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Länder

Was lange währt, wird endlich Wut

Von Thadeus Pato | 01.06.2011

Die Ereignisse der letzten Wochen in Spanien, die Massenproteste und Platzbesetzungen, waren für alle politischen Kräfte, einschließlich den Organisationen der radikalen Linken, eine Überraschung – aber eigentlich hätten sie keine sein dürfen. Die Folgen der globalen Verwertungskrise des Kapitals und ihrer Auswirkungen trafen Spanien mit ebenso ungebremster Wucht wie etwa Griechenland.

Die Ereignisse der letzten Wochen in Spanien, die Massenproteste und Platzbesetzungen, waren für alle politischen Kräfte, einschließlich den Organisationen der radikalen Linken, eine Überraschung – aber eigentlich hätten sie keine sein dürfen. Die Folgen der globalen Verwertungskrise des Kapitals und ihrer Auswirkungen trafen Spanien mit ebenso ungebremster Wucht wie etwa Griechenland.

Kein kluger Kopf und schon gar keine politische Organisation stecken hinter den größten Massenprotesten der Jugend seit mindestens einem Jahrzehnt in Spanien. Wie auch unsere Genoss­­Innen aus dem Spanischen Staat bestätigen, entwickelte sich die Bewegung, die sich „Democracia real ya (DRY)“ (wirkliche Demokratie jetzt) nennt, aus einer über das Internet lancierten Initiative für eine Demonstration und breitete sich in rasender Geschwindigkeit aus: Am 22.5. waren bereits in 60 Städten Plätze besetzt und das wegen der Kommunal- und Regionalwahlen verhängte Demonstrationsverbot am 21.5. wurde konsequent ignoriert. Für wie brisant die Herrschenden die Lage hielten, wurde deutlich, als die Regierung verlautbarte, nichts gegen die illegalen Aktionen unternehmen zu wollen – sie fürchtete, dass spätestens dann die bis dato friedlichen Proteste eskalieren könnten. Denn die Aktivist­­Innen gaben zu erkennen, dass sie nichts zu verlieren haben: Ein Renner sind gelbe T-Shirts mit dem Motto „Ohne Wohnung, ohne Arbeit, ohne Pension, ohne Angst“.

Keine politische Gruppe führt die Bewegung an, es herrscht vom Aufbau der Camps über die Lebensmittelversorgung bis zur Müllbeseitigung Selbstorganisation und jede/r ist willkommen. Den ursprünglich ca. 15 Menschen, die das Ausgangskollektiv bildeten, haben sich inzwischen über 500 politische Initiativen angeschlossen.
Die Hintergründe
Die Krise hatte in Spanien verheerende Auswirkungen: Die Arbeitslosigkeit hat insgesamt 21 % erreicht, das ist der höchste Wert seit 1997, im ersten Quartal 2011 waren 4,9 Millionen Menschen ohne Beschäftigung. Bei den unter 25-jährigen liegt der Wert laut Eurostat bei 44,6 %. Und, was noch schwerer wiegt: In 1,4 Millionen Haushalten sind alle Erwerbsfähigen ohne Job. Besserung ist nicht in Sicht. Die Wirtschaft wächst kaum und die Regierung plant im Einklang mit den EU-Vorgaben nach Steuererhöhungen weitere Grausamkeiten wie u. a. Erhöhung des Rentenalters, und „Flexibilisierung“ der Lohnverhandlungen. Sollte Spanien wegen seines Schuldenproblems EU-Hilfen benötigen, dann drohen noch einschneidendere Maßnahmen.

Angesichts dieser Lage – die genannte Arbeitslosigkeit bei der jungen Generation dauert jetzt schon mehrere Jahre an – verwundert es allenfalls, dass die Erbitterung sich erst jetzt Bahn brach.

Dass die regierenden Sozialist­Innen bei den Regional- und Kommunalwahlen dramatisch abgestraft wurden, interessiert die revoltierende Jugend übrigens nicht: Sie erwarten sich zu Recht von einem Wechsel des Personals nichts. DRY weist auf seiner Website ausdrücklich darauf hin, dass es sich nicht als politische Partei versteht und sich gegen jede entsprechende Vereinnahmung verwahrt.

Es ist unübersehbar, dass die aktuelle Revolte in Spanien zwar aus sich selbst heraus entstanden ist, aber die Ereignisse in anderen europäischen Ländern wie auch in der arabischen Welt eine Katalysatorfunktion hatten. So bezeichnen die Besetzer­­Innen in Barcelona teilweise scherzhaft „ihren“ Platz als Tahrir-Platz, in Anlehnung an den gleichnamigen in Kairo. Bei der realen Lebenssituation der „indignados“ (Entrüsteten), wie sich selbst bezeichnen, war es tatsächlich nur eine Frage der Zeit, bis sich die Wut und Perspektivlosigkeit einer ganzen neuen Generation Bahn brach – ebenso wie es in Griechenland, bei der studentischen Revolte in England, oder auch in Italien geschah.
Und die Inhalte?
Die Stärke dieser Bewegung, die immer noch anwächst, ist ihre Einheit. Und sie hat auf ihrer Website (www.democraciarealya.es) einen detaillierten Forderungskatalog veröffentlicht, der es in sich hat – hier eine Auswahl: Es geht los mit der „Beseitigung der Privilegien der politischen Klasse“, konkretisiert unter anderem in der Forderung nach dem spanischen Durchschnittsgehalt für die Abgeordneten, setzt sich fort in Forderungen die Arbeitslosigkeit betreffend, konkret u. a. Arbeitszeitverkürzung bis zur Vollbeschäftigung; es gibt die Forderung nach Recht auf Wohnung, nach guten öffentlichen Dienstleistungen einschließlich billigem Nahverkehr, nach öffentlicher Kontrolle der Banken, nach Maßnahmen gegen Spekulation einschließlich Verbot der SICAV (niedrig besteuertes Fondsmodell mit variablem Kapital), nach Vermögenssteuer. Und schließlich folgt eine Reihe von Forderungen zu den Freiheitsrechten, zu einer „partizipativen Demokratie“ und zur Kürzung des Rüstungshaushalts.

Eine neue Massenbewegung bahnt sich an. Es ist alles zu tun, um sie auszuweiten und zu popularisieren.

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