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Länder

Warum scheiterten NATO und USA in Afghanistan?

Von M. Anwar Karimi | 01.10.2011

Zwar ist in den Medien viel Gerede über die „neue“ Obama-Politik zu Afghanistan, aber die Wahrheit ist, dass sie grundsätzlich nicht anders ist als die von Präsident Bush. Nach den Worten eines Bauern aus Südafghanistan in einem Interview mit BBC: „Bush hat gerne gefangen genommen, aber Obama tötet gerne.“

Zwar ist in den Medien viel Gerede über die „neue“ Obama-Politik zu Afghanistan, aber die Wahrheit ist, dass sie grundsätzlich nicht anders ist als die von Präsident Bush. Nach den Worten eines Bauern aus Südafghanistan in einem Interview mit BBC: „Bush hat gerne gefangen genommen, aber Obama tötet gerne.“

Die starke Betonung der Obama-Regierung war und ist eine militärische Lösung und die führt zu mehr Opfern unter der Zivilbevölkerung und zur weiteren Verelendung des afghanischen Volkes. Die Kämpfe müssen sofort beendet werden, um Frieden, Stabilität und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in Afghanistan zu fördern. Die in Dezember geplante Konferenz in Bonn ist von Anfang an eine Show für die Medien, weil wichtige Akteure, nämlich die Taliban, nicht eingeladen sind.
Fehleinschätzung der Geschichte Afghanistans
Das Scheitern der US-Politik in Afghanistan ist zunächst auf die Fehleinschätzung der afghanischen Politik und Gesellschaft zurückzuführen. Geprägt war diese Politik durch einen Mangel an Informationen sowie durch Fehlinformationen, Missverständnisse und Desinteresse an afghanischer Kultur, Politik und Gesellschaft. Das Binnenland Afghanistan galt kulturell, wirtschaftlich und geopolitisch als nicht wichtig. Schlimmer noch: Die Amerikaner sahen Afghanistan als Land wilder Stämme, deren Mitglieder gesetzlose, fremdenfeindliche religiöse Fanatiker waren. Diese Haltung dauerte von den 1920er bis in die 1980er Jahre, als die USA erkannten, dass Afghanistan an die Sowjetunion verloren war.

Nach dem 11. September 2001, vor allem nach der amerikanischen Invasion Afghanistans, gab es eine allgemeine Erwartung, dass die USA die früheren Fehler nicht wiederholen würden. Jedoch, die politischen Entscheidungsträger in Washington missverstanden weiterhin Afghanistan, seine Menschen, seine Prioritäten, seine Politik. Mit der Unterzeichnung des Bonner Abkommens (Dezember 2001 unter der Schirmherrschaft von Joschka Fischer) begannen die USA und ihre NATO-Verbündeten mit der Machtübergabe an die Warlords der Nord-Allianz. Damit begann auch die ethnische Diskriminierung der Paschtunen, die Unfähigkeit Al-Qaida und Taliban von Paschtunen zu unterscheiden, sowie die wahllose Bombardierung unschuldiger Menschen im Osten und Süden Afghanistans. Mit anderen Worten, die amerikanischen politischen Entscheidungsträger haben aus ihrer Vergangenheit nichts gelernt. Dieses fehlerhafte Verständnis von Afghanistan ist der Grund, warum die aktuelle amerikanische Politik versagt und warum Afghanistan wahrscheinlich wieder zu einem gescheiterten Staat wird, in dem es der Drogenmafia, den Warlords und Kriegsverbrechern ausgeliefert ist.
Amerikanische Militäraktionen und ihre Folgen
Die militärischen Aktionen und die Unterstützung der Warlords und Milizen, um Politik und Wirtschaft zu beherrschen, führten zu Widerstand und Feindseligkeit gegenüber Amerikanern, NATO-Truppen und der Karzairegierung. Im Krieg gegen die Taliban ist Amerika weiterhin abhängig von „Second-Hand-Informationen“ auf dem Boden. Der Einsatz von Luftstreitkräften führte und führt immer noch zu vielen Opfern unter der Zivilbevölkerung und enormem Leid bei jedem Angriff. Die zunehmenden Luftangriffe in dicht besiedelten Gebieten und der Mangel an humanitärer Hilfe nach den Angriffen brachte das Ansehen der US-geführten Koalition und der Kabuler Regierung auf den niedrigsten Punkt.
Die gewaltsame Durchsuchung der privaten Häuser durch amerikanischen GIs, die Inhaftierung unschuldiger Menschen wegen angeblicher Unterstützung von Al-Qaida oder der Taliban, die Tötung von unschuldigen Zivilist­Innen durch Bombardierung sowie die Erpressung und Entführung durch afghanisches Militär und Polizei haben Misstrauen und Feindseligkeit gegenüber Amerikanern, NATO, Karzairegierung, Warlords und ihre Milizen verschärft.

Die amerikanische Invasion und die Installierung der Regierung Karzai bewirkte die gleiche Art von Gesetzlosigkeit, Plünderungen und Morde in Afghanistan, wie sie während der Zeit des Bürgerkrieges (1992-1996) vorhanden waren.

Das beruht zum Teil auf der Tatsache, dass Hamid Karzai keine juristischen, militärischen und administrativen Befugnisse hat. Er ist nicht in der Lage, eine Agenda zu liefern, die helfen wird, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern und eine Zivilgesellschaft aufzubauen. Für die USA und ihre Verbündeten bleibt  Afghanistan nur eine „Sicherheitsfrage“, ein Land, das sie weiterhin mit harter Hand regieren.
Die Regierung Hamid Karzais ist nicht in der Lage, die Kernfunktionen zu erfüllen, die für jedes System des Regierens erforderlich sind.
Afghanistan verfügt nicht über eine nationale Regierung, die selbstständig und unabhängig das fragmentierte Land vereinigen könnte und die US-Militärpolitik in Afghanistan trägt nicht dazu bei, die Situation zu verbessern. Die wenigen sozialen, politischen und administrativen Dienstleistungen, die in dem Land vorhanden sind, dienen nicht den Bedürfnissen der einfachen Leute. Sie dienen ausschließlich den Menschen mit militärischer und politischer Macht.

Das Fehlen einer zentralen Behörde, die Existenz von Warlords, die mangelnde Sicherheit und die schwache wirtschaftliche Lage erlauben den Nachbarländern Pakistan, Iran, Indien, Tadschikistan und Usbekistan und anderen Akteuren wie CIA, ISI (pakistanischer Geheimdienst), und der Union Oil Company of California (heute Chevron-Texaco) sich direkt und indirekt am Krieg in Afghanistan zu beteiligen und durch ihre Einflusssphären sich in die inneren Angelegenheiten Afghanistans einzumischen. Dadurch werden die sogenannten Ziele der Intervention, d. h. Menschenrechte, Demokratie und höherer Lebensstandard der Afghanen, die 2001 von der Bundesregierung unter Gerhard Schröder als „Das Ziel der Intervention“, erklärt wurden, nicht mehr ernsthaft angeführt.
Mangel an Reformen und strukturierten wirtschaft­lichen Programmen
Trotz rund 30 Milliarden Dollar Hilfe bleibt Afghanistan immer noch ein kriegsverwüstetes Land. Internationale Truppen haben zwar die Taliban von der Macht entfernt, aber sie haben keine Voraussetzungen geschaffen, in der das Leben der afghanischen Bevölkerung zur Normalität zurückkehren könnte. Das Land leidet immer noch unter einer zerstörten wirtschaftlichen Infrastruktur, schwachen staatlichen Institutionen, mangelnder Sicherheit und einer Verwaltung, die nur über Bestechung und Korruption funktioniert. Die Menschen in Afghanistan warten immer noch auf Umsetzung und Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit.

Um der installierten Regierung Legitimität zu verleihen, haben die USA eilig einen Notfall Loya Jirga (Großer Rat) einberufen, eine Übergangsregierung ausgearbe
itet, eine fehlerhafte Verfassung verabschieden lassen, einen inkompetenten Präsidenten und ein von eigenen Interessen getriebenes Parlament ausgewählt. Der Mangel an politischen und administrativen Reformen, nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung und Verantwortungs- und Rechenschaftspflicht führten zur Diskreditierung des gegenwärtigen Regimes und beschleunigte die Wiederkehr der Taliban in Afghanistan.

In Afghanistan sind Recht und Ordnung zusammengebrochen und der Staat hat kein Monopol auf die rechtmäßige Nutzung der Gewalt. Der Staat ist nicht in der Lage, seine Bürger zu schützen. Stattdessen werden die staatlichen Institutionen von Kriegsherren und Milizen zur Unterdrückung und Terrorisierung der Bürger verwendet.

Die Karzairegierung hat nicht die politischen und wirtschaftlichen Kapazitäten zur Bewältigung der an sie gestellten Anforderungen und ist nicht in der Lage, grundlegende öffentliche Dienste für die täglichen wirtschaftlichen Aktivitäten sicherzustellen und dringende Programme auszuarbeiten, die greifbare wirtschaftliche und soziale Ergebnisse liefern können. Aufgrund der fehlenden Sicherheit haben afghanische oder ausländische Firmen kein Interesse, in Afghanistan zu investieren.

Afghanistans minimale wirtschaftliche und industrielle Kapazitäten, die vor dem Staatsstreich 1978 bestanden, sind durch den Krieg mit der Sowjetunion (1980-1989), den Bürgerkrieg (1992-1996), das Taliban-Regime(1996-2001) und die amerikanische Invasion 2001 zerstört. Statt mit Menschen vor Ort über ihre Prioritäten und Bedürfnisse zu sprechen, vergeuden die afghanische Regierung, internationale Organisationen und die NGOs in Afghanistan Geld für kosmetische Projekte, die die Kluft zwischen den Menschen in den Städten und die Menschen in den Dörfern nur noch verschärfen.
Die USA und die NATO-Staaten gehen davon aus, dass durch die Förderung der Marktwirtschaft die politischen und wirtschaftlichen Probleme Afghanistans gelöst werden können. Sie ignorieren dabei die Folgen von dreißig Jahren Krieg und die Nicht-Anwendbarkeit westlicher Maßstäbe bei der Gestaltung des sozialen und kulturellen Lebens der Afghanen.
Fazit
Die Entscheidung der Bush-Administration und ihrer NATO-Verbündeten (unter dem Vorwand der Bekämpfung des Terrorismus) produzierte eine Marionetten-Regierung, die zwar das politische Vakuum nach dem Sturz der Taliban füllte, aber keine funktionierende Verwaltung, die sich auf die wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisse des afghanischen Volkes ausrichtete. Das neue Konstrukt war das Ergebnis von ausländischem Druck, ein von außen aufgezwungenes Produkt, das die prekären lokalen politischen Realitäten und sozialen und politischen Traditionen ignorierte.

Um Frieden, Stabilität und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und die Verbesserung des Lebensstandards des afghanischen Volkes zu sichern, müssen die USA, die NATO darunter auch Deutschland, sofort ein Ende der Kampfhandlung einleiten, die Aggression beenden und mit der Widerstandsbewegungen einen politischen Kompromiss erzielen. Um erfolgreich Frieden und Stabilität im Land zu sichern, müssen sie offene Verhandlungen mit den Taliban und anderen oppositionellen Kräften führen. Die Fortsetzung der derzeitigen Politik führt zur Verelendung des Großteils der Bevölkerung und zur Zunahme des Widerstands.

Politische Reformen, wirtschaftliche Modernisierung und soziale Transformation stehen immer noch aus. Statt Bomben muss die internationale Gemeinschaft einen effektiven Kampf gegen die Drogenmafia, die Verbrecher, die Warlords und die Korruption sowie Programme zur Verbesserung der lokalen Wirtschaft starten, indem sie Arbeitsplätze schafft und die Produktion von Gütern und Dienstleistungen erhöht.

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