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Wie steht es um die NPA?

Von Rafael Alcaraz-Mor | 01.10.2011

In Frankreich gab es im letzten Jahr eine bedeutsame Niederlage in der sozialen Auseinandersetzung. Im nächsten Frühjahr sind Präsidentschaftswahlen. Wie ergeht es vor diesem Hintergrund der 2009 gegründeten Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA)?

In Frankreich gab es im letzten Jahr eine bedeutsame Niederlage in der sozialen Auseinandersetzung. Im nächsten Frühjahr sind Präsidentschaftswahlen. Wie ergeht es vor diesem Hintergrund der 2009 gegründeten Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA)?

In Frankreich, wie im übrigen Europa, sollen nach dem Willen des Kapitals die Arbeiter_innen die Krise bezahlen. Ausdruck davon ist z. B. die Anhebung des Mindestalters für die Rente von 60 auf 62 Jahre und für den Bezug der ungeminderten Rente von 65 auf 67 Jahre sowie die Anhebung der Beitragsdauer von 40 auf 42 Jahre. Diese Angriffe haben im letzten Herbst eine eindrucksvolle Bewegung hervorgerufen. Sie wurde noch vor der Sommerpause vorbereitet und war für die Zeit nach Ferienende angesetzt. Die Mobilisierung dehnte sich sehr rasch aus und an vier Tagen im September und Oktober demonstrierten drei Millionen Menschen. Trotz dieser Demonstrationen, den größten seit 15 Jahren, hatte die Bewegung nicht die Kraft, die Regierung Sarkozy zum Rückzug zu zwingen. Dies war auch der eigenen Schwäche geschuldet: Die Gewerkschaftseinheit wurde zum Preis einer Verwässerung der Forderungen erkauft, so dass den beiden Mehrheitsgewerkschaften CGT und CFDT der Spielraum für ihre Mitverwaltung des Sys­tems erhalten blieb. Ihre Manövriermöglichkeiten blieben auch deswegen so groß, weil es der Bewegung nicht gelang, sich eigene Instrumente der Selbstorganisation zu schaffen.

Dagegen versuchten die radikalsten politischen und gewerkschaftlichen Aktivist_innen gewerkschafts- und betriebsübergreifende Vollversammlungen zu organisieren. Diese kamen aber nur in wenigen Städten zustande, im wesentlichen dort, wo unsre Genoss_innen in den Mehrheitsgewerkschaften und aufgrund ihrer Rolle in den Einheitsinitiativen in der Lage waren, das Vertrauen der am stärksten mobilisierten Arbeiter_innen zu gewinnen. Dies war z. B. in der Normandie in Le Havre der Fall [vgl. dazu Avanti Nr. 182, Dezember 2010]. Damit stand – trotz des großen Anteils der Streikenden und trotz des unbefristeten Streiks einiger Sektoren – für die Gewerkschaftsführungen der Generalstreik nicht auf der Tagesordnung. Sie konnten es sich erlauben, zu Aktionstagen aufzurufen, die zeitlich immer weiter entfernt waren, bis sich die Bewegung erschöpfte. Die am stärksten mobilisierten Sektoren haben dann einen Ersatz für den Generalstreik gesucht: Die Blockade der Raffinerien, gestützt auf die Radikalität der Chemiegewerkschaften, stellte die Speerspitze dar. Die Benzinverknappung war zum Barometer der Mobilisierung geworden. Aber die Regierung, die schon seit vier Jahren in der Offensive war und durch die Krise in Bedrängnis geraten war, machte keine Zugeständnisse. Sie brachte ihre Gesetz ohne nennenswerte Zeitverzögerung durch. Ihre Entschlossenheit entsprach der Gewaltbereitschaft der CRS [Bereitschaftspolizei], die die Demonstrierenden um so leichter aus den Raffinerien entfernen konnte, als die Führer der großen Gewerkschaftsverbände es ablehnten, sich den Besetzer­Innen anzuschließen oder dazu aufzurufen. Das einzige, was die Bewegung für sich verbuchen konnte, war…eine Kabinettsumbildung. Nach drei Monaten hartem Kampf ist das sehr mager.
Vom Kongress zur nationalen Konferenz
Ihren ersten Kongress musste die NPA dann unter dem Eindruck der schmerzlichen Niederlage des Kampfes gegen die Rentenreform angehen. Trotz ihrer richtigen Losungen – scharfe Kritik der Regierung und für das Kippen der Reform mittels eines Generalstreiks – und obwohl sie, zumindest an der Basis, zu den wichtigsten Organisator­Innen des Kampfes gehörte, wurde unser Einsatz nicht belohnt. Trotz eines Appells an die Aktivist­Innen der Bewegung ging unsre Organisation nicht gestärkt daraus hervor. Ebenso bitter und bedeutsam: Die extreme Rechte ist wieder gestärkt. Die Tochter des alten Führer Le Pen könnte bei den kommenden Präsidentschaftswahlen, wie schon ihr Vater 2002, in die Stichwahl gelangen, dieses Mal mit einem geschickteren sozialen Image, womit sie punktet.

Unsre junge Partei wurde durch diese unerwartete Situation stark auf die Probe gestellt und war auf dem Kongress wie gelähmt. Drei etwa gleich starke Tendenzen traten an. Für die eine (T 3) war die Partei zu verschlossen und zu dogmatisch, für die anderen (T 2) war sie zu elektoralistisch und zu opportunistisch. Die größte Minderheit, die auch den größten Teil der Leitung beim Gründungsprozess stellte (T 1), verteidigte die eingeschlagene Orientierung und versuchte, die objektiven Hindernisse besser in Rechnung zu stellen: Wenn der Spielraum für eine neue antikapitalistische Partei sich mit dem Auftauchen einer authentisch reformistischen Partei eingeengt hat (nämlich der Linkspartei von Mélenchon, dem französischen Oskar Lafontaine), wenn die Welle von Kämpfen gegen die Entlassungen und dann gegen die Rentenreform zu keinem Erfolg führten, so bleibt dennoch die Feststellung, die zur Bildung der NPA führte, aktuell: ein neuer Zyklus von Kämpfen, eine neue Generation von Aktivist­Innen und die Notwendigkeit eines politischen Instruments, das für die Kontinuität der Kämpfe steht.

Symptomatisch für das mangelnde Vertrauen: Die Frage „Religion, Feminismus und die Trennung von Kirche und Staat“ bekam ein großes Gewicht. Dieses Thema hatte schon die LCR gespalten und beschäftigte nun die NPA: Auf der souveränen Vollversammlung eines Departements war eine Kopftuch tragende Genossin als Kandidatin für die Regionalwahlen 2010 aufgestellt worden (insgesamt hatte die Organisation mehr als 2000 Kandidat­Innen aufgestellt), was zu starken Reaktionen in den Medien, zu Stimmenverlusten und zu Austritten geführt hatte. Auf dem Kongress sollte also die Frage entschieden werden (auch wenn es anders formuliert war): Konnte eine Frau ein Kopftuch tragen, wenn sie die Partei, speziell bei Wahlen, repräsentierte, und auf welcher Ebene sollte das entschieden werden? Diese Differenz geht durch alle drei Tendenzen hindurch. Auch hier war es nicht möglich, zu einer Entscheidung zu kommen, und die Diskussion musste auf eine nächste nationale Konferenz verschoben werden, woraus sich neue Frustrationen und neue Parteiaustritte aus beiden „Lagern“ ergaben. Auch zu den Präsidentschaftswahlen konnte nichts entschieden werden. Diese Frage war in den jeweiligen Orientierungstexten enthalten, von denen keiner angenommen wurde. Alle diese Entscheidungen wurden also auf eine nationale Konferenz verschoben, was das Unverständnis der Mitglieder nur noch erhöhte.

Glücklicherweise wurde zeitgleich zu unsrem Kongress Ben Ali gestürzt. Die Unterstützung der „arabischen Revolutionen“ war einer der wenigen Momente gemeinsamer Begeisterung. Es gelang uns auch, mehrheitlich ein Notprogramm, „Unsere Antworten auf die Krise“, zu verabschieden, in dem wir u. a. die Notwendigkeit der Schuldenstreichung darlegen, oder etwa unsere Orientierung auf den Kampf für höhere Löhne, gegen prekäre Beschäftigung, für demokratische Forderungen, für eine &o
uml;kologische Wirtschaft und für den Bruch mit dem Kapitalismus. Diese Bilanz ist aber zu mager, um die Krise der Partei zu überwinden, die sich nicht zuletzt in einem deutlichen Mitgliederverlust ausdrückt.  Beim Gründungskongress 2009 hatten sich etwas mehr als 9000 Menschen entschlossen, sich am Aufbau der neuen Partei zu beteiligen, zwei Jahre später ist die Zahl derjenigen, die tatsächlich mehr oder weniger regelmäßig an den Versammlungen teilnehmen, Beitrag bezahlen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten gewisse Aufgaben übernehmen, auf 4 500 gesunken.
Präsidentschaftskampagne mit Philippe Poutou
Zu Beginn der nationalen Konferenz im Juni zur Frage der Präsidentschaftskandidatur ging es der Partei noch schlechter. Kurz vorher, als sie bei den Meinungsumfragen zwischen 5 – 11 Prozent lag, kündig­te unser Sprecher Olivier Besancenot an, dass er nicht der ewige Kandidat sein wollte und dass mit der Personalisierung gebrochen werden müsse. Der Verlust unsres „Jokers“ hatte ein Auseinanderbrechen der Leitung zur Folge, die die NPA bis dahin geführt hatte. Ein Teil derselben denkt, dass sich die Voraussetzungen so geändert haben, dass wir keinen Radikalisierungspol mehr bilden können. Ohne Illusionen zu haben, aber aus Angst, sektiererisch zu erscheinen, schlagen diese Genoss­Innen vor, die Diskussionen mit den Kräften links der PS fortzuführen, um zu sehen, ob eine gemeinsame Kandidatur möglich ist, wo aber die PC (Kommunistische Partei) zur gleichen Zeit schon beschlossen hat, Mélenchon, Vorsitzender der viel kleineren Linkspartei (PG), als Präsidentschaftskandidaten zu unterstützen. Im Kielwasser befindet sich bereits der größte Teil der sehr kleinen Formationen wie die FASE (die ehemaligen Bové-Komitees ) oder die Mehrheit der Alternativen.

Wenn eine Frage der Wahltaktik soviel Einfluss auf eine Partei hat, die die „Gesellschaft revolutionieren“ will, so hängt dies damit zusammen, dass seit der gewaltsamen Machtübernahme von De Gaulle im Jahr 1958 die Verfassung dem Präsidenten sehr weitreichende Vollmachten gibt. Dies gibt es in anderen europäischen Ländern nicht: Alle fünf Jahre lähmt der Wahlkampf das gesellschaftliche Leben praktisch während eines ganzen Jahres, er polarisiert und personalisiert die Debatten. Eine Partei, die an diesem Wahlkampf nicht teilnimmt, ist praktisch vom politischen Leben ausgeschlossen. Umgekehrt haben die gelungenen Kampagnen von Olivier Besancenot zu einem großen Teil dazu beigetragen, überhaupt das Projekt der NPA zu starten.

Die Debatte auf der nationalen Konferenz drehte sich also um die Einheit, um die Achsen der Wahlkampagne und um das Profil des oder der Kandidaten/Kandidatin. Der Bruch innerhalb der alten Mehrheit hat die Kräfteverhältnisse neu bestimmt, so dass jetzt nur noch zwei Strömungen exis­tieren. Die auf diese Weise entstandene starke Minderheit hat beschlossen, sich anlässlich einer nationalen Versammlung Anfang November öffentlich als Einheitsströmung zu konstituieren. Die Mehrheit der Konferenz beschloss, gegenüber der Linksfront (PC, PG usw.) die Eigenständigkeit zu betonen und unsre eigene Kampagne voranzubringen, um damit die Zeit nach der Wahl vorzubereiten, und zwar um ein antikapitalistisches Programm herum.

Philippe Poutou, 44-jähriger Mechaniker bei Ford in Bordeaux, ist unser Kandidat. Er ist Gewerkschaftsaktivist und hat in den letzten vier Jahren eine Mobilisierung vorangetrieben, der es gerade gelungen ist, 1000 Arbeitsplätze zu verteidigen. Wie Olivier Besancenot muss er morgens früh zur Arbeit aufstehen und hat als Lebensunterhalt nur seinen Lohn. Er wird der erster erwerbstätige Arbeiter sein, der als Kandidat antritt, der einzige Arbeiter in diesem Wahlkampf und einer der wenigen Kandidat_innen, die überhaupt noch arbeiten.

Aber wir müssen noch ein bedeutsames Hindernis überwinden: Um überhaupt antreten zu können, müssen die Kandidaten 500 Stützunterschriften von Bürgermeistern sammeln. Seit Ende der Sommerpause sind wir jetzt im ganzen Land unterwegs, um demokratisch gesinnte Bürgermeis­ter kleiner Gemeinden zu treffen und zu versuchen, diese Stützunterschriften zu bekommen. 2002 und 2007 haben wir das gerade so geschafft. Die Herausforderung ist jetzt, ohne Olivier, sehr groß, denn die Partei ist immer noch in der Krise und präsentiert einen Kandidaten, der außerhalb seiner Region unbekannt ist und mit den Debatten in den Medien wenig vertraut ist. Bei dieser Kampagne geht es für uns darum, dass wir es schaffen uns nach außen zu wenden, um die internen Krämpfe zu überwinden. Wir wollen es schaffen, eine Phase des Aufbaus einzuleiten, in einer Situation, die große Umbrüche erleben wird, ganz gleich ob die Rechte oder die Linke bei den Wahlen im April 2012 gewinnen wird.

Rafael ist Mitglied des Nationale Sekretariats der Jugendlichen in der NPA.
Übersetzung D. Berger

1     Der Bauernführer und Globalisierungskritiker Bové war 2007 als Präsidentschaftskandidat angetreten. Anm. d. Red.

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