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Betrieb & Gewerkschaft

Tarifrunden, Billiglöhne und 1 Euro Jobs: Eine gemeinsame Kampffront aufbauen!

Von D. Berger | 01.02.2006

Der Angriff auf die Löhne ist in den letzten Jahren deswegen so bedrohlich geworden, weil Kabinett und Kapital mit ganz unterschiedlichen Instrumenten am selben Strang ziehen, die Gewerkschaften und die soziale Bewegung dem aber noch keinen gemeinsamen Kampf entgegensetzen. Ein Meilenstein in der Strategie der Herrschenden war die Unterzeichnung des Tarifvertrags öffentlicher Dienst (TVöD), der im Oktober letzten Jahres in Kraft trat.

Unerwünschtes Dokument: Steinkühler (v.r.), daneben ein Kollege einer oppositionellen Liste mit Spruchtafel (siehe Kasten)

Unerwünschtes Dokument: Steinkühler (v.r.), daneben ein Kollege einer oppositionellen Liste mit Spruchtafel (siehe Kasten)

Der Angriff auf die Löhne ist in den letzten Jahren deswegen so bedrohlich geworden, weil Kabinett und Kapital mit ganz unterschiedlichen Instrumenten am selben Strang ziehen, die Gewerkschaften und die soziale Bewegung dem aber noch keinen gemeinsamen Kampf entgegensetzen.

Ein Meilenstein in der Strategie der Herrschenden war die Unterzeichnung des Tarifvertrags öffentlicher Dienst (TVöD), der im Oktober letzten Jahres in Kraft trat. Er förderte die Flexibilisierung, verlängerte im Westen die Arbeitszeit von 38,5 auf 39 Stunden, führte einen neuen Billigtarif ein (mit 1286 Euro mindestens 300 Euro unter der bisher niedrigsten Entgeltgruppe) usw. Am gravierendsten aber wirkt die Zerstückelung der tarifpolitischen Landschaft: Die Aufteilung in viele unterschiedliche Tarife, die sich von Land zu Land unterscheiden, unterschiedliche Laufzeiten haben und unterschiedliche Inhalte regeln, macht das gemeinsame Kämpfen schwer.
Wie verschieden die Kampfstärke ist, hat die Tarifverhandlung im Einzelhandel gezeigt. Der Berliner Abschluss, der als Pilotabschluss dienen soll, führt zu einem empfindlichen Reallohnverlust, und das in einem Bereich, in dem viele nur Billiglöhne erzielen.

Statt also die kampfschwachen Bereiche in einer breiten Front mitziehen zu können, gibt der ver.di-Vorstand der Zerstückelung der Tarifregelungen (so im öffentlichen Dienst) sogar noch seinen Segen. Die Rechnung wurde schon kurz danach präsentiert: Verschiedene kommunale „Arbeitgeber“verbände wollen jetzt die Arbeitszeit – unbezahlt – verlängern. Dem konzertierten Angriff der Herrschenden hat die ver.di-Führung nichts entgegenzusetzen.
Der Widerstandswillen existiert
Nicht nur die Hafenarbeiter haben gezeigt, dass mensch auch in neoliberalen Zeiten kämpfen und sogar gewinnen kann. Spannend wird es in den nächsten Wochen vor allem an zwei Fronten, die aber leider noch getrennt marschieren. An ihrer Verschränkung sollten wir arbeiten:
Zum einen geht der ver.di-Bezirk Stuttgart höchst wahrscheinlich Ende Januar in bestimmten Betrieben des öffentlichen Dienstes in die Urabstimmung und will damit als Pilotbezirk fungieren, um dem Sparkurs der Regierenden entgegenzutreten. Hier zeigt sich auch, dass nicht jeder Kampf von unten abgewürgt wird, bevor er überhaupt angefangen hat. Vergessen wir nicht: Die Entschlossenheit der Hafenarbeiter war das entscheidende Moment in ihrem Kampf gegen Port Package II, aber die Koordinierung, sogar international, ist über gewerkschaftliche Schienen gelaufen (in Deutschland über ver.di).
Zum anderen steht trotz des ganz klar erkennbaren Schmusekurses der IG Metall-Führung die jetzt anstehende Tarifrunde nicht in jedem Fall schon als Niederlage fest. Hinderlich für den Kampf sind zwar die gesunkene Glaubwürdigkeit der Gewerkschaft und die Tatsache, dass die Führung kein eigenes Offensivkonzept hat. Aber noch ist nicht absehbar, wie sich die KollegInnen engagieren werden.

Drei Momente machen diese Tarifauseinandersetzung in der Metallindustrie zurzeit noch zu einer offenen Angelegenheit: Erstens haben nicht wenige KollegInnen verfolgt, dass sich die Hafenarbeiter durchgesetzt haben. Mensch kann also was erreichen. Zweitens ist der angelaufene Tarifkampf um die Arbeitsplätze bei AEG Nürnberg nicht die übliche Routine. Ein positiver Ausgang, selbst wenn es nur ein Teilsieg wäre, könnte Ansporn sein. Drittens haben die KollegInnen jetzt jahrelang mitbekommen, dass auch Lohnzurückhaltung nicht zur Sicherung der Arbeitsplätze führt. Deutliche Bekundungen, dass mensch sich mit 1-2 % nicht zufrieden gibt, können jedenfalls den Manövrierspielraum der Gewerkschaftsbürokratie einengen.
Gegen Kompensationsgeschäfte
Den Widerstand der KollegInnen gegen faule Kompromisse und Kompensationsgeschäfte zu organisieren, ist eine ständige Aufgabe, ganz besonders aber im Vorfeld und während der Tarifrunden. Ein besonders gelungenes Beispiel einer guten Demonstration war die Aktion von Stuttgarter und Mannheimer Metallern bei der tarifpolitischen Konferenz der IG Metall am 20.10.05 in Mannheim. Das Bild zeigt einen Teil der mehr als 50 KollegInnen von Porsche (S), John Deere (MA) und DaimlerChrysler (Untertürkheim).
Das Interessante: Unter diesen DemonstrantInnen vom „Stuttgarter Daimler“ waren nur KollegInnen aus der Gruppe alternative. Dieses Bild nun wurde in der IGM Regional abgedruckt, aber da darauf der IGM-Kollege Clauss von der oppositionellen Liste alternative (neben Steinkühler, der rechts vorne zu sehen ist) erscheint, wurde diese Nummer beim Daimler nicht verteilt und somit ca. 15 000 Exemplare eingestampft! Und in der in der IGM-Frauenzeitschrift  „Lunte“ durfte das Bild dann gar nicht erst erscheinen. Diese Zensur hat so manche KollegInnen in den anderen Betrieben im Stuttgarter Raum, die davon erfuhren, überhaupt erst auf die Konflikte beim Daimler aufmerksam gemacht.
Kombilohn fördert Lohnsenkung
Offiziell werden die zurzeit diskutierten Vorschläge für einen Kombilohn mit der Schaffung von Arbeitsplätzen begründet. Doch ein staatlicher Lohnkostenzuschuss führt nur zur Kostensenkung beim Kapital, nicht zu erhöhter Produktion, denn es fehlt an kaufkräftiger Nachfrage. Seit Jahren bereits dehnt sich der Billiglohnsektor aus. Mindestens ein 25% der Beschäftigten (andere Berechnungen gehen von annähernd 30% aus) verdienen heute weniger als für das Existenzminimum erforderlich ist, nicht wenige davon sogar mit Tariflöhnen, die in Dutzenden von Tarifen weit unter 8 Euro liegen, viele sogar unter 6 Euro in der Stunde.1
Da aber eine flächendeckende Einführung von Kombilöhnen Zuzahlungen zu den Löhnen von Millionen Beschäftigter (und damit Milliarden neuer Ausgaben) führen würde, wird dies so nicht kommen. Die Regierenden werden sich also nach einer Eingrenzung umsehen und die dafür nötigen Mittel durch Kürzungen an anderer Stelle der Bundesagentur für Arbeit freimachen.

Die Funktion ist aber ganz klar: Zum einen soll das Kapital direkt entlastet werden. Zum anderen soll es die allgemeine Akzeptanz von Niedriglöhnen fördern, was schon allein durch die Diskussion über Kombilöhne angestrebt wird. Umso verheerender, dass auch aus den Reihen der Linkspartei eine Lanze für den Kombilohn gebrochen wird. Helmut Holter (PDS), Minister für Arbeit, Bau und Landesentwicklung im Meck-Pom, schreibt unter der Überschrift „Enttabuisieren“, man brauche eine unverkrampfte Diskussion über einen „öf
fentlich geförderten Beschäftigungssektor“. Er ist deswegen bereit, „über Lohnkostenzuschüsse zu reden“2
1‑Euro‑Jobs noch mehr
Noch schlimmer ist es bekanntlich mit den 1-€-Jobs, von denen es mittlerweile annähernd 300 000 in der Bundesrepublik gibt (im letzten Jahr sind bereits mehr als insgesamt 400 000 KollegInnen von dieser „Maßnahme“ erfasst worden). Eine Zwangsmaßnahme ist es deshalb, weil das extrem niedrige ALG II (345/331 €) diesen Menschen meist gar keine andere Wahl lässt, als sich für diese Lohndrückerfunktion einspannen zu lassen. Vollkommen verlogen sind die offiziell genannten Bedingungen für die Finanzierung von 1-€-Stellen. Inzwischen ist massenhaft belegt, dass tatsächlich der befürchtete Drehtüreffekt eingetreten ist und gerade nicht zusätzliche Stellen eingerichtet wurden. In den meisten Fällen wurden vorher Stellen abgebaut (von den Grünflächenämtern bis zur Arbeiterwohlfahrt) und werden jetzt aus Kostengründen mit 1-€-Jobbern besetzt.
Meist wird übersehen, dass mensch die Stellen mit der Lupe suchen muss, die alle Bedingungen für die Vergabe erfüllen: Die Stellen müssen gemeinnützig sein; es muss eine Eingliederungsprognose erstellt werden; es muss eine Qualifizierung erfolgen; die Tätigkeit muss ein zusätzliches Aufgabenspektrum des Trägers abdecken; die Tätigkeit muss für die betroffenen Person zumutbar und für seine Eingliederung erforderlich sein usw.3
Gemeinsam handeln
Die Antwort der Gewerkschaften und der sozialen Bewegungen kann nur in einem Dreiklang bestehen: Gemeinsam kämpfen:

  • Für eine offensive Tarifpolitik und gegen Niedriglöhne, Kombilöhne und 1-Euro-Jobs
  • Für einen Mindestlohn von 10 Euro in der Stunde
  • Für ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1500 Euro


Ein armutsfestes Grundeinkommen für alle Menschen (nicht nur für deutsche Staatsbürger!) muss nach der Vorstellung des Netzwerks Grundeinkommen vier Mindestbedingungen erfüllen: Es muss existenzsichernd sein im Sinn einer gesellschaftlichen Teilhabe; es muss ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt werden; es muss einen individuellen Rechtsanspruch geben (und nicht nur über den Familienvorstand) und es darf nicht mit Zwangsarbeit verbunden werden.
Wenn es der sozialen Bewegung gelingt, den Kampf für diese Ziele – gegen Lohndrückerei der verschiedensten Formen und für ein bedingungsloses Grundeinkommen – mit dem Kampf gegen Entlassungen zu verbinden, dann wäre das „schon die halbe Miete“.

1 Vgl. dazu www.boeckler.de/fix/niedriglohn sowie das Tarifarchiv des WSI: www.tarifvertrag.de
2 https://jungle-world.com/seiten/2006/02/6973.php
3 eine gute Übersicht bietet das „Info ‚ein-Euro-Jobs’ Nr. 1/2005“ von ver.di; politik-und-planung@verdi.de 

 

  • Pinkelpause muss bleiben, oder sollen wir in Zukunft Windeln bei der Arbeit tragen?
  • Wir wollen alle mit der „baden-württembergischen Krankheit“ anstecken.
  • Fällt die Pause in Baden-Württemberg, fallen 8000 Arbeitsplätze hinterher.
  • Wir sind das Rückgrat der IGM – die Akkordarbeiter-Innen;
  • Knochenarbeit im Akkord ist ohne längere Pausen Mord!
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