen Geschichte der Bundesrepublik dar. Sie hat unmittelbar zu einer politischen Krise in den Unionsparteien geführt, die im vergangenen Jahr auch zu einer Regierungskrise geführt hat. Die parlamentarischen Verhältnisse in Deutschland sind damit in eine Phase anhaltender Instabilität getreten. Die kommenden Europawahlen und Landtagswahlen in Ostdeutschland stellen eine weitere Verschiebung der politischen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nach rechts in Aussicht. Gleichzeitig scheint das Wetterleuchten einer neuen Wirtschaftskrise am Horizont auf. Der Schmusekurs der Unionsparteien mit der Sozialdemokratie, der die Kanzlerschaft Merkels geprägt hat, ist ein Auslaufmodell. Das Unternehmerlager drängt immer massiver darauf, ihn zu beenden, weil er zu den Angriffen, die die Kapitalseite meint, angesichts der weltpolitischen Lage gegen die Arbeiterklasse führen zu müssen, nicht mehr passt. Zugleich nimmt aber auch der gesellschaftliche Widerstand an Fahrt auf und radikalisiert sich.
I. Gesellschaftliche Rechtentwicklung und neu drohende Wirtschaftskrise
1. Die Konjunktur, die auf die Finanzkrise 2007-2008 folgte, neigt sich sichtbar dem Ende zu. Keine der Ursachen, die die Pleitewelle der Banken damals ausgelöst haben, wurde seither beseitigt, im Gegenteil: Sie wurden mit einer Geldschwemme überspielt, die die Schwierigkeiten für das Kapital, in ausreichendem Maß profitable Anlagemöglichkeiten zu finden, noch vergrößert hat. Alle Wirtschaftsinstitute sagen einen Rückgang des Wirtschaftswachstums voraus, vor allem in den Schwellenländern und in dem für die deutschen Exporte so wichtigen China. Zugleich ist der Konkurrenzdruck, den das aufstrebende Land auf die Exporte aus den alten Industrieländern, namentlich Deutschland, ausübt, massiv gestiegen – China ist immer weniger eine verlängerte billige Werkbank und immer mehr ein Konkurrent, gerade auch im Hochtechnologiebereich.
2. Die politische Wende von Donald Trump hin zu „America first“ hat in dieser Verschiebung der Kräfteverhältnisse auf dem Weltmarkt ihre tiefere Ursache. Das deutsche Kapital ist darüber gespalten: einerseits fürchtet es die Auswirkungen auf das US-Geschäft, andererseits aber teilt es die aggressive Gangart gegenüber China (und Russland) – das gilt vor allem für die dort tätigen Großkonzerne.
Der Kurswechsel in Richtung „Wir zuerst“, den auch zahlreiche andere Länder vollzogen haben, stellt die von den USA nach dem Fall der Mauer konzipierte „neue“ multilaterale Weltordnung mit ihren entsprechenden Handelsinstitutionen in Frage (die Krise der EU hat ähnliche Ursachen); er bedeutet letzten Endes nichts anderes als dass die weltweite Verschärfung des Konkurrenzkampfs Versuche, einen internationalen Interessenausgleich herzustellen, stark erschwert.
3. Damit korrespondiert eine verstärkte Militarisierung (u .a. der EU). Sie ist Ausdruck der Krise der neoliberalen Hegemonie angesichts des Aufstiegs einiger Schwellenländer, allen voran China, der zunehmenden Konflikte zwischen den kapitalistischen Zentren und der immer offeneren Bereitschaft, sie im Zweifelsfall auch bewaffnet auszutragen. Sie erfolgt unter dem Druck der US-Forderung, die Verbündeten hätten 2 Prozent ihres Haushalts für Rüstung aufzubringen; das deutsche Kapital sieht darin aber auch eine Chance, ein Stück mehr Weltherrschaft zu erlangen. Die zunehmende Militarisierung geschieht in zwei Richtungen: Auf der einen Seite hat Deutschland die gegen Russland gerichtete militärische Einkreisungspolitik der USA (die ja bereits unmittelbar nach der Wende mit der NATO-Mitgliedschaft der osteuropäischen Staaten begann) stets mitgemacht; diese hat in jüngster Zeit mit der Aufkündigung des INF-Vertrags durch die USA eine ungeheure Verschärfung erfahren, die auch in Aussicht stellt, dass wieder Atomraketen in Deutschland stationiert werden könnten. Der größte Teil der bürgerlichen Parteien unterstützt diese Position (da scheint die Bundeskanzlerin in ihren Reihen eher isoliert).
Auf der anderen Seite wird der aggressive Kurs der USA, der sich in der Hauptsache gegen China wendet, von den europäischen und deutschen Eliten auch zum Vorwand genommen, die EU müsse jetzt zu einem eigenständigen militärischen Faktor werden. Damit stehen nicht nur für die Rüstungsindustrie die Tore wieder weit offen; es wird auch der Versuch unternommen, die europäische Integration, die so spektakulär an der wachsenden sozialen Ungleichheit gescheiter ist, nun über den Umweg der militärischen Integration zu retten.
4. Der Kapitalismus ist immer weniger in der Lage, die Auswirkungen seiner Herrschaft abzufedern: Armut und Hunger nehmen weltweit allen Millenniumszielen zum Trotz wieder zu – auch in reichen Industrieländern wie Deutschland; Flucht und Migration sind die Kehrseite einer globalen Produktionsweise, die auf allen Ebenen mehr soziale Ungleichheit schafft; militärische Interventionen münden in endlose Kriege, die, wie im Nahen Osten, häufig Stellvertreterkriege um Einflusszonen und Rohstoffe sind.
Neben diesem „klassischen“ kapitalistischen Krisenmechanismus steht der Kapitalismus noch vor einer weiteren historischen Herausforderung, die sich derzeit massiv zuspitzt: Das sind all die Fragen, die mit dem Klimawandel zu tun haben. Sie erfordern einen grundlegenden industriellen Umbau weg von fossilen Brennstoffen, der im diametralen Gegensatz zu den Verwertungsinteressen des Kapitals steht (z. B. für die Energieunternehmen oder die Autoindustrie) und die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus erheblich verschärft.
5. Durch die Bank reagieren die Herrschenden auf diese Entwicklungen mit mehr von den alten neoliberalen Rezepten: mit einer Intensivierung der Austeritätspolitik, mit mehr Privatisierung und Deregulierung; mit Massenentlassungen wie derzeit in der Automobilindustrie und Teilen der chemischen Industrie; mit weiterem Sozialabbau und dem Abbau von Arbeiterrechten und Gewerkschaftsrechten; mit der Übernahme national-chauvinistischer Positionen in staatliche Politik und einer brutalen rassistischen Ausgrenzungspolitik, die in klassischer Weise dazu dient, von den wirklichen Ursachen und Verursachern dieser Krise abzulenken; mit dem Abbau demokratischer Rechte und der Rückkehr zu autoritären Regierungen, die sich teilweise auf halb-faschistische Kräfte stützen. Die autoritäre Rechte ist weltweit auf dem Vormarsch.
Der Versuch, auf diese Weise die schwindende Legitimation bürgerlicher Herrschaft zu überdecken, gelingt jedoch nur teilweise. Gegen die zunehmende Unfähigkeit des Kapitalismus, die elementaren Bedürfnisse der breiten Bevölkerung zufriedenzustellen und mit globalen (hausgemachten) Problemen wie Klimawandel, Armut oder Migration, fertig zu werden, bilden sich Massenbewegungen zu den unterschiedlichsten Problemen (gegen die Kohle, den Rassismus, die unerträglichen Arbeitsbedingungen, die marode Infrastruktur, die Korruption usw.), die aber alle dieselbe Kernursache haben. Es gibt somit nicht nur eine Rechtsentwicklung, sondern eine zunehmende gesellschaftliche und politische Polarisierung. Gleichzeitig nimmt die Bevölkerung wahr, dass die herrschenden Kreise sich abschotten und quasi-feudale Privilegien für sich in Anspruch nehmen. Die Proteste wenden sich daher zunehmend – und nicht nur von rechts! – gegen „das System“. Wenn Linke jetzt keine Antwort geben können, können sie es gar nicht.
II.
1. Deutschland teilt die genannte Entwicklung im großen und ganzen, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung und noch abgepuffert durch die auf Kosten anderer Konkurrenten und Länder gewonnene Exportstärke, die jedoch immer mehr Gefahr läuft, zu einer Achillesferse zu werden.
Vor allem drei Entwicklungen haben dazu geführt, dass auch hierzulande in Ansätzen so etwas wie eine Systemkrise spürbar wird: die Einführung der Hartz-Gesetze und, damit verbunden, der rapide Anstieg prekärer Lebensverhältnisse, die den nachwachsenden Generationen trotz guter Konjunktur nicht mehr erlauben, den Lebensstandard der Eltern zu erreichen; die anhaltende Spaltung in Ost und West – wesentlich verursacht durch den Raubzug des Westkapitals nach dem Fall der Mauer und die Besetzung der wesentlichen Machtpositionen (auch in Ostdeutschland) durch Wessis; und die jahrelange Vernachlässigung der öffentlichen Infrastruktur, die inzwischen als “Staatsversagen” empfunden wird.
Vor diesem Hintergrund hat die Art und Weise, wie die Regierung Merkel in ihren verschiedenen Varianten die sog. „Griechenlandkrise“ gemanaged hat (nämlich mit einer Dauerkampagne gegen die faulen Griechen, für die „wir“ nicht zahlen wollen) dazu beigetragen, dass eine rechtsextreme Strömung sich dauerhaft etablieren konnte, die die offene Ausgrenzung besonders hilfebedürftiger Bevölkerungsteile gesellschaftsfähig gemacht hat. Die Wahlerfolge der AfD speisen sich aus zwei Quellen: einem konstanten rechtsextremen Bodensatz und einer größer werdenden Schicht von Menschen, die sich von der SPD abwenden wegen deren neoliberalem Kurs: Früher haben sie die Reihen der Nichtwähler*innen gefüllt, heute speist sich aus diesem Reservoir ein nicht unerheblicher Teil von AfD-Wähler*innen.
2. Auch die Union bezahlt einen Preis für ihre Anbiederung an die AfD: Sie hat sich mittendurch gespalten in einen Teil, der versucht, die AfD rechts zu überholen, und einen Teil, der befürchtet, mit einem solchen Kurs die Existenz der Union als „Volkspartei“ erst recht aufs Spiel zu setzen. Das drohende Aus für die Große Koalition konnte im Herbst 2018 noch einmal abgewendet werden, doch ist die Sache nicht ausgestanden, wie der sehr knappe Sieg von AKK bei der Wahl zur Bundesvorsitzenden gezeigt hat. Die Krise der Union wird ein Dauerthema bleiben.
Die AfD ist nicht der einzige Spaltpilz in der Union. Wie die Kandidatur von Merz gezeigt hat, geht es auch um die Frage, ob der Kuschelkurs mit der SPD (und, über sie vermittelt, mit den Gewerkschaftsspitzen) fortgesetzt werden soll. Das Kapital stand geschlossen hinter ihm, und auch wenn AKK die Wahl zur Vorsitzenden denkbar knapp gewonnen hat, wird auf SPD und Gewerkschaften immer weniger Rücksicht genommen.
3. Die SPD zahlt die größte Zeche für acht Jahre Große Koalition, die inhaltlich nichts anderes waren als die Fortsetzung der Politik der neoliberal gewendeten Schröder-SPD. Die seit dem Ende der 90er Jahre neoliberale gewendete SPD hat die kapitalistische Globalisierung, d. h. die weltweite Konkurrenz unter den abhängig Beschäftigten, den Kampf um die Exporte und den „Industriestandort Deutschland“ mitgetragen. Gestützt auf die Führungen insbesondere der Industriegewerkschaften, die gehofft hatten, die Konzentration auf Arbeitsplätze im Hochtechnologiebereich würde die Auswirkungen der globalen Konkurrenz auf die deutschen Facharbeiter*innen abfedern, hat sie die Spaltung der Lohnabhängigen massiv vorangetrieben und erweist sich bis auf den heutigen Tag als die treueste Vasallin des kapitalistischen und imperialistischen EU-Projekts, einschließlich seiner Kriege (Kosovo!) und der strikten Ausklammerung jeglicher Politik, die auf eine Harmonisierung der Lebensverhältnisse und der sozialen Rechte in der EU hinauslaufen könnte.
An der Regierung versucht die SPD derzeit, sich mit Einzelthemen wie Kinderarmut oder der wertabhängigen Anhebung der Grundsteuer zu profilieren. Dies wird ihr jedoch ebenso wenig nutzen wie die Einführung eines (unzureichenden) Mindestlohns oder der Renteneinstieg mit 63 für kleine Teile der abhängig Beschäftigten, solange sie keine grundlegende Abkehr von der Agenda-Politik vornimmt – was nach aller Erfahrung nicht zu erwarten ist.
Den Parteien der Großen Koalition wird es nicht mehr gelingen, die AfD wieder unter die 5 Prozent zu drücken. Dazu müssten sie sich von ihrer Politik der sozialen Ungleichheit und Verarmung, die das oberste Prozent der Bevölkerung auf Kosten der großen Mehrheit der Bevölkerung privilegiert, verabschieden und die tieferliegenden Gründe für den Aufstieg der AfD angehen.
III. Gegentendenzen
1. Betrieblicher/ gewerkschaftlicher Widerstand
Interessanter ist die Frage, welche Auswirkungen die absehbare Verschärfung der Klassenkämpfe auf die Gewerkschaften haben wird. Die ganze Situation drängt eigentlich dazu, dass in ihren Reihen der Druck auf einen Kurswechsel zunimmt – ein Indiz dafür ist die zunehmende Beteiligung von Gewerkschaften und Gewerkschafter*innen an der „Streikkonferenz“. Lange Zeit haben die Gewerkschaftsvorstände weitgehend darauf verzichtet, Kämpfe um Themen zu führen, die sie selber setzen und die – in Verbindung mit Mobilisierungen der breiten Öffentlichkeit – dazu führen könnten, dass die Lohnabhängigen aus der Defensive herauskommen und das Kräfteverhältnis wieder zu ihren Gunsten beeinflussen können. Hier gab es im vergangenen Jahr zwei bemerkenswerte Veränderungen:
1.1. Der letzte Tarifkampf in der Metallindustrie wurde u. a. um Arbeitszeit geführt. Die erzielten Regelungen bezüglich Letzterem hatten nur für einen sehr beschränkten Teil der Belegschaften eine Wirkung. Eine reale Arbeitszeitverkürzung hat der Tarifkampf nicht gebracht, weil im Tarifvertrag festgeschrieben wurde, dass mögliche Arbeitszeitverkürzungen für einen Teil der Belegschaft durch längeres Arbeiten eines anderen Teils der Belegschaft kompensiert werden müssen.
Dennoch, die 24-Stunden-Streiks waren eine sehr erfreuliche Streiktaktik, weil damit erstmals seit langem viele Kolleg*innen (auch solchen aus anderen Betrieben, die die Streikposten der bestreikten Betriebe verstärkt haben) eine Ahnung bekommen haben, was Solidarität bewirken kann. Auf dieser Ebene war geradezu eine gewisse Euphorie der Beteiligten über die „eigene Kraft“ zu verspüren. Ob dies eine längerfristige tarifpolitische Wende der IG Metall angekündigt, wird sich jedoch erst in den nächsten Tarifrunden herausstellen.
1.2. Ein herausragendes Merkmal der jüngsten Arbeitskämpfe, die außerhalb der üblichen Tarifrunden um Lohn und Gehalt stattfanden, ist die Tatsache, dass sie
1. a) vorwiegend im Dienstleistungsbereich stattfinden, und zwar in dem Segment, das der öffentlichen Daseinsvorsorge dient; und dass die in diesen Bereichen Beschäftigten
2. b) den Gegenstand ihrer Kämpfe so formulieren, dass er anschlussfähig wird für viele Menschen außerhalb des Betriebs – also die abhängig Beschäftigten nicht nur als Produzent*innen, sondern auch als Konsument*innen von Dienstleistungen ansprechen. Diese Anschlussfähigkeit ermöglicht eine Ausweitung der Kämpfe über den Betrieb hinaus und somit eine erhebliche Politisierung und Radikalisierung.
Die betrieblichen Kämpfe gegen den Pflegenotstand haben ein Fenster in diese Richtung geöffnet. Ob dies von den Gewerkschaftsführungen wahrgenommen wird, ist derzeit offen. Einerseits hatte das Bestreben, Streiks in den Krankenhäusern durchzuführen, mehrfach mit Widerständen aus dem Apparat zu kämpfen, ja, es musste und muss manchmal gegen Teile des Apparats durchgesetzt werden. Dass Letzteres möglich war, zeigt, wie stark der Druck auf den Beschäftigten im Gesundheitssektor lastet; dennoch ist eine Hinwendung der Ver.di-Führung zur Planung einer umfassenden, gleichzeitigen Streikbewegung aller Belegschaften bisher nicht zu erkennen. Die Front im Apparat gegen Fallpauschalen und Privatisierungen ist löchrig. In Ver.di gibt es nach wie vor eine starke Strömung, die Privatisierung und Fallpauschalen nicht unter allen Umständen ablehnt, sondern nur „gestalten“ will.
Andererseits haben die Volksentscheids-Initiativen für mehr Personal in der Pflege, kombiniert mit den betrieblichen Kämpfen, dazu beigetragen, eine breite Öffentlichkeit für diese drängende soziale Frage zu sensibilisieren. Es konnte klar gemacht werden, dass sie nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Patient*innen und potentiellen Patient*innen angeht, und deshalb tendenziell alle Menschen betrifft (außer denen, die sich teure Privatkliniken leisten können).
Allerdings ist auch festzustellen, dass bestimmte Kräfte in Ver.di sich gerne lieber „nur“ in der Volksentscheids-Initiativen gegen den Pflegenotstand engagieren möchten, weil sie dann den Konflikten, die mit der Vorbereitung und Durchführung von Streiks in den Betrieben einhergehen, aus dem Weg gehen können. Dabei ist klar, dass reale Erfolge beim Personalaufbau in einigen Krankenhäuser nur die Verbindung mit betrieblichen Kämpfen möglich wurden.
Der Kampf gegen den Pflegenotstand ist ein Beispiel dafür, wie der drastische Abbau des Sozialstaats und die Vernachlässigung der Infrastruktur durch den auf Privatisierung fixierten Staat zunehmend zu einem Gegenstand von Klassenkämpfen wird, bei denen die Belange der Beschäftigten mit denen der Nutzer*innen zusammentreffen und deren Adressat unmittelbar der Staat ist. Das schafft Voraussetzungen für eine Politisierung der Kämpfe und die Entwicklung von Übergangsforderungen. Ihm kommt deshalb eine besondere strategische Bedeutung zu.2.
2. Gesellschaftlicher Widerstand
Daneben haben im vergangenen Jahr die außerbetrieblichen Massenmobilisierungen massiv zugenommen; einige wie die Klimabewegung richten sich direkt gegen das Kapital. Auch sie bieten die Chance, die „Systemfrage“ von links aufzugreifen und Tagesauseinandersetzungen zu verbinden mit grundlegenden Alternativen zum Kapitalismus.
2.1. Gegen AfD/CSU, für die Rechte der Flüchtlinge bzw. gegen Rassismus und gegen die Polizeigesetze gingen allein in München und Bayern binnen fünf Monaten in vier Großdemos um die 120.000 Menschen auf die Straße. Ähnliches gab es in vielen anderen Großstädten (Hamburg, Köln usw.), aber auch in kleineren Kommunen (in Dachau z. B. demonstrierten 2000 Menschen gegen einen Auftritt von Beate von Storch – die wohl größte Demo in der Nachkriegsgeschichte Dachaus!). Ein weiterer Höhepunkt war die Mobilisierung in Berlin mit 250.000 Menschen gegen den Rechtsruck. Diese Demonstrationswelle hat das gesellschaftliche Klima durchaus beeinflusst und die politische Lähmung aufgebrochen, die sich nach dem Einzug der AfD in den Bundestag und den Versuchen der CSU, diese rechts zu überholen, breit gemacht hatte.
2.2. Massendemonstrationen gab es auch im Bereich der Wohnungspolitik, für eine gesündere Nahrungsmittelproduktion und für den sofortigen Ausstieg aus der Kohle und den Erhalt des Hambacher Forsts. Auch diese Bewegungen breiten sich aus und radikalisieren sich. Die Besetzerinnen und Besetzer der Tagebaue verstehen sich längst nicht mehr nur als Kämpfer*innen gegen die Kohle, sondern als solche für Klimagerechtigkeit; in diesem Jahr wollen sie eine Konferenz über die „Transformation des kapitalistischen Systems“ veranstalten. Zugleich weiten sie ihr Aktionsfeld aus und beziehen den notwendigen Ausstieg aus der Autogesellschaft mit ein, was wiederum anschlussfähig ist an die Initiativen für einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, die vielerorts entstanden sind.
Sowohl in der Energie- wie auch in der Autoindustrie steht ein großflächiger Umbau der Produktion an; hier haben Umweltschützer*innen mit dem Problem zu kämpfen, dass ihre Anliegen gegen die Interessen der Belegschaften am Erhalt ihrer Arbeitsplätze ausgespielt werden können, weil der Staat seiner Aufgabe, umweltfreundliche Ersatzarbeitsplätze zu schaffen, nicht nachkommt (und die Linke keine Staatsmacht hat). Die drohende Wirtschaftskrise wird die Situation noch verschärfen, insbesondere die Krise der Automobilindustrie schlägt sich jetzt schon in Massenentlassungen und Werkschließungen nieder.
Objektiv besteht damit die Möglichkeit, den Kolleg*innen deutlich zu machen, dass ihre Arbeitsplätze nicht durch Umweltschützer*innen, sondern durch die Unternehmer*innen selbst in Frage gestellt werden, deswegen ein gemeinsamer Kampf gegen die kapitalistische Produktion angesagt ist. Für eine ökosozialistische Strömung wie die ISO ist es eine zentrale Herausforderung, Wege zu finden, wie ein solches Bewusstsein unter den Beschäftigten in der Autoindustrie greifen kann.
2.3. Ein Problem, das ebenfalls breiten Teilen der Bevölkerung unter den Nägeln brennt, sind die drastischen Mietensteigerungen infolge der rabiaten Politik der Immobiliengesellschaften – im Verein mit den Kommunen. Eine Forderung wie „Deutsche Wohnen enteignen!“ wird inzwischen von einer breiten Mehrheit der Berliner Bevölkerung getragen, das ist spektakulär.
Erfolge im Kampf für eine gute öffentliche Infrastruktur, die allen zugutekommt, und „Vollzeit für alle“ sind überdies hochgradig geeignet, die extreme Rechte wieder in die Schranken zu weisen und gesellschaftliche Alternativen aufzuzeigen. Gerade weil die AfD teilweise versucht, sich das Image der „Vertreterin der Interessen des kleinen Mannes“ gegenüber die „Eliten“ zu geben, reichen „reine“ Antifa-Mobilisierungen nicht aus; sie müssen mit sozialen Forderungen und Kämpfen verbunden werden (die gelben Westen in Frankreich sind ein Beispiel dafür).
3. Auf der parteipolitischen Ebene ist weit weniger Bewegung. DIE LINKE dümpelt vor sich hin, trotz der Bemühungen einiger Parteivorstände, die eine aktive Teilnahme der Partei an außerparlamentarischen Bewegungen vorantreiben, bleibt ihre Verankerung in Stadtteilen und Betrieben schwach – ein Manko, das sie im übrigen mit der radikalen Linken teilt. Von daher die Versuchung, entweder wider besseres Wissen „Rot-Rot-Grün“ (R2G) als Alternative zum Neoliberalismus anzupreisen oder mit Hilfe einer proklamierten „Bewegung“ Druck auf SPD und Grüne auszuüben, damit sie sich wieder einer stärker keynesianisch geprägten Politik zuwenden. In beiden Fällen fehlen die Voraussetzungen, wiederholte Appelle wie die von Katja Kipping nagen an der Glaubwürdigkeit der LINKEN. Bei alldem bleibt, dass DIE LINKE nach wie vor für viele der erste Adressat bei einer breiteren politischen Radikalisierung nach links wäre.
10.2.2019
Angela, Christiaan, Manuel
Dieser Text soll auf der nächsten Bundeskonferenz der ISO in die Diskussion zur politischen Lage eingehen.