TEILEN
Innenpolitik

Wenn eine Regel zum Gesetz wird!

Von Oskar Kuhn | 01.05.2007

Ende Februar konnten 100 Tage Bleiberechtregelung der Innenministerkonferenz (IMK) vom 17.11.2006 bilanziert werden. 100 Tage erneuter Enttäuschung für die meisten der 200.000 in diesem Land “geduldeten” Menschen. 69 von 20 000 bekamen bis zu diesem Zeitpunkt in ganz Niedersachsen eine Aufenthaltserlaubnis. 27 von 3 500 waren es in Bremen, 220 von 12 000 in Bayern.

Ende Februar konnten 100 Tage Bleiberechtregelung der Innenministerkonferenz (IMK) vom 17.11.2006 bilanziert werden. 100 Tage erneuter Enttäuschung für die meisten der 200.000 in diesem Land “geduldeten” Menschen. 69 von 20 000 bekamen bis zu diesem Zeitpunkt in ganz Niedersachsen eine Aufenthaltserlaubnis. 27 von 3 500 waren es in Bremen, 220 von 12 000 in Bayern.

Geduldete Migrantinnen und Migranten können eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, wenn sie mindestens acht Jahre in Deutschland leben und ihren Unterhalt selbst verdienen – bis Ende September hatten sie nach dieser Regelung Zeit zur Jobsuche. Bei Familien mit schulpflichtigen Kindern ist ein Aufenthalt von sechs Jahren Voraussetzung.
Die Hürden der Verhinderung des Bleiberechts liegen sowohl in den durch die IMK gesetzten Ausschlusskriterien, wie auch in den unbestimmten Teilen der Regelung: Viele Passagen der Regelung werden nach dem Ermessen der Ausländerbehörde ausgelegt.

Nun haben sich die Spitzen der Koalition am 13. März auf einen Gesetzesentwurf geeinigt. Im Kern bleibt es bei der Ende vergangenen Jahres von der Koalition verabredeten Regelung. Sie sieht vor, geduldeten Menschen, die seit mehr als sechs bzw. acht Jahren in Deutschland leben, einen vorläufigen Aufenthaltstitel zu gewähren. Voraussetzung ist nun, dass sie bis 2009 eine Arbeit finden. Für die Länder wurde eine Öffnungsklausel bei den Sachleistungen vereinbart!
Und die Realität
Für die unter die Bleiberechtregelung fallenden Menschen bedeutet dies in der Realität:

  1. Zum einen wurde das enge Zeitfenster für eine “erfolgreiche” Jobsuche um zwei Jahre verlängert. “Erfolgreich” wird aber für die meisten bedeuten, zwei oder drei Teilzeitjobs zu den ortsüblich nie­drigsten Lohnbedingungen zu finden und zu erlangen. Der über solche Bedingungen erlangte Lohn muss mindestens den Regelsatz für Erwachsene (Alleinstehende 345,00 €, Paare 622,00 €) und für Kinder (207,00 €) plus die Miete erbringen. Einzig Kindergeld kann beantragt werden, da es sich hier nach geltendem Recht um eine Anspruchs- und keine Sozialleistung handelt. Egal wie groß oder klein die betroffene Familie ist; ein Aufenthaltstitel unter diesen Bedingungen bedeutet Armut über prekäre Arbeitsplätze zu Dumpinglöhnen. Eine Verhandlungsposition haben die Betroffenen nicht. Friß oder stirb – das ist der reale “positive” Teil der zum Gesetz erhobenen Bleiberechtregelung. Besteht zum Zeitpunkt der erneuten Prüfung jeweils nach zwei Jahren kein Beschäftigungsverhältnis unter den genannten Konditionen ist der Titel verwirkt!
  2. Doch hat der Betroffene ein schriftliches Arbeitsplatzangebot der jeweiligen Ausländerbehörde vorgelegt, wird weiter geprüft. Gleichwohl die Koalitionspartner in Berlin den Mindestlohn entweder ablehnen oder zu unzumutbaren Konditionen anbieten – die Ausländerbehörden werden ihn hier verlangen! Hat der Betroffene mit seinem Stellenangebot nicht die “ortsübliche” Schwelle erreicht, wird die Stellenofferte einkassiert.
  3. Und selbst dies ist ein unerreichbares Niveau, wenn Geduldete seit ihrer Einreise nach Deutschland vorbestraft bzw. mit mehr als 50 Tagessätzen verurteilt worden sind. Der Geburtstag der Oma im Nachbarlandkreis, bei Rot über die Ampel, Schwarzfahren, Konflikte in der unerträglichen Situation der Sammelunterkünfte … und schon ist der Aufenthaltstitel verwirkt!
  4. Hat mensch die drei genannten Hürden bestanden, kann der Pass das nächste Problem werden. Nur mit einem gültigen Nationalpass hat eine Person Anspruch auf das Bleiberecht. Einige Ausländerbehörde verlangen, dass zunächst der Pass abgegeben wird, bevor alle anderen Kriterien der Regelung geprüft werden. Die Passbeschaffung kann einige Monate dauern. Falls die Ausländerbehörde dann allerdings nach einem der anderen Kriterien ablehnt, steht der Abschiebung nichts mehr im Wege.
  5. Für Geduldete besteht die Pflicht, an ihrer Abschiebung mitzuwirken. Haben sie diese Pflicht bisher nicht erfüllt, kann ihnen das Bleiberecht versagt werden. Wenn also nun ein Pass vorgelegt wird, wie es die Ausländerbehörde verlangt, kann dies von der Behörde als “Nichterfüllen der Mitwirkungspflicht” ausgelegt werden (weil der Pass schon früher hätte vorgelegt werden können). Diese Auslegung liegt im Ermessen der Behörden. Die Mitwirkungspflicht kann schon dann als “nicht erfüllt” angesehen werden, wenn beispielsweise gegen eine drohende Abschiebung erfolgreich Rechtsmittel eingelegt worden sind.

Verschärfter Abschiebedruck

Die hier aufgezählten Bedingungen gelten nur für eine Minderheit der “geduldeten” Menschen. Die Mehrzahl unterliegt nun einem verschärften Abschiebedruck. Hier ist nicht nur die Angst vor einer ungewissen Zukunft gemeint. Verschärfter behördlicher Druck mit kurzen – teilweise wöchentlichen – Meldeauflagen bei der Ausländerbehörde gehört zum Alltag dieser Menschen.

Die jüngere Vergangenheit hat belegt, dass Angriffe auf die Lebensbedingungen von MigrantInnen immer auch Planspiele für allgemeinere Attacken auf die Lohnabhängigen waren. Hartz IV und Rente mit 67 lassen grüßen. Deshalb ist die Unterstützung der Geduldeten in ihrem Kampf für ein auflagenfreies Bleiberecht nicht nur ein allgemeines Gebot der Solidarität sondern eine präventive Notwendigkeit gegen die eifrigen ReformerInnen der Bourgeoisie. 

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Ähnliche Artikel
Zur Startseite