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DIE LINKE

Zur Debatte in der isl

Von Michael Prütz und Winfried Wolf | 17.12.2005

Die Vereinigung zu einer neuen linken Partei als große Chance – und große Gefahr

von Michael Prütz und Winfried Wolf

Die Thesen "Zeit für Alternativen”, beschlossen auf einer isl-Mitgliederversammlung am 4. Dezember 2005, irritieren wegen zweier formaler Dinge: Erstens wegen der Einstimmigkeit, mit der diese Thesen verabschiedet wurden, und zweitens wegen des Titels.
Die Einstimmigkeit ist insofern verblüffend, weil der Text in den entscheidenden Passagen das Thema WASG-Linkspartei.PDS in Berlin aufgreift und hier führende isl-Leute aus unserer Sicht auf entgegengesetzten Positionen stehen. Offensichtlich schafft es der Text, diese realen Differenzen zu umgehen – manche mögen das als galant, andere als schlingernd empfinden.
Der Titel der Thesen “Zeit für Alternativen – zur politischen Situation und den Aufgaben einer sozialistischen Linken” erscheint elegisch und der Situation nicht angemessen. Unseres Erachtens gibt es konkrete Alternativen und wäre es an der Zeit, klar Position zu beziehen. Doch das wird eben in den Thesen vermieden, weswegen Titel und die “schlingernde Grundtendenz” tatsächlich eine Einheit bilden.

1. Chance mit neuer Partei

Die Thesen betonen in Hinblick auf die Fusion Linkspartei.PDS und WASG eine “Chance, zum ersten Mal in der BRD wieder links von der SPD eine starke gesamtdeutsche Partei aufzubauen, die im Parlament präsent ist.” (These 7) Nun fehlt jedes politische Adjektiv bei der Nennung dieser “Partei”; dass sie “gesamtdeutsch” sein würde und “links der SPD” steht, kann kaum alles sein.
Das mag man als Versehen bezeichnen; es drückt aber mehr aus. Insgesamt wird die Bildung einer solchen “gesamtdeutschen Partei links der SPD” überhöht und es werden gleichzeitig die Schwächen der beiden Teile, die die neue Partei bilden sollen, und die Schwächen des konkreten Parteibildungsprozesses zu wenig herausgearbeitet.
Da heißt es in der These 7: “Würde die Vereinigung gelingen, wäre ein bedeutender Schritt für die Aufhebung der Ost-West-Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung getan. Diese Spaltung hat sie über weite Strecken des 20. Jahrhunderts gelähmt und verhindert, dass Alternativen zum Kapitalismus in Angriff genommen werden konnten, die die bürokratisch-stalinistische Sackgasse überwinden.”
Erstens wirkte sich die deutsche Spaltung zwar auch, aber nicht nur in dieser – negativen – Form auf die Arbeiterbewegung aus. Es war natürlich bis 1989 auch von Vorteil, dass der deutsche Imperialismus geschwächt war und dass es eine gewisse soziale Rücksichtnahme wegen der Existenz der DDR gab. Sodann ist die “Vereinigung” an sich keinerlei Garantie, dass dieser “bedeutende Schritt” getan sein würde. Es kommt darauf an, welche Art neue Partei hier entsteht und welche Funktion diese für die radikale, sozialistische Linke hat.

Eine wirklich offene Chance der in den Thesen beschriebenen Art gab es in den Monaten Juni und Juli 2005. Doch diese Chance wurde damals bereits erheblich reduziert. Es kam nicht zur Bildung einer gemeinsamen Wahlpartei. Die in Linkspartei umbenannte PDS konnte ihren Stimmenanteil von 4,1 % im Jahr 2002 auf 8,7% am 18.9.2005 mehr als verdoppeln. Die 12 MdBs, die formell WASG-Mitglieder (und oft bereits auch Linkspartei-Mitglieder) sind, kamen Huckepack über die offenen Listen in den Bundestag. Das gesamte Kräfteverhältnis hat sich im Zeitraum Juni bis Dezember 2005 zugunsten der Linkspartei.PDS verschoben. Dabei verfügt die Linkspartei über einen eingespielten Apparat. Sie ist insgesamt auf Regierungsbeteiligungen und Verwaltung der sozialen Misere ausgerichtet. Und sie hat sich in den letzten zwei Jahren weitgehend dessen entledigt, was man als eine organisierende oder wenigstens koordinierende Partei-Linke bezeichnen könnte.
Gleichzeitig entwickelte sich die Führung der WASG in wenigen Wochen deutlich nach rechts. Dies letztere wurde in erheblichem Maß vermittelt über diesen spezifischen Prozess der scheinbaren Vereinigung im Vorfeld der Bundestagswahl und mit der Bildung der Fraktion Die Linke im Parlament.

Die isl-Thesen klammern diese Prozesse im genannten Zeitraum fast komplett aus. Und während sie weitgehend zutreffende Beschreibungen für die politischen Positionen der Linkspartei.PDS und deren Führung enthalten, zeichnen sie ein zu optimistisches Bild von der WASG – vor allem, indem sie die Rolle der WASG-Führung weitgehend ausblenden.
In These 7c heißt es: “Es scheint (in der WASG) eine starke Tendenz zu geben, eine Regierungsbeteiligung unter den gegenwärtigen und in absehbarer Zukunft gegebenen Bedingungen abzulehnen und eine Partei zu bilden, die pluralistisch ist, demokratisch verfasst, den Mitgliedern gehört und die im Dienst der sozialen Bewegungen steht. Dieses Erbe … gilt es zu bewahren und einzubringen.”

Das mag für größere Teile der WASG-Basis zutreffen. Allerdings wird diese Meinung an der Basis bisher kaum organisiert zum Ausdruck gebracht. Vor allem trifft sie auf eine WASG-Führung, die in ihrer großen Mehrheit bei all diesen angesprochenen Aspekten eine entgegengesetzte Position einnimmt, nicht zu. Diese Führung ist – mehrheitlich – gegen eine “pluralistische” Partei (siehe die seit längerer Zeit betriebenen Ausschlusstendenzen gegenüber der SAV, so bereits 2004/2005 in Rostock), sie ist mitnichten demokratisch verfasst und regiert in erheblichem Maß zentralistisch und hierarchisch (wobei sie auch Urabstimmungen instrumentell auszunutzen versucht). Sie steht nur beschränkt “im Dienste der sozialen Bewegungen”: Der Antrag der Linken im Bundestag, von der WASG ohne Kritik mitgetragen, Hartz IV nicht strikt abzulehnen, sondern eine Erhöhung auf 420 Euro monatlich zu fordern, steht in krassem Gegensatz zu den Forderungen der “sozialen Bewegung”.
Vor allem steht die WASG-Führung nur bedingt “im Dienste der sozialen Bewegungen”, weil sie “Regierungsbeteiligungen” nicht ablehnt, sondern solche dort, wo sie konkret zur Debatte stehen, nur halbherzig kritisiert und in Berlin zumindest teilweise (Lafontaine) faktisch unterstützt.

2. Situation und Wahlen in Berlin als Knackpunkt

Dem isl-Text gelingt es, sich mit den Thesen 1-7 noch relativ lässig bis Berlin vorwärts zu hangeln. Doch genau in dieser entscheidenden Frage wird das ganze zur Hängepartei, wird versucht, es allen recht zu machen und eine klare Position zu vermeiden, weswegen man ja offensichtlich auch die Thesen “7a”, “7b” und “7c” benötigte bzw. dazwischen schob.

Die Lage in Berlin ist eindeutig: Die PDS stellt im Senat seit 2002 den Juniorpartner und regiert gemeinsam mit der SPD. Die Politik des “rot-roten” Senat ist unzweideutig neoliberal (Privatisierungen, Abbau von Daseinsvorsorge, 1-Euro-Jobs). Sie spielt sogar in negativer Hinsicht “Avantgarde” und nutzt gezielt die Einbindung der PDS bzw. Linkspartei in die Regierung dazu aus, Schweinereien mit bundesweiter Ausstrahlung zu begehen, die ein Senat ohne PDS/Linkspartei nicht hätte begehen können oder nur gegen breite soziale Bewegungen hätte durchsetzen können. Das gilt für die drei Bereiche Bankenskandal, Abschaffung der Lernmittelfreiheit und Tarifflucht im öffentlichen Dienst.
Die Linkspartei.PDS im Land Berlin und die Parteiführung der Linkspartei bilanzieren die Koalition in Berlin ausdrücklich positiv. Man lässt keinen Zweifel daran, da
ss sie, wenn das Wahlergebnis “stimmt”, fortgesetzt werden soll.

Die isl-Thesen verlieren zur Politik des SPD-PDS-Senats in Berlin kaum ein Wort. Teilweise mag man noch unterstellen, dass das alles bekannt sei. Doch viele Aussagen der Thesen und die Schlußfolgerungen sind so abgefasst, als würde es diese politische Realität in Berlin nicht geben, als gebe es irgendwie “Zeit für Alternativen”, als lägen die Alternativen nicht konkret – hier und heute – vor.

Die Thesen formulieren (in “7c”):
“Die Mehrheit der WASG Berlin hat auf ihrem Landesparteitag im November 2005 die Urabstimmung über eine eigene Kandidatur beschlossen.”
Richtig ist: Die WASG beschloss bereits im Sommer 2005, eigenständig an den Wahlen in Berlin im Oktober 2006 teilzunehmen. Trotz des massiven Drucks, den der Vereinigungsprozess ausübt, und trotz des noch stärkeren Drucks, den der WASG-Bundesvorstand und die Linkspartei.PDS auf die Berliner WASG ausüben, gab es in den Monaten Oktober und November neue Delegiertenwahlen in der Berliner WASG, die eine weitere deutliche Linksentwicklung – und einen entsprechend neu zusammengesetzten Landesvorstand – mit sich brachten. Auf dem genannten Landesparteitag im November entschieden sich rund zwei Drittel (!) der Delegierten für einen Kurs (u.a. Urabstimmung), den alle Beobachter als einen Kurs auf eine eigenständige Kandidatur interpretieren.

In den Thesen heißt es (weiter in “7c”): 
“Die Frage der Regierungsbeteiligung ist die Gretchenfrage – in Berlin wird sich entscheiden, wie die WASG sie angehen will. … In der WASG gibt es eine Tendenz, diesen Konflikt möglichst niedrig zu hängen, sprich: die Frage der Regierungsbeteiligung nicht besonders zu thematisieren, um den Vereinigungsprozess nicht zu gefährden.”

Tatsächlich hat die WASG-Führung bereits vor dem 4. Dezember (an dem die isl-Thesen verfasst wurden), deutlich gemacht, dass sie die Linkspartei-Regierungsbeteiligung in Berlin nicht prinzipiell kritisiert. Am 3.12. wurde das dann unübersehbar. Oskar Lafontaine trat auf dem Linkspartei-Landesparteitag auf und “verteidigte das rot-rote Bündnis in Berlin, das angesichts knapper Kassen einige soziale Errungenschaften verteidigt und erstritten habe. Er lobte ausdrücklich Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner von der Linkspartei/PDS, die die Hartz-Gesetze, auch was das Bleiberecht in Wohnungen betrifft, sozialverträglich umsetzen würde.” (Berliner “Tagesspiegel” vom 4.12.2005).
Da es aus dem WASG-Bundesvorstand hörbar dazu keinen Widerspruch gab, muss diese Position seither als diejenige der WASG-Führung gelten.

In der These 7c heißt es:
“Die WASG kann ihre Eigenkandidatur zugunsten einer gemeinsamen Kandidatur zurückziehen, wenn die Linkspartei.PDS dafür die Mindestvoraussetzungen schafft. Mitverantwortung für neoliberale Politik als Juniorpartner der SPD ist damit sicherlich nicht vereinbar.”

Tatsächlich hat sich die Linkspartei.PDS auf eben eine solche Mitverantwortung für neoliberale Politik festgelegt. Dieselben Thesen sind diesbezüglich eine halbe Seite weiter oben noch entsprechend hellsichtig, wo es heißt: “Für die PDS hängen viele Karrieren davon ab, dass die Partei an der Regierung bleibt. Auf ihrer Seite ist deshalb die Entscheidung dafür oder dagegen nicht offen.” Also: Da sich die Linkspartei aufs weitere Mitregieren festgelegt hat, wie soll da die WASG “ihre Eigenkandidatur zugunsten einer gemeinsamen Kandidatur” zurückziehen” können, wie soll es hier zur Erfüllung von “Mindestvoraussetzungen” kommen?

Im übrigen sei angemerkt: Wir glauben, dass das Thema “Karrieren”, die an dem Mitregieren hängen, nur ein Aspekt sind. Das Mitregieren resultiert auch aus dem ureigenen Selbstverständnis des “Ankommens”, des Bestrebens, wieder Teil der Macht sein zu wollen.

Schließlich heißt es in der selben These 7c:
“Angesichts der – auch von den Medien – der WASG zugewiesenen Rolle des Sündenbocks ist es erforderlich, dass die WASG ihrerseits öffentlich klarstellt, dass sie offensiv für das Vorantreiben des Vereinigungsprozesses eintritt.”

Die WASG Berlin tritt dafür ein, dass der Vereinigungsprozess fortgesetzt wird. Inwieweit sie das ausreichend “offensiv” tut, sei dahingestellt. In der konkreten Situation halten wir das auch für ein seltsames Ansinnen: Von vornherein hat die PDS im Land die WASG als “Gurkentruppe” bezeichnet. Sie hat ihr bei der Bundestagswahl jegliche Repräsentanz auf der Landesliste verweigert und gewissermaßen “stattdessen” eine latent nationalistischen unabhängigen türkischen Kandidaten in den Bundestag gehievt. Die Linkspartei.PDS im Land tritt gegenüber der WASG Berlin weiterhin erpresserisch auf – u.a. mit der Mitteilung, man werde die WASG mit einer Eintrittswelle von PDS-Leuten fluten und so für “passende” Mehrheiten sorgen.
Die Forderung, nun solle doch die WASG mal “öffentlich klarstellen, dass sie offensiv für das Vorantreiben des Vereinigungsprozesses eintritt”, ist politisch nicht nachvollziehbar und stellt die Verhältnisse auf den Kopf.

3. Zurück zur “großen Chance” – oder großen Gefahr

Wie geschrieben: Die isl-Thesen überhöhen die “große Chance” für die BRD-Linke. Indem sie dies tun und gleichzeitig die realen politischen Gefahren für die radikale, sozialistische Linke klein schreiben, übersehen sie, dass es auch eine große Gefahr bei diesem gesamten Prozess gibt.
In den isl-Thesen heißt es – wieder in These 7c und hier fast als eine Art Nebensatz: “Niemand wird ernsthaft dafür plädieren, das Bemühen um eine Vereinigung auf Eis zu legen, weil die PDS an der Regierungsbeteiligung festhält.”

Wirklich? Wo es doch nur ein paar Absätze weiter oben heißt: “Die Frage der Regierungsbeteiligung ist die Gretchenfrage”. Macht eine Vereinigung tatsächlich aus sozialistischer Sicht Sinn, wenn es durchgeht, dass die PDS bzw. die Linkspartei nach vierjähriger neoliberaler Politik – nein, nicht in Sangershausen oder Hoyerswerda, sondern in der größten Stadt des Landes, in der Hauptstadt – beschließt, diese Politik fortzusetzen und dabei noch einen linken WASG-Landesverband erpresst und politisch platt macht? 
Dann wäre der Sündenfall Teilhabe an der neoliberalen Politik gleichzeitig das Erbgut der neuen vereinigten Partei.

Und dann würde sich die Vereinigung PDS-WASG als etwas ganz anderes präsentieren. Anstelle einer Chance für die Linke ergibt sich dann eine große Gefahr: Die neue Parteibildung dient dann wieder einmal dazu, ein paar tausend linke Aktive politisch-persönlich zu entsorgen und in Defätismus und Privatisierung zu treiben und ein paar Hunderttausende Wählerinnen und Wähler, die ein Zeichen gegen neoliberale Politik setzen wollten, ein weiteres Mal zu enttäuschen und in die “Parteienverdrossenheit” und nach rechts zu treiben.

In diesem Sinn agiert Lothar Bisky, der alte und neue Chef der Linkspartei. Am 9. Dezember sagte er in der “Leipziger Volkszeitung”: Eine “Regierungsbeteiligung im Bund kann blitzschnell auf die Partei zukommen”. Er gehe von einer baldigen Fusion Linkspartei-WASG aus und rechne “beim Zusammenschluss mit Austritten aus beiden Parteien und befürworte einen solchen Schlussstrich”. Es gebe in der WASG “eine Kleingruppe, die ist weniger an sachlich politischen Fragen interessiert, sondern an der Pflege eines gewissen Krawall
o-Stils.” Diese könnte in die “neue Partei nicht mitgenommen” werden. Und: “Wir wollen ganz bewusst bei uns nicht alle Linken haben.”

Die isl-Thesen nehmen zu all dem nicht oder nicht konkret Stellung. Die Aufgaben, die in der letzten These (8) formuliert werden, enthalten kein Wort mehr zu Berlin. Tatsächlich wären klare Aussagen erforderlich zu den folgenden Aspekten:

– Unterstützt die isl das Recht der WASG Berlin, eigenständig über die Frage eines Antritts bei den Wahlen in Berlin zu entscheiden?
– Respektiert die isl die bestehenden zwei Drittel-Mehrheiten in diesem WASG-Landesverband?
– Unterstützt die isl den Berliner WASG-Landesverband, wenn er, angesichts des Beharrens der Linkspartei in Berlin auf einer “positiven Bilanz des rot-roten Senats” und der “Option für eine Fortsetzung der Koalition mit der SPD”, eigenständig zur Wahl mit einem linken, fortschrittlichen Programm antritt?
– Ist die isl bereit, bundesweit ihre Kräfte in der WASG einzusetzen, um linke Positionen in der WASG (beispielsweise in Berlin und in Bremen) zu verteidigen und auszubauen?

Berlin und Wilhelmshorst, 17. Dezember 2005
Michael Prütz / Winfried Wolf

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