TEILEN
Innenpolitik

Wer übernimmt?

Von Philipp Xanthos | 01.11.2008

In Zeiten der akuten Finanz- und drohenden Wirtschaftskrise kann keine Partei „Regierungsverantwortung“ wollen. Im Kapitalismus lässt sich die kränkelnde Profitrate nur sanieren durch Krieg, Geschenke an die Reichen und Enteignung der Bevölkerung mit der Tendenz zur absoluten Verarmung. Dazu sind zwar im Prinzip alle bürgerlichen Parteien bereit. Doch wäre es für den Klassenfrieden nicht besser, den ruhmlosen Job andere erledigen zu lassen?

In Zeiten der akuten Finanz- und drohenden Wirtschaftskrise kann keine Partei „Regierungsverantwortung“ wollen. Im Kapitalismus lässt sich die kränkelnde Profitrate nur sanieren durch Krieg, Geschenke an die Reichen und Enteignung der Bevölkerung mit der Tendenz zur absoluten Verarmung. Dazu sind zwar im Prinzip alle bürgerlichen Parteien bereit. Doch wäre es für den Klassenfrieden nicht besser, den ruhmlosen Job andere erledigen zu lassen?

Zum Glück für das Kapital gibt es die LINKE; und wo immer ein Posten oder Pöstchen sich anbietet, werden ihre VertreterInnen gierig zugreifen. Und auch, wo nicht, ist der Platz für Politik-BeraterInnen anscheinend immer frei. So fordert zum Beispiel das „radikale“ Aushängeschild Sarah Wagenknecht in der jungen Welt u.a. ein Konjunkturprogramm, „um die Krise rasch zu überwinden und künftigen Finanzkrisen vorzubeugen“ – mit diesem verstaubten Fundstück aus der keynesianischen Mottenkiste steht sie am linken Rand und gleichzeitig ziemlich in der Mitte der LINKEN. Auf der anderen Seite sprach sich der Berliner Linkspartei-Finanzsenator Wolf öffentlich für das Milliardengeschenk der Regierung an das Kapital aus. Folgerichtig gab es bei der Abstimmung im Bundesrat am 17. Oktober keine Gegenstimme, obwohl die LINKE die Zustimmung Berlins zu dem Gesetz hätte in Frage stellen können. Die medienwirksame Ablehnung im Bundestag zuvor war rein formal; der LINKEN fehlte lediglich das linke Zierrat, mit der sie ihre eigene Politik gewöhnlich schmückt.
Hessen
In Hessen wurden die Mitglieder der LINKEN aufgerufen, über die Wahl von Ypsilanti durch die LINKE abzustimmen, noch bevor überhaupt der rot-grüne Koalitionsvertrag ausgearbeitet ist. So wird ein bürokratischer Winkelzug als demokratische Maßnahme verkauft. Die „Linken“ in der LINKEN haben sich längst für eine „Duldung“ oder „Tolerierung“ einer Regierung dieser Parteien ausgesprochen, sodass es von dieser Flanke keine Gefahr für die ParteistrategInnen des Apparats gibt. Folgende gravierende Fehleinschätzungen spielen hierbei vor allem eine Rolle:

  • •    die überzogene Hoffnung, die „rot-grüne“ Regierung –  ohne Protest auf der Straße und im Betrieb – nach „links“ drücken zu können.
  • •    das Vertrauen auf die Haltbarkeit der eigenen Selbstauflagen, wie die Verweigerung der Zustimmung zu neoliberalen Haushalten. Was, wenn Ypsilanti ihren Haushaltsplan an die Vertrauensfrage knüpft? Sie kann es sich schon aus Prestigegründen nicht leisten, als „erpressbar“ zu gelten.
  • •    die Einflussmöglichkeiten des bürgerlichen Parlaments (hier eines Landesparlaments!) auf die Gestaltung der Politik im Spätkapitalismus werden viel zu hoch bewertet. Die realen Machtzentren bilden vor allem Aufsichtsräte, Armee, Banken, Behörden, Medien, …
  • •    eine völlige Ausblendung der kommenden Rezession und des damit verbundenen absoluten Drucks auf die Lage der gesamten ArbeiterInnenklasse.
  • •    der wunschinduzierte Glaube, man könnte ohne Gesichtsverlust jemals aus der Sache wieder herauskommen.Mitverwaltung statt Veränderung

Die „Tolerierung“ in Wiesbaden ist als ein weiterer Schritt auf dem Weg zur „Regierungsverantwortung“ geplant. Das Ziel der LINKEN ist einzig die Teilhabe an der Verwaltung des Systems.  Doch ist eine echte antikapitalistische Regierungstätigkeit überhaupt möglich? Würde es je eine linke oder anti-„neoliberale“ oder gar sozialistische Mehrheitsregierung im Bundestag geben, würde sich sofort und als Erstes die Frage stellen, ob der tägliche Schuldendienst an die KapitalistInnen weiter geleistet werden soll. Eine Regierung, die das nicht täte, würde vom Kapital unmittelbar dem Staatsbankrott preisgegeben werden. „Sanfte“ Druckmittel auf eine linke Regierung wären Massenentlassungen, Investitionssperre, Teuerung, Medienhetze, Befehlsverweigerung. Das alles gilt für gute Geschäftszeiten, doch wie unendlich klein wird der Spielraum erst in der Krise? Nur durch eine ungemein kraftvolle außerparlamentarische Bewegung im Rücken könnte sich eine solche Regierung länger als 14 Tage halten. Doch diese Bewegung bräuchte keine bürgerliche Regierung mehr für ihre Interessen, sondern Organe der Selbstverwaltung. Noch ist die Zeit einer „rot-(grün-)roten“ Bundesregierung nicht gekommen. Erst, wenn die Überwindung der Krise aussichtslos wird und die bürgerliche Gesellschaft endgültig zu zerreißen droht, wird das Kapital Gebrauch machen von einer völlig integrierten Oppositionspartei. 1918 übernahm diese Rolle noch die SPD.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Ähnliche Artikel
Zur Startseite