TEILEN
Betrieb & Gewerkschaft

TVöD – neuer Tarifabschluss zu Lasten der Beschäftigen

Von Larissa | 01.05.2008

Die Tarifverhandlungen waren gescheitert, Warnstreiks hatten erfolgreich stattgefunden und der Schlichterspruch war von ver.di  abgelehnt worden. Ver.di  sprach bereits von Urabstimmung und Streik – da hat es viele Kollegen und Kolleginnen etwas gewundert, als sie plötzlich am 31. März aus den Medien erfuhren, dass es nach einer nächtlichen Nachverhandlung doch zu einem Verhandlungsergebnis und zu einem Tarifabschluss gekommen war.

Die Tarifverhandlungen waren gescheitert, Warnstreiks hatten erfolgreich stattgefunden und der Schlichterspruch war von ver.di  abgelehnt worden. Ver.di  sprach bereits von Urabstimmung und Streik – da hat es viele Kollegen und Kolleginnen etwas gewundert, als sie plötzlich am 31. März aus den Medien erfuhren, dass es nach einer nächtlichen Nachverhandlung doch zu einem Verhandlungsergebnis und zu einem Tarifabschluss gekommen war.

Das Ergebnis ist weit entfernt von den vorher so vehement geforderten 8 % Lohnerhöhung, auch wenn gleich nach dem Abschluss versucht wurde, das Ergebnis als tatsächliche 8 % Lohnsteigerung darzustellen. Von einer „erheblichen Einkommenserhöhung“, wie ver.di  den Abschluss zu Anfang noch nannte, kann nicht die Rede sein.
Zwar werden die Tabellenentgelte um einen Sockelbetrag von 50 € erhöht. Auch wenn ver.di  nicht die geforderten 200 € durchsetzte, kann dies durchaus als Erfolg gewertet werden, da es bisher kaum möglich war, überhaupt Festgeldforderungen aufzustellen, geschweige denn, sie auch durchzusetzen. Eigentlich wäre auch zu erwarten gewesen, dass bei den Verhandlungen genau dieser Sockelbetrag als erstes unter den Tisch fällt.

Des weiteren werden die Entgelte während der 2-jährigen Laufzeit des Tarifvertrags um 3,1 % ab 1. Januar 2008 erhöht und ab Januar 2009 soll es dann noch mal 2,8 % geben.

Für die unteren Lohngruppen bedeutet dies tatsächlich eine reine Lohnerhöhung um die 5 %. Angesichts der Tatsache, dass es seit Jahren nicht einmal mehr den Inflationsausgleich (letzte Tabellenwirksame Lohnerhöhung: 1.5.04) gab, wurde dieses Ergebnis von einigen KollegInnen als gar nicht so schlecht aufgenommen. Für die mittleren und oberen Entgeltstufen wurde die Chance auf eine Reallohnsteigerung jedoch vertan.

Nicht mit eingerechnet ist hier aber die Verlängerung der Arbeitszeit von 38,5 auf 39 Stunden in den Ländern Bayern, NRW, Bremen und Saarland. Dies entspricht einer Senkung des Stundenlohns in 2008 um 0,6 % , danach um 1,3 %. Auch die kontinuierliche und in den letzten Jahren deutliche Verteuerung der Lebenshaltungskosten wurde hier nicht mit eingerechnet. Die offizielle Preissteigerung betrug zuletzt 3,1 % – je nach dem, wie man rechnet, d.h. welche Waren man als Grundlage nimmt, wurde das Leben aber noch teurer. Außerdem werden im Sommer die Sätze zur Renten- , zur Pflegeversicherung und für viele auch zur Krankenversicherung steigen.
Sonderregelungen
Beschäftigte der Krankenhäuser bekommen zuerst 1,6 % Lohnerhöhung und dann 4,3 %. Sie sind von der Arbeitszeiterhöhung ausgenommen und bleiben bei 38,5 Stunden. Im Osten Deutschlands tritt für die Beschäftigten der Kommunen die Erhöhung erst zum 1. April 2008 in Kraft. Die Arbeitszeit bleibt bei 40 Stunden pro Woche. Dabei wird seitens der Gewerkschaften schon seit Jahren die Angleichung an Löhne und Arbeitszeit im Westen gefordert, da sich die Lebenshaltungskosten inzwischen an die im Westen angeglichen haben und es keinen Grund für eine schlechtere Bezahlung und längere Arbeitszeiten gibt. Die Verkürzung der Arbeitszeit im Osten wurde auf 2009 verschoben.
Der Tarifabschluss ist im Ganzen recht kompliziert. Wie schon beim TVöD muss man genau die Details anschauen, um seine wirklichen Auswirkungen zu verstehen. Die Ungleichbehandlung verschiedener Teile Deutschlands und verschiedener Sparten innerhalb eines einzigen Tarifvertrags fördert die Spaltung der Belegschaften. Das Aufstellen von gemeinsamen Forderungen und die Identifikation damit wird schwieriger. Dies sind ungünstige Bedingungen für einen gemeinsamen Kampf mit massiver, durchsetzungsfähiger Beteiligung. Die Entwicklung von Solidarität – der wichtigsten Stärke im Arbeitskampf – wird schwieriger.

Nicht einmal die leistungsorientierte Bezahlung, das sog. LoB, wurde abgeschafft. Immerhin bezahlen alle KollegInnen mit 1 % ihrer Entlohnung dafür, das nur 30 % der Beschäftigten eine Prämie bekommen. Dabei merken sogar Teile der ArbeitgeberInnen, dass LoB nicht die Motivation und Produktivität steigert, sondern Mißtrauen, Unmut und Frust fördert. 
Mittelgut – mittelschlecht
Insgesamt hat das Tarifergebnis, dem 68 von 90 Mitgliedern der Bundestarifkommission zustimmten, keine wesentlichen Verbesserungen, aber auch keine massiven Verschlechterungen gebracht hat. Dass es „…seit langer Zeit mal wieder Reallohnzuwachs…“ gibt, wie Bsirske sagte, stimmt aber – wenn man ehrlich rechnet – nicht.
In Anbetracht der Tatsache, dass die Warnstreiks erfolgreich verliefen und dass die Stimmung in den Belegschaften und in der Bevölkerung positiv war, ist es sehr enttäuschend, dass der Abschluss ohne Kampf gemacht wurde. Man weiß also nicht, was bei einem Arbeitskampf alles möglich gewesen wäre.

Ver.di hat es hier versäumt, zum ersten mal seit sehr, sehr langer Zeit für den öffentlichen Dienst ein deutlich positives Ergebnis zu erkämpfen, und so u.a. die negativen Auswirkungen des neuen TVöD v.a. für die unteren Gehaltsgruppen abzumildern. (die unteren Entgeltstufen sind im TVöD wesentlich niedriger, z.T. um 300 €, als im alten BAT)
Dies reiht sich ein in die aktuelle Gewerkschaftspolitik, die auf dem letzten Ver.di-Kongress im Oktober 2007 noch einmal bestätigt wurde und die sich nicht mehr als Antagonist zur kapitalistischen Wirtschaft sieht, sondern auf eine Art Handlungsgemeinschaft mit dem Staat setzt und sich dessen Standortpolitik anschließt, d.h. nichts machen, was möglicherweise der Wirtschaft, dem Wirtschaftswachstum, den einzelnen Betrieben oder dem Standort Deutschland „schaden“ könnte. Auch die arbeitgeberInnenfreundlichen Vorgaben der EU aus dem sog. Lissabon-Prozess spielen hier sicher eine Rolle (kostenneutrale Abschlüsse, weitere Flexibilisierung von Entgelt- und Arbeitszeitabschlüssen, Erhöhung der Arbeitszeit, mehr Wettbewerb).

Bzgl. der Arbeitszeitverlängerung war es zwar nicht der erste Vorstoß. In vielen Betrieben sind Betriebsvereinbarungen über eine befristete Arbeitszeitverlängerung inzwischen gang und gäbe und die Beamten, z.B. in Bayern, arbeiten seit einigen Jahren 42 Stunden pro Woche. Trotzdem bleibt zu befürchten, dass die jetzige Verlängerung ein Präzedenzfall wird: Man erkauft sich ein mehr oder weniger positives Verhandlungsergebnis mit einer Verlängerung der Wochenarbeitszeit. Statt dem von ArbeitgeberInnen-, WirtschaftswissenschaftlerInnen- und PolitikerInnenseite seit Jahren mit Nachdruck ausgeübtem Druck nachzugeben, hätte die Gewerkschaft das gesellschaftlich wesentlich sinnvollere Modell der Arbeitszeitverkürzung (natürlich bei vollem
Entgelt- und Personalausgleich) vorschlagen sollen. Dies wurde aber immer abgelehnt, mit dem Argument „wir machen das Fass mit der Arbeitszeit nicht auf“. Nur eine Arbeitszeitverkürzung wäre eine sinnvolle Antwort auf den ständig steigenden Arbeitsdruck, die zunehmenden Anforderungen, die Arbeitsverdichtung, die längere Lebensarbeitszeit und die Arbeitslosenrate.

Der Eindruck entsteht, dass die Gewerkschaftsbürokratie, die zu einem guten Teil selbst keine Streikerfahrung hat, trotz guter Ausgangsbedingungen einen Arbeitskampf auf jeden Fall verhindern wollte. Natürlich weiß man nicht, ob ein Arbeitskampf erfolgreich gewesen wäre oder ob möglicherweise trotz zäher, langwieriger Streiks ein ähnliches oder gar schlechteres Ergebnis herausgekommen wäre. Die KollegInnen hätten aber – in weiten Teilen zum ersten Mal – die Erfahrung eines Streiks gemacht. Für weitere Auseinandersetzungen, die bei den sich zuspitzenden Verhältnissen mit Sicherheit kommen werden, ist dies und das Bewußtsein, das sich daraus entwickeln kann, die Grundlage für erfolgreiche, große Kämpfe.

 

Mitgliederbefragung
Um sich einen Überblick zu verschaffen, wie die Basis zum neuen Tarifabschluss steht, führte die Gewerkschaft Ver.di  in den letzten Wochen eine Mitgliederbefragung durch. Zum Teil fand diese direkt in den Betrieben statt, es war aber auch möglich, im Gewerkschaftshaus seine Stimme abzugeben. Man konnte entweder dem Verhandlungsergebnis insgesamt zustimmen oder es ablehnen. Bei Ablehnung erklärte man sich gleichzeitig bereit, an Arbeitskampfmaßnahmen teilzunehmen. An der Befragung nahmen 189 000 Mitglieder teil. 145 000, das sind 76,5 %, stimmten dem Verhandlungsergebnis zu. Das bedeutet, dass sich immerhin 23,5 % für Streikmaßnahmen aussprachen. Laut ver.di  seien aber speziell die neuen Regelungen zur Arbeitszeit auf Kritik gestoßen.

 

Tarifrunde ÖD: Miserables Ergebnis
Die Verhandlungskommission rechnet vor, dass für dieses Jahr eine Lohnerhöhung von im Schnitt 5 % durchgesetzt worden sei und spricht von einer „moderaten Arbeitszeitverlängerung“ auf 39h/Woche. Die Arbeitszeitverlängerung ist ein Verrat an allen Erwerbslosen und an all den KollegInnen, die eh schon genug ausgepowert sind. Jede Arbeitszeitverlängerung muss ein Tabu sein und sollte zur Abwahl dieses Vorstands führen! Die halbe Stunde unbezahlter Mehrarbeit bedeutet zudem eine Senkung des Stundenlohns von 1,6 %. Zieht man dies von den „im Schnitt 5 %“ ab, so landen wir in diesem Jahr schon in etwa bei der Preissteigerungsrate, die zurzeit 3,1 % beträgt. Von Reallohnsteigerung also weit und breit keine Spur! Und im nächsten Jahr sind die nominell 2,8 % Lohnanhebung mit Sicherheit nicht geeignet, eine Reallohnsteigerung zu erzielen. Mit welcher Berechtigung bekommen die KollegInnen im Osten immer noch weniger als im Westen (ihre Lohnerhöhung wird erst zum 1.4. wirksam)? Mit welcher Berechtigung werden die KollegInnen im Krankenhaus dieses Jahr mit einem schlechteren Ergebnis abgespeist (50 € + 1,6 %) als die anderen KollegInnen? Die KollegInnen dort sind schließlich nicht für die von der Politik vorgegebene „Krankenhausfinanzierung“ verantwortlich!

 

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Ähnliche Artikel
Zur Startseite