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Betrieb & Gewerkschaft

Tarifrunde Metall: Auch eine Richtungsentscheidung

Von Konrad Reich, Daniel Berger | 01.03.2006

Vorbereitung und Durchführung von Tarifrunden sind die mit Abstand wichtig­st­en Gelegenheiten für die Durchsetzung von Interessen der ArbeiterInnenklasse, jedenfalls außerhalb vorrevolutionärer oder revolutionärer Zeiten. Gerade dieses Jahr geht es bei der IG Metall um mehr als „nur” um die Frage, ob Teile des Reallohnverlustes der letzten Jahre wettgemacht werden.

Vorbereitung und Durchführung von Tarifrunden sind die mit Abstand wichtig­st­en Gelegenheiten für die Durchsetzung von Interessen der ArbeiterInnenklasse, jedenfalls außerhalb vorrevolutionärer oder revolutionärer Zeiten. Gerade dieses Jahr geht es bei der IG Metall um mehr als „nur” um die Frage, ob Teile des Reallohnverlustes der letzten Jahre wettgemacht werden.

Noch krasser als in den vergangenen Jahren hat der Vorstand den Tarifkommissionen faktisch keinen Spielraum oder gar Freiheit, bei der Diskussion über die aufzustellende Forderung gelassen. Allenfalls kann mensch sagen, dass die teilweise deutlich höheren Forderungen aus einer Reihe von Betrieben, vor allem aus den kampfstarken Bereichen, den Vorstand bewogen haben, seine ursprünglich vorgesehene Forderung von 4,5% auf 5% anzuheben.
Unangenehm für die im Apparat vorherrschende Konfliktvermeidungsstrategie ist aber, dass die Metallkapitalisten durch die Kündigung von zwei weiteren Tarifverträgen zusätzlichen politischen Druck aufgebaut haben: Die vermögenswirksamen Leistungen sind seit über einem Jahr nur in der Nachwirkung (und werden den neu Eingestellten nicht gezahlt) und die erst im Zusammenhang mit dem ERA-Tarif vereinbarte Fortgeltung des Lohnrahmens II in Nordwürttemberg-Nordbaden (einem Teil des Bezirks Stuttgart) ist zum erst möglichen Termin gekündigt worden (die Friedenspflicht endet für diesen Tarifvertrag am 28. Februar, für Lohn und Gehalt am 28. März)
Was steht auf dem Spiel?
In den beiden einzigen Verhandlungen, die bis Ende Februar stattgefunden haben (für die Bezirke Frankfurt und Stuttgart) hat Gesamtmetall gerade mal 1,2 % geboten. Schon hier wird sich erweisen müssen, ob es der Gewerkschaft gelingt, wenigstens einen Teil des verlorenen gegangenen Terrains an Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Dies ist nur zu schaffen, wenn nicht wieder – ohne Not – weit unterhalb der aufgestellten Forderung abgeschlossen wird und die KollegInnen wenigstens einen Teil der Reallohnverluste der letzten Jahre gutmachen können.
Zweitens kann für die Gewerkschaft die Frage des Lohnrahmens II nicht verhandelbar sein. Die dort festgelegten 8 Minuten Pausen für taktgebundene Arbeit waren 1972 ein Meilenstein in der Konkretisierung des allgemeinen Vorhabens zur Humanisierung der Arbeit. Er ist zwar in dieser Form nur im Bezirk Stuttgart eingeführt worden, aber in anderen Bereichen (vor allem in der Automobilindustrie) sind doch eine ganze Reihe von betrieblichen Regelungen dieser Linie gefolgt.
Selbst dort, wo die Regelung der 3 Minuten persönliche Verteilzeit und 5 Minuten kollektive Erholzeit in der ursprünglichen Form nicht mehr realisiert wird, ist doch zumindest die Bezahlung an diese Vorgaben gekoppelt worden. Das heißt, der Betriebsrat hat darüber ein faktisches (wenn auch begrenztes) Mitbestimmungsrecht bei der Ermittlung der „Normalleistung”, und – wenn er konsequent ist – vermittelt darüber bei der Personalbemessung. Ein Wegfallen dieser Pausen würde durch die Arbeitszeitverlängerung ca. 10 000 Arbeitsplätze kosten.
Da in vielen Bereichen der Zeitdruck und die Arbeitsintensität zunehmen – vor allem dort, wo Just-in-Time produziert wird, oder wo Ingenieure Termine gesetzt bekommen –, müsste diese Regelung ausgedehnt werden. Diesen Standpunkt vertreten heute nicht nur die ca. 80 000 unmittelbar Betroffenen. Im Stuttgarter Raum haben sehr viele nicht im Akkord arbeitende KollegInnen (bei Bosch Feuerbach, Porsche usw.) an der entsprechenden Unterschriftensammlung teilgenommen. Die Idee dieses Tarifvertrages und seine Ausdehnung ist heute wichtiger denn je!
Drittens darf es keine Tauschgeschäfte geben. Noch nie zuvor gab es so viele betriebliche Resolutionen, die sich gegen Verrechnungen oder irgendeinen Kuhhandel gewandt haben.
Viertens wird es darum gehen, die KollegInnen im Öffentlichen Dienst in ihrem Kampf gegen Arbeitszeitverlängerung zu unterstützen und im eigenen Umfeld klar zu machen: Der Kampf dieser KollegInnen ist auch unser Kampf.
Start 1. März
In Sachen Lohnrahmen II wird die erste Warnstreikwelle am 1. März beginnen. Hier laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren und es ist im Ringen um die zukünftige Linie in der IG Metall alles andere als bedeutungslos, dass zum Auftakt der „heißen Phase”, bei der großen Funktionärskonferenz am 2. März in Böblingen bei Stuttgart Franz Steinkühler sprechen wird. Steinkühler war 1972 Bezirksleiter in Stuttgart und später 1. Vorsitzender, hatte sich aber mit einem Aktieninsidergeschäft politisch selbst raus katapultiert. Bei seinen in den letzten 2 Jahren wieder häufiger gewordenen Auftritten wurde aber deutlich, dass er im Gegensatz zur heutigen Metall-Führung ein hoch politischer Kopf ist, der wenigstens das Ausmaß der Herausforderung klar benennt.
Dass er z. B. zur Kundgebung der IG Metall bei AEG Nürnberg (22. Februar) geladen wurde, ist Teil dieses Ringens unterschiedlicher Kräfte um die Neubestimmung der politischen Linie in der IG Metall. Beides, der Kampf bei AEG wie auch die Tarifrunde sind im Zusammenhang mit dem innerorganisatorischen Auseinandersetzungen zwei Konflikte, die richtungsweisend sind für die IG Metall-Politik der nächsten Jahre. Es geht dabei auch um die Führung der IG Metall ab 2007. Für so manche, die gerade eine Abkehr vom Konfliktvermeidungskurs favorisieren, ist es alles andere als ausgemacht, dass der nächste Vorsitzende Huber (ein ausgesprochener „Modernisierer”) heißen soll. 

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