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Umschichtung, Audit oder Schuldenstreichung?

Von OKDE - Spartakos, Sektion der IV. Internationale in Griechenland | 07.03.2012

Seit dem Beginn der griechischen Staatsschuldenkrise werden von der Linken und der Arbeiterbewegung drei verschiedene Forderungen gestellt: die Schulden neu zu strukturieren (und so zu reduzieren), zu überprüfen oder ganz zu streichen. Dies ist nicht nur eine Frage der Slogans, sondern erfordert auch unterschiedliche politische Strategien. OKDE-Spartakos sowie Antarsya haben sich trotz ihrer Differenzen für die dritte Option entschieden.

Seit dem Beginn der griechischen Staatsschuldenkrise werden von der Linken und der Arbeiterbewegung drei verschiedene Forderungen gestellt: die Schulden neu zu strukturieren (und so zu reduzieren), zu überprüfen oder ganz zu streichen. Dies ist nicht nur eine Frage der Slogans, sondern erfordert auch unterschiedliche politische Strategien. OKDE-Spartakos sowie Antarsya haben sich trotz ihrer Differenzen für die dritte Option entschieden.

Die erste Option wurde von Synaspismos vorgeschlagen (und damit von der Mehrheit der SYRIZA) und in einer eher konservativen Version, von der Demokratischen Linken von Fotis Kouvelis. Das Konzept bestand darin, mit den Gläubiger­Innen zu verhandeln, um ein teilweisen Schuldenerlass zu erreichen, so dass die Schulden wieder auf ein erträgliches Niveau sinken können. Dies ist mehr oder weniger das, was tatsächlich gerade jetzt auf Regierungs- und EU-Initiative geschieht, da es offensichtlich ist, dass die gesamten Schulden nie abbezahlt werden können. Die Gläubiger­Innen verzichten damit auf einen Teil ihrer Profite, um zu vermeiden, alles zu verlieren, wobei gleichzeitig eine Kompensation durch neue, wohlwollende Bedingungen (niedrige Löhne, deregulierte Arbeitsverhältnisse usw.) für künftige Investitionen erfolgt. Diese Art von Verhandlungsführung ist explizit bürgerliche Praxis und es ist der einzige realistische Prozess der „Umstrukturierung“. Deshalb hat die Forderung, die Schulden umzustrukturieren, bald ihre Glaubwürdigkeit als Bestandteil einer Lösung zu Gunsten der arbeitenden Menschen verloren, und es hat die linken Parteien, die dafür plädierten, in eine peinliche Sackgasse der Argumentation geführt.

Zum Vorschlag der Einrichtung einer Prüfungskommission, die die Schuldverträge überprüft, um zu beweisen, dass ein Teil davon grob widerrechtlich und unmoralisch ist, sind mehr Diskusionen erforderlich. Das grundlegende Ziel dieses Ausschusses wäre es, den Massen aufzuzeigen, dass die Schulden, die sie zu zahlen sind, weder fair noch legitim sind. Basierend auf diesem Konzept, haben vor eineinhalb Jahren einige griechischen Ökonomen, zusammen mit Politiker­Innen aus dem linken Spektrum und ehemaligen PASOK-Mitgliedern (wie die Abgeordnete Sofia Sakorafa)  zur Errichtung einer Audit-Commission (ELE) aufgerufen. Dieser Vorschlag ist heute deutlich weniger aktuell als er es früher war, und es scheint, dass einige wenige Schritte in die Richtung der Bildung eines solchen Ausschusses getan worden sind. Allerdings ist es nach wie vor wichtig, das Hauptanliegen einer genauen Prüfung zu unterziehen.

Ein Schuldenaudit könnte mit der Forderung nach einem Schuldenerlass oder der Stornierung der Schulden kombiniert werden, aber es ist nicht gleichbedeutend damit.  Die ursprüngliche Forderung zur Errichtung von ELE ließ diese Frage offen. Dies war jedoch nicht das einzige Problem dieser Initiative. Das große Problem ist die Frage nach dem Ausgangspunkt des Audits: Überprüfung, ob die Forderungen nach nationalen und internationalen Gesetzen legitim sind, und wenn ja, die Forderung auf einen Teilerlass stellen? Oder, im Gegensatz dazu, sich weigern, dass die Arbeiter­Innenklasse die Schulden bezahlt, unabhängig von der Frage, ob die Schulden formell legitim sind oder nicht?
Gründe gegen ELE
Es gibt wichtige Gründe, warum wir gegen die griechische Audit Commission (ELE) als antikapitalistische Reaktion auf die Krise sind:

1.    Die griechische Staatsverschuldung hat nicht die gleichen Ursachen wie die Schulden der Dritten Welt. Die Plünderung der griechischen Volkswirtschaft wurde nicht von ausländischen imperialistischen Staaten durch Gewinnmaximierung mittels ungleichen Tauschs durchgeführt, basierend auf der unterschiedlichen Produktivitätsrate, auch wenn der ungleiche Warenaustausch in der Tat eine gewisse Rolle spielt. Der Schuldenstand ist das Produkt einer bewussten Entwicklungsstrategie der griechischen bürgerlichen Klasse, die ebenfalls imperialistisch strukturiert ist. Diese extrem aggressive Strategie, die eine übermäßige Staatsverschuldung und wirtschaftliche Invasion in Osteuropa mit Hilfe der Euro-Währung auf Kredit durchführen wollte, ist gescheitert und wird in dem inter-kapitalistischen Finanzwettbewerb bestraft. Darüber hinaus wird es immer offensichtlicher, dass die Schuldenkrise in Griechenland nicht die Folge einer Art nationaler Besonderheit ist. Sie ist Teil einer internationalen strukturellen Krise des Kapitalismus, in letzter Konsequenz eine Krise der Überakkumulation, die zuerst ( aber nicht ausschließlich) schwache Glieder wie Griechenland trifft. Es gibt fast keine schriftlichen Verträge, die eine Kommission überprüfen könnte, weil die öffentliche Kreditaufnahme, die im Gegensatz zu dem steht, was in der sog. Dritten Welt üblich ist, durch Staatsanleihen, nicht durch Kredite finanziert wurde (zumindest vor dem Memorandum). Kommt etwas in Bezug auf die Verschuldung ans Tageslicht, sind es nicht Skandale, sondern nachhaltige Ausbeutungsstrukturen als ein Mechanismus, der die Ausbeuter­Innenklasse kennzeichnet. Die Aufdeckung dieses Mechanismus ist allerdings nicht durch Auditing zu erreichen, sondern nur durch marxistische politische Analyse, politische Arbeit und natürlich Kampf.

2.    Es ist wirklich kein Problem, die Arbeiter­Innen und Unterdrückten in Griechenland davon zu überzeugen, dass die Schulden nicht fair sind. Die meisten von ihnen sind bereits davon überzeugt, und die fehlende Bereitschaft der linken Parteien über den Schuldenboykott zu sprechen, um die Masse nicht zu „verschrecken“, hat sich als unangemessen konservativ, wenn nicht sogar heuchlerisch erwiesen. Es ist bezeichnend, dass die Forderung, die Abzahlung der Schulden sofort zu beenden und der Kampf für die Streichung der Schulden (mit Ausnahme des Teils, der von Pensionsfonds gehalten wird) eine der ersten war, die in der massenhaften Volksversammlung auf dem Syntagma-Platz während der Bewegung der „Empörten“ Zustimmung fand, auch wenn es bis zu diesem Zeitpunkt nur durch die „radikale Linke“ forciert wurde (am sichtbarsten durch Antarsya). 

Laut jüngsten Umfragen steht mehr als ein Drittel der sogenannten öffentlichen Meinung für die Annullierung der öffentlichen Verschuldung, ein Prozentsatz, der in der Arbeiter­Innenklasse noch höher liegen wird. Dies ist ein sehr hoher Anteil angesichts der brutalen Propaganda durch die griechische Regierung sowie der Massenmedien, die nie aufhören zu schreien, dass eine Annullierung der Staatsschulden die totale Katastrophe für uns alle bedeuten würde. Es ist auch bezeichnend, dass die Kommunistische Partei, nachdem sie mehr als ein Jahr die Forderung diskreditiert hat, nun ihre Haltung geändert und sie übernommen hat, ohne zu fürchten, ihre Popularität bei den Massen aus diese
m Grund zu verlieren. Das eigentliche Problem ist nicht, den Massen zu erklären, dass sie die Schulden nicht bezahlen (das wissen sie schon), sondern aufzuzeigen, wie sie die Zahlung vermeiden, wie sie den Boykott durchsetzen, wie sie sich gegen die Rachsucht der nationalen und internationalen bürgerlichen Klasse schützen können, falls es ihnen gelingt, dies zu tun.
Natürlich liegen die Dinge ganz anders unter der Berücksichtigung einer internationalen Solidaritätskampagne. In diesem Fall wird es in der Tat von entscheidender Bedeutung sein, zu beweisen, wie ausbeuterisch und katastrophal die Folgen der Verschuldung für Arbeit­Innen in Griechenland sind, um Menschen, die nicht unmittelbar betroffen sind,  zu überzeugen. Es wäre falsch,  die AktivistInnen zu rügen, die sich für die Audit-Kommission vom Ausland her einsetzen aus ihrer Sicht könnte dies ein legitimes Zeichen der Solidarität sein. Dennoch, als Taktik im Inneren des Landes eine Audit-Kommission zu fordern, wäre ein klarer Rückschritt.

3. Griechenland ist ein völlig anderer Fall als Ecuador, das in der Regel als ein erfolgreiches Beispiel für eine Auditierung bezeichnet wird. In Ecuador war es eine progressive Regierung, die selbst die Initiative ergriff, um eine Prüfungskommission zu bilden und Verträge über öffentliche Kreditaufnahmen zu prüfen – in diesem Fall gab es tatsächlich solche Verträge. Diese Regierung war das Ergebnis einer Massenbewegungen und von Kämpfen der Arbeiter­Innenklasse, auch wenn sich gleichzeitig die Grenzen dieser Regierung zeigten. Im Gegensatz dazu sind sowohl die gegenwärtige Regierung der „nationalen Einheit“ als auch die vorherige PASOK-Regierung in Griechenland die wichtigsten Instrumente des brutalen Krieges, den die bürgerliche Klasse gegen die arbeitende Bevölkerung führt. Sie werden im Auftrag des Kapitals handeln, ohne Absicht, die geringste Rücksicht auf die Interessen der Arbeiter­Innenklasse zu nehmen. Und es ist bekannt, dass sowohl der griechische Staat als auch das griechische Kapital entschlossen sind, sicherzustellen, dass die Gläubiger­Innen nicht ihr Geld verlieren. Ein Verlust ihrer Forderungen würde ihre ganze Entwicklungsstrategie und ihre eigenen unmittelbaren Interessen bedrohen. Viele von ihnen sind selbst Gläubiger­Innen (mehr als ein Drittel der Forderungen werden von griechischen Banken erhoben). Es ist deshalb absurd, eine solche Regierung zu bitten, ihre Erlaubnis oder die „erforderlichen Voraussetzungen“ zu schaffen, wie es in der ursprünglichen Forderung nach der Audit-Kommission heißt, um die Schuldverträge zu überprüfen. Eine solche Forderung würde bedeuten, dass wir ein gemeinsames Problem mit der Regierung hätten, so etwas wie eine „nationale Frage“ oder einem gemeinsamen nationalen Kampf gegen die fremden „Plünderer“ unseres Landes. Im Gegenteil: Unsere Hauptaufgabe ist es, gerade jetzt den revoltierenden Massen zu beweisen, dass „unsere“ Regierung nicht nur zu unterwürfig den ausländischen Banken gegenüber ist, sondern ein aktiver Schlüsselfaktor des Angriffs, den wir erleiden, und dass sie gestürzt werden sollte. Außerdem beträgt die Summe des Geldes, das die Regierung Correa in Ecuador sich zu zahlen weigerte, weniger als 5 % der derzeitigen griechischen Staatsschulden sind. Das internationale Finanzsystem konnte diesen Verlust hinnehmen, aber im Falle von Griechenland wird das Kapital nicht so handeln. Wenn Ecuador also kein richtiges Vergleichsbeispiel zu Griechenland darstellt, ist ein anderes Beispiel, wie es manchmal von den Ökonomen der ELE erwähnt wird, noch weniger richtig: Russland im Jahr 1998. Es wird wohl kaum notwendig sein, zu erklären, dass in diesem Fall die Annullierung eines Teil der öffentlichen Verschuldung ein einhundert prozentiges bürgerliches Projekt war, das nur die inter-imperialistischen Rivalitäten und dass nicht die Forderungen oder Interessen der russischen ArbeiterInnenklasse dafür ausschlaggebend waren.

ELE soll ein rein wissenschaftliches und technokratisches Komitee sein, das von bekannten „Persönlichkeiten“ unterstützt wird. Es ist keine Kampagne oder Front gegen die Staatsverschuldung. Ausdrücklich  nicht dazu gehören Gewerkschaften, politische oder soziale Organisationen („es wird unabhängig von politischen Parteien sein“, wie in der Ausschreibung angegeben ist). Ein erster Einwand wäre, dass dies ein völlig bürokratisches Konzept ist, denn es ist nicht klar, wie dieses Gremium aus „Sachverständigen“,  von der Massenbewegung kontrolliert werden soll. Dies ist jedoch nicht das einzige Problem. Der politische Rahmen der ELE, ist nicht, wie in der ursprünglichen Forderung beschrieben „neutral“, wie von den radikalsten seiner Initiator­Innen gehofft. Er ist eindeutig  sozialdemokratisch. Es ist das primäre Ziel, einen Weg aus der Krise ohne Bruch mit den Regeln des Kapitalismus zu finden, aber mit den Mitteln des Systems (siehe Kasten).

Diese Art von Rhetorik verstärkt einen trügerischen Patriotismus „Ich suche nach einem Weg `Griechenland retten zu`“ – nicht die Arbeiterklasse oder die unterdrückten und ausgebeuteten Schichten. In dieser Krise gibt es keine Möglichkeit, Griechenland im Allgemeinen zu retten, denn es gibt keinen Weg, um beide, Kapitalist­Innen und Arbeiter­Innen zu retten. Eine Klasse kann nur zu Lasten der anderen Klasse geschützt werden.
Theoretische Gedanken über die Schulden sind nützlich, aber sekundär und ergänzen einander. Grundsätzlich ist die griechische Staatsverschuldungskrise kein technisches Problem oder eine Frage der Logistik, sondern ein grundlegender Klassengegensatz: Wer zahlt für die Krise? Wer trägt die Belastung des Zerstörungsprozesses, der durch die Krise ausgelöst wurde? Der Gedanke, dass die arbeitende Bevölkerung und die Unterdrückten verpflichtet sind, für die Krise alleine zu zahlen, ist nicht nur ein Verstoß gegen geltendes Recht und Gesetz, sondern stellt auch eine brutale Verletzung ihrer grundlegenden Interessen und Rechte dar. Wenn die Diskussion auf technische Fragen beschränkt ist, ist es offensichtlich, dass die Regierung und die bürgerliche Klasse mit all ihren Spezialist­Innen, Expert­Innen, Massenmedien und Propaganda-Apparaten einen klaren Vorteil haben werden.
Was zählt
Was zählt, ist die Möglichkeit die Schulden zu überprüfen: das Recht der ArbeiterInnenklasse, Daten über die staatlichen Finanzen, Bilanzen und Fonds zu erfahren und Zugriff darauf zu haben. Mit anderen Worten: Wir brauchen Arbeiter­Innenkontrolle! Wir unterstützen diese Forderung. Aber es ist genau eine der Übergangsforderungen, die nicht unter den Bedingungen des Kapitalismus und des bürgerlichen Staates zu erreichen ist. Und natürlich ist es überhaupt nicht hilfreich, die „Vollmacht“ von einer bürgerlichen Regierung einzufordern, um für ein solches Ziel zu kämpfen.

Unsere Meinungsverschiedenheit sowohl mit der Audit-Kommission als auch mit den verschiedenen linken Umschuldungsprogrammen ist strategisch, aber gleichzeitig beinhaltet unsere andere Sichtweise die unmittelbaren Prioritäten aus der Massenbewegung. Wir sollten nicht akzeptieren, dass wir alle vor einem Problem stehen, das zugunsten der Nation als Ganzes gelöst werden soll, egal wie „progressiv“ die gefundene Lösung auch
wäre. Die primäre Aufgabe der Arbeiter­Innenklasse und der benachteiligten Schichten ist nicht, den Rest der Nation davon zu überzeugen, sondern sie mit Kämpfen, Generalstreiks, Produktionsstopps  etc. zu bewegen, den Schuldenboykott zu verhängen, egal ob die Schulden illegal, illegitim, sittenwidrig sind oder nicht. Sie haben keine Angst vor unseren Argumenten. Sie haben Angst vor unserer Macht, der bürgerlichen Klasse die Herrschaft zu entreißen.

 

Aus dem Aufruf zum ELE
„Das Ziel der Kommission wird sein festzustellen, warum die öffentliche Schulden entstanden sind, die Bedingungen zu klären, die dazu geführt haben und wie die geliehenen Geldmittel verwandt wurden. Auf der Grundlage dieser Überlegungen wird die Kommission entsprechende Empfehlungen ausarbeiten, wie mit den Schulden umzugehen ist, einschließlich der Schulden, die nachweislich illegal, illegitim oder sittenwidrig sind. Das Ziel der Kommission wird es sein, Griechenland alle notwendigen Maßnahmen aufzuzeigen, um der Schuldenlast entgegen zu treten“.

 

 

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