TEILEN
Innenpolitik

Währungskrieg

Von Guenther Sandleben | 01.12.2010

„Die entwickelten Länder versuchen ihre Währungen zu schwächen“, klagte Brasiliens Finanzminister Guido Mantega am 27. September 2010 vor Industrievertretern in São Paulo. „Das bedroht unsere Wettbewerbsfähigkeit“.

„Die entwickelten Länder versuchen ihre Währungen zu schwächen“, klagte Brasiliens Finanzminister Guido Mantega am 27. September 2010 vor Industrievertretern in São Paulo. „Das bedroht unsere Wettbewerbsfähigkeit“.

Die Welt befinde sich in einem „Währungskrieg“. Brasilien müsse gegen den starken Real vorgehen. Damit hatte der brasilianische Finanzminister nicht nur die Klage seiner nationalen Industrie im auswärtigen Konkurrenzkampf klar formuliert, mit dem Wort „Währungskrieg“ hob er zugleich die Bedeutung und die Schärfe des Konflikts hervor. Dies war der Auftakt für einen Schlagabtausch, der die Wirtschaftsmeldungen und die Gipfeltreffen beherrschen sollte. Die Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) vom 10. Oktober konnte den Währungskrieg nicht beenden, auch nicht das Finanzministertreffen der G-20-Gruppe in Gyeongja (Südkorea) mit dem darauf folgenden G-20-Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Seoul vom 11./12. November. Noch nicht einmal ein Waffenstillstand wurde vereinbart. Einigkeit bestand, alle Streitfragen zu vertagen.
Zu den Kriegsparteien im Währungsstreit
In diesem Währungskrieg geht es um eine globale Aufteilung der Krisenlasten zwischen den kapitalistischen Nationen und Wirtschaftsblöcken. Die Industrie jeder Nation will sich durch eine gezielte Schwächung der eigenen Währung auf Kosten auswärtiger Konkurrenten Absatzvorteile auf dem Weltmarkt verschaffen. Dadurch verspricht sie sich eine beschleunigte Kapital-Akkumulation mit höheren Profiten. Zudem nähern sich etliche Staaten nach den umfangreichen Hilfsaktionen für Banken und Unternehmen den Grenzen ihrer Zahlungsfähigkeit. Ein stärkeres Wirtschaftswachstum ist deshalb ein wichtiges Mittel, um durch höhere Steuereinnahmen die drohende Staatspleite abzuwenden.

USA und EU kritisieren den aus ihrer Sicht unterbewerteten Yuan. Ihnen geht es darum, durch Aufwertung der chinesischen Währung ihre eigene Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt auf Kosten Chinas zu erhöhen. Einen höheren Yuan benötigt vor allem die US-Industrie, um ihre eigene Schwäche zu überwinden, die sich in extrem hohen Handelsbilanzdefiziten dokumentiert und spiegelbildlich zu entsprechend hohen chinesischen Devisenreserven geführt hat. Die geforderte Aufwertung des Yuan ist auch eine Konsequenz des Export-Masterplans vom März 2010, worin US-Präsident Obama das Ziel einer Exportverdoppelung in den kommenden fünf Jahren verankerte. Als Erpressungsmittel gegen China legten die USA die protektionistische Waffe offen auf den Tisch: Mit großer Mehrheit verabschiedete das US-Abgeordnetenhaus Ende September einen Gesetzentwurf, der es der US-Regierung erlaubt, gegen die angebliche Unterbewertung der chinesischen Währung mit Schutzzöllen gegen Importwaren aus China vorzugehen.

China kontert mit dem Argument, die USA schwächten mit ihrem „unkontrollierten Gelddrucken“ den Dollar und wollten dadurch den Export erhöhen und sich über eine importierte Inflation entschulden1. China mit seinen hohen Währungsreserven (Juni 2010: 2454 Mrd. $, davon 868 Mrd. allein in US-Staatsschuldverschreibungen2) wäre von einer solchen inflationsverursachten Entschuldung besonders hart betroffen. Daher die Forderung nach einem sicheren Weltgeld als Alternative zum Dollar. Das hohe Akkumulationstempo der chinesischen Industrie erzwingt die Fortsetzung der Exportoffensive, also das direkte Gegenteil der geforderten Exportbeschränkung. Japan stellt China und Südkorea an den Pranger, weil beide Länder ihre Währungen schwächten, um so die eigene Exportindustrie zu stärken und die heimische Konjunktur anzukurbeln.

Schwellenländer wie Brasilien leiden unter dem Aufwertungsdruck ihrer Währung. Sie werfen den Industriestaaten die Niedrigzinspolitik vor, die zur konkurrenzverzerrenden Aufwertung der eigenen Währung geführt habe. Thailand hat zur Abwehr von Kapitalzuflüssen Anfang Oktober eine 15-prozentige Steuer auf Gewinne aus Kapitalerträgen von Ausländern eingeführt.
Deutschland versteckt seine hohen Handelsbilanzüberschüsse hinter der weitgehend ausgeglichenen Handelsbilanz der Eurozone. US-Finanzminister Timothy Geithner forderte dennoch in einem offenen Brief an seine „lieben Kollegen“, dass Länder mit großen Außenhandelsbilanzüberschüssen ihre Exporte drosseln und die Binnennachfrage stärken sollten. Am Rande seiner Gespräche in Gyeongja sagte er, der Handelsbilanz-Saldo sollte 4 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht übertreffen. Auf eine solche Exportbremse, die Verzicht auf Absatzmärkte, Profit und Akkumulation bedeutet hätte, wollten sich die politischen Vertreter­Innen des chinesischen, japanischen und deutschen Kapitals nicht einlassen. Wirtschaftsminister Brüderle führte Geithner mit den Worten vor, „planwirtschaftliche Elemente in den weiteren Prozess einzuführen“. So offen, spottete die FAZ, habe selten jemand einem Vertreter der amerikanischen Regierung „öffentlich sozialistisches Gedankengut vorgeworfen“3. Zudem bezeichnete Brüderle die „übermäßige Geldvermehrung“ der US-Notenbank, zusätzlich angeheizt durch den Kauf weiterer US-Staatsanleihen in Höhe von 600 Milliarden US-Dollar, als „indirekte Manipulation eines Wechselkurses“. Mit der „Politik der Geldschöpfung“ untergrabe die US-Notenbank die „Glaubwürdigkeit“ Amerikas, fügte Schäuble später hinzu; das Ergebnis der US-Wirtschaftspolitik sei „trostlos“.
Währungskrieg – Handelskrieg mit anderen Mitteln
Bei der Bankenrettung und Finanzregulierung funktionierte der Mechanismus der internationalen Kooperation noch einigermaßen, weil die Interessen in dem Umfang ineinandergriffen, wie es die gefährdeten, ineinander verzahnten globalen Kreditketten taten. Im auswärtigen Kampf der nationalen Industrien untereinander gewinnt jedoch eine Industrie, wenn es ihr gelingt, den auswärtigen Konkurrenten durch eine Abwertung der eigenen Währung Weltmarktanteile abzujagen. Solange der Weltmarkt rasch expandierte, trat dieser globale Verteilungskonflikt in den Hintergrund. Es dominierte das gemeinschaftliche Kapitalinteresse, an dieser allgemeinen Expansion teilzuhaben.

Die große Krise 2008/2009 erschütterte den Weltmarkt, mit der Folge, dass der globale Verteilungskonflikt der nationalen Kapitale untereinander in den Vordergrund rückte. Nun werden mehr und mehr alle Mittel, darunter die Währungswaffe eingesetzt, um sich auf Kosten einer anderen kapitalistischen Nation zu bereichern bzw. dorthin die eigenen Krisenlasten zu verschieben. Hinter dem jetzigen Währungskrieg steht ein Handelskrieg, der bereits Realität besaß, als man sich noch scheute, das hässlich klingende Wort vom Währungskrieg in den Mund zu nehmen.

Als die große Krise ihren H&
ouml;hepunkt erreichte, setzten nämlich die Staaten zum Schutz der eigenen Industrie die protektionistische Waffe ein. Die WTO meldete eine Vielzahl neuer Handelsrestriktionen. Nach Angaben der Weltbank führten die G-20-Staaten von Oktober 2008 bis Mitte 2009 neunundachtzig Maßnahmen ein, die den Welthandel beschränkten.
Während der großen Krise verschärften sich vor allem die Spannungen im Handel zwischen den USA und China. Das chinesische Handelsministerium sprach von Klagen heimischer Hersteller über „unfairen Wettbewerb“. Nach US-Strafzöllen auf chinesische Reifenimporte von bis zu 35 % und nach anderen Restriktionen verhängte China Mitte September 2009 eine vorläufige Antidumping-Maßnahme gegen die Einfuhr von Kunstfasern aus den USA, Europa und Taiwan. Die FAZ bewertete all diese Handelsrestriktionen als eine „Eskalation im Handelsstreit“ mit China und zitierte das deutsche Wirtschaftsministerium mit den Worten, dass man noch (!) nicht einen regelrechten „Handelskrieg“ sehe4.

Der gegenwärtige Währungskrieg ist nichts anderes als eine weitere Eskalationsstufe in diesem Handelsstreit, eine Fortsetzung des Handelskriegs mit dem Mittel der Abwertung der eigenen Währung.

Wie eng der Zusammenhang von Handels- und Währungskrieg ist, zeigte sich mit brutaler Deutlichkeit während der Weltwirtschaftskrise 1929/1932. Der Smoot-Hawley Tariff Act aus dem Jahre 1930 gilt als die erste große protektionistische Spiralbewegung. Durch ihn erhöhten sich in den USA die Zölle auf knapp 1000 Waren; der Durchschnittszollsatz stieg von ca. 25 % auf 50 %. Die Reaktion anderer Länder blieb nicht aus: Bis 1931 erhöhte sich beispielsweise der französische Durchschnittszoll auf 38 % und der deutsche auf 41 %.

Dieser Handelskrieg wurde bald als Währungskrieg fortgesetzt: Großbritannien gab die Bindung des Pfunds an den Goldstandard im Jahre 1931 auf und wertete die Währung um 30 % ab. Die USA zogen 1933 und Frankreich 1936 nach. Wie heute hoffte man, durch die aktive Schwächung der eigenen Währung dem auswärtigen Konkurrenten Anteile am Weltmarkt abzujagen.

Damals wie heute forderte jede kapitalistische Nation den freien Zugang zum Weltmarkt, blockierte aber den Zugang in das eigene Land. Durch diese wechselseitigen Blockaden schrumpfte der Weltmarkt zusammen und steigerte den Widerspruch zwischen der Globalität des Kapitals und seiner nationalen Begrenztheit, ein Widerspruch, der damals in einem fürchterlichen Krieg eine vorübergehende Lösung fand. Der jetzige Währungskrieg ist ein ernst zu nehmendes Signal für die gefährliche Zuspitzung der imperialistischen Gegensätze.

1    China ist entsetzt über Amerikas Geldpolitik, FAZ vom 11.2010.
2    DIW, Wochenbericht Nr. 40/2010.
3    FAZ vom 23.10.2010.
4    Handelskonflikt mit China eskaliert, in: FAZ vom 20.09.09.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite