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Betrieb & Gewerkschaft

Tarifrunden in der Wirtschaftskrise: Gelegenheiten zur Gegenwehr

Von Jakob Schäfer | 01.01.2010

Die ersten größeren Tarifrunden seit dem Durchschlagen der großen Krise finden in den nächsten Monaten im Öffentlichen Dienst (Bund und Kommunen) und in der Metall- und Elektroindustrie statt. Ver.di und IG Metall sind allerdings nicht gewillt, diese Gelegenheiten für die Abwehr der Krisenfolgen zu nutzen.

Die ersten größeren Tarifrunden seit dem Durchschlagen der großen Krise finden in den nächsten Monaten im Öffentlichen Dienst (Bund und Kommunen) und in der Metall- und Elektroindustrie statt. Ver.di und IG Metall sind allerdings nicht gewillt, diese Gelegenheiten für die Abwehr der Krisenfolgen zu nutzen.

Laut einer Untersuchung der International Labour Organisation (ILO) in Genf hat die Krise weltweit inzwischen zum Abbau von 20 Mio. Arbeitsplätzen geführt. Wenn die staatlichen Konjunkturprogramme auslaufen, kann die Zahl auf 43 Mio. steigen1.
Für Deutschland rechnet die Bundesagentur für Arbeit in diesem Jahr mit einem Stellenabbau von 790 000 (= -2,9 %). In den Jahren 2004 – 2008 sind die Netto-Reallöhne deutlich gesunken, im gesamten abgelaufenen Jahrzehnt waren es sogar 11%2.
Hinzu kommen die direkten Krisenfolgen, die schon 2009 deutlich zu spüren waren: Hunderttausende von Leiharbeiter­Innen und prekär Beschäftigten wurden heimgeschickt, viele davon tauchen in keiner Statistik auf. Von Oktober 2008 – Oktober 2009 sind die Bruttolöhne um 5,4% gesunken (hauptsächlich wegen Standortvereinbarungen und Kurzarbeit).

Ganz offensichtlich aber haben die Vorstände von ver.di und IG Metall nicht vor, irgendetwas gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die abhängig Beschäftigten zu unternehmen. Sie haben sich vielmehr darauf eingestellt, alles zu tun, damit es nicht zu einer größeren Auseinandersetzung kommt.
Kampfvermeidungsstrategie von ver.di
Im Öffentlichen Dienst ist die Lage sogar noch dramatischer als für die Gesamtheit der Beschäftigten, vor allem seit der Absenkungstarifvertrag TVöD von 2005 seine Folgen zeitigt.3 Ver.di hat keine einzige qualitative Forderung aufgestellt und liegt mit der Forderung nach Anhebung der Entgelte um 5% deutlich unter einigen Empfehlungen aus den Bezirken: Die Tarifkommission Hessen beispielsweise hat sich für 7%, mindestens aber 200 € starkgemacht. Die „Zusatzforderungen“ der Bundestarifkommission von ver.di beispielsweise nach einer Verlängerung der Altersteilzeit oder die Wiedereinführung der Bewährungs- und Tätigkeitsaufstiege werden fromme Wünsche bleiben. Ein Kampfwille ist bei der ver.di-Führung überhaupt nicht zu erkennen und so läuft alles auf eine gütliche Einigung ohne nennenswerte Kampfmaßnahmen hinaus. Ein Strich durch die Rechnung friedlich-gütlicher Tarifverhandlungen (sie beginnen am 13. Januar in Potsdam) könnte die Gegenseite machen, wenn sie mit ihren Angeboten so niedrig bleibt, dass die ver.di-Führung herausgefordert wird, oder wenn die Mitglieder vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Anhebung diverser Sozialbeiträge unruhig werden. Allen sollte schließlich bewusst sein, dass die Bundesregierung nach der NRW-Wahl bekannt geben wird, wie sie die Staatsschulden zurückfahren will, und das wird ganz selbstredend nicht über eine Belastung des Kapitals oder der Reichen geschehen.
Aktiv werden
Den besten Beitrag im Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten im Sinne von „Wir zahlen nicht für eure Krise“ können die Beschäftigten von Bund und Kommunen leisten, wenn sie in den nächsten Wochen mit Warnstreiks und Kundgebungen deutlich machen, was sie von der Gewerkschaftsführung erwarten und dass sie bereit sind, zu kämpfen. Es wäre also nicht schlecht, schon mal Transparente zu malen entlang folgender Achse:

  • • Für einen hohen Festbetrag, mindestens das, was die Tarifkommission Hessen verlangt hat (200 €); besser wäre, 300 € zu fordern
  • Abschaffung der Entgeltgruppe 14. Dies sollte als erster Schritt verstanden werden, um das Eingruppierungssystem des TVöD zu sprengen!
  • Abschaffung der Meistbegünstigungsklausel (in Wirklichkeit eine Verhöhnung der abhängig Beschäftigten) nach der die „Arbeitgeber“ Verhandlungen über eine Arbeitszeitverlängerung verlangen können, wenn ein anderer Öffentlicher „Arbeitgeber“ die Arbeitszeit verlängert hat. Stattdessen eigene Aktivitäten entwickeln, um die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Entgelt- und Personalausgleich auf die Tagesordnung der Gewerkschaft zu setzen.
  • Wiedereinführung der Kinderzuschläge
  • Kein Ausbau des Leistungsentgeltanteils (von heute 1 % auf die im TVöD vorgesehenen 8 %) sondern Umwandlung in einen festen Entgeltbestandteil
  • Keine Kompensationen und keine Tauschgeschäfte
  • Es muss ein transparenter Tarifvertrag her (ohne Sonderregelungen etc.) und mit einer Laufzeit von nicht mehr als 12 Monaten
  • Weg mit der Rente mit 67 und Fortführung des Tarifvertrags Altersteilzeit (ATZ). Für eine breite Einbeziehung anderer Beschäftigtengruppen (in und außerhalb des Öffentlichen Dienstes) und Argumentation für den politischen Streik.


Wenn es zu einer kämpferischen Bewegung kommt, die sich gegen die Lohn- und Sozialabbaupolitik der Bundesregierung wendet, dann ist dies der beste Beitrag für eine Gegenwehr im Sinne von „Wir zahlen nicht für eure Krise“ und kann genutzt werden, um die Notwendigkeit des politischen Streiks deutlich zu machen.
IGM-Führung auf Schmusekurs
Alles, was die IGM-Führung bisher hat verlauten lassen, deutet ebenfalls auf die klare Absicht hin, jeglichem Kampf aus dem Weg zu gehen. Erstens soll keine nennenswerte Lohnforderung gestellt werden und zweitens bieten Huber und der Bezirksleiter von NRW, Oliver Burkhard, an, die Arbeitszeit mit Lohnverlust zu kürzen. Dass die Kolleg­Innen nach diesem Modell weniger Geld bekämen als mit Kurzarbeitsgeld, kümmert sie wenig, Hauptsache die Unternehmen werden geschont. Die Lohneinbußen seien gerechtfertigt, sonst stehe zu befürchten, dass „die Unternehmen 2010 viele Beschäftigte entließen“ (taz 24.11.09). Für diese Bürokraten ist ein anderer Weg, nämlich der des Widerstands, schon gar nicht mehr vorstellbar, auf jeden Fall nicht erwünscht. Sie haben nämlich den Kurs der Organisation schon lange vor der offiziellen Aufstellung der Forderung festgelegt (der Tarifvertrag läuft Ende April aus, die Friedenspflicht endet am 28. Mai).

Die WAZ titelte: „IG Metall mahnt zur Eile bei Tarifrunde 2010“. Oliver Burkhard
hält eine 28-Stundenwoche für denkbar. „Auf bis zu 33 Stunden könnte man ohne Lohnausgleich runtergehen, auf 28 Stunden mit einem 25-prozentigen Lohnausgleich.“ Nach unserer Berechnung wäre dies für eineN FacharbeiterIn ein monatlicher Verlust von brutto ca. 450 €, ohne die Auswirkungen, die dieses Modell auf Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld, Rentenzahlungen usw. hätte. Bei einer entsprechenden Kurzarbeit betrüge in unserem Beispiel der Nettoverlust ca. 200 € sowie mit geringeren Auswirkungen auf die Renteneinzahlungen.

Wie borniert inzwischen der Horizont der Gewerkschaftsbürokratie ist, zeigt ein Artikel von Hilde Wagner, Ressortleiterin Grundsatzfragen im Funktionsbereich Tarifpolitik beim Vorstand der IG Metall, in der Zeitschrift Sozialismus vom Dezember 2009. In diesem Organ, in dem sich üblicherweise der linke (!) Flügel der Gewerkschaftsapparate verbreitet, schreibt sie unter der Überschrift „Arbeitszeitpolitik zur Beschäftigungssicherung“ lang und breit über Kurzarbeitsregelungen, „Weiterentwicklung bzw. Ergänzung der Tarifverträge zur Beschäftigungssicherung“, Arbeitszeitkonten, besonders belastete Kolleg­Innen, Altersteilzeit usw. aber kein Wort über die einzig wirksame Strategie zum Abbau der Massenerwerbslosigkeit, nämlich eine Neuaufnahme des Kampfs zur generellen Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit. Und das zu einer Zeit, in der diverse Basisstrukturen diese Frage verstärkt aufwerfen.

Die kommenden Wochen müssen genutzt werden, um auch im Organisationsbereich der IG Metall sowohl für eine kräftige Anhebung der Entgelte wie auch für eine neue Offensive zur Verkürzung der Arbeitszeit einzutreten. Dabei müssen wir uns auch aufs Entschiedenste gegen die Ideologie des errechenbaren „Verteilungsspielraums“ wenden, wie sie etwa in derselben Nummer von Sozialismus von Otto König und Richard Detje („Offensive für Beschäftigung“) verbreitet wird.

1    Die Untersuchung fand in 51 Ländern statt. Dort sind im Moment schon (also auch vor dem Auslaufen der Konjunkturprogramme) weitere 5 Mio. Arbeitsplätze gefährdet. Vgl. dazu auch die Pressemitteilung http://www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/aktuelles/wow2009.htm
2    Dies ist „eine in der Geschichte der Bundesrepublik einmalige Entwicklung, denn nie zuvor ging ein durchaus kräftiges Wirtschaftswachstum mit einer Senkung der realen Nettolöhne über mehrere Jahre einher.“ DIW-Wochenbericht 33/2009, S. 550. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist regierungsnah!
3    Laut WSI-Tarifarchiv haben sich beispielsweise in der Metallindustrie im Zeitraum 2000-2009 die Löhne nominell um 27,4 % erhöht (real sind auch sie gesunken), im ÖD aber nur um 17 % (in der Gesamtwirtschaft um 21,4 %).
4    Mit dem TVöD von 2005 wurde eine neue Niedriglohngruppe (E 1) mit 1 286 € West (1 247 € Ost) eingeführt, das sind rund 300 € weniger als die vorher niedrigste Gruppe.

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