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Betrieb & Gewerkschaft

Tarifrunde Einzelhandel: Es geht nicht nur um Prozente

Von Clarissa Lang | 01.10.2007

Seit Jahren schon ist der Abwehrkampf gegen die Unverschämtheiten der so genannten Arbeitgeber im Einzelhandel ein hartes Geschäft. Nach mehreren realen Minusrunden drohen im aktuellen Tarifkampf gravierende Verschlechterungen mit Folgen über den Einzelhandel hinaus.

Seit Jahren schon ist der Abwehrkampf gegen die Unverschämtheiten der so genannten Arbeitgeber im Einzelhandel ein hartes Geschäft. Nach mehreren realen Minusrunden drohen im aktuellen Tarifkampf gravierende Verschlechterungen mit Folgen über den Einzelhandel hinaus.

An der Erkenntnis, was die Zumutungen der Gegenseite bedeuten, liegt es gewiss nicht, wenn in den vergangenen Jahren nicht mehr Kampfkraft entwickelt wurde. Es sind vielmehr die ungünstige Betriebsstrukturen und vor allem die Beschäftigtenstruktur, die sehr stark von Teilzeitkräften, Aushilfskräften. Arbeit auf Abruf usw. geprägt ist. Dieses Jahr ist aber die Bereitschaft sich einzubringen erkennbar gewachsen, weil offensichtlich geworden ist, dass diese Runde eine besondere Qualität hat (Arbeitszeiten, Zuschläge usw.)

Deswegen haben die ersten Streiks, – jeweils einen ganzen Tag lang –, bei den größeren Warenhäusern Kaufhof, H & M, Real eine deutlich bessere Beteiligung gebracht. Das führte dazu, dass im September endlich mal ein Angebot vorgelegt wurde, aber auch das ist eine reine Provokation: Nach vier Nullmonaten soll es in diesem Jahr 1,7% und im nächsten Jahr 1,5% geben. Laufzeit 28 Monate. Der eigentliche Hammer: Man will eine innovative Tarifpolitik, die vor allem darauf zielt, die Arbeitszeiten zu flexibilisieren und in diesem Aufwasch alle Zuschläge abzuschaffen.
“Gesellschaftliche Normalität”
Die Argumentation der anderen Seite: Die Zuschläge sind nicht mehr “zeitgemäß”. Begründet wird dies mit der Abschaffung des bundeseinheitlichen Ladenschlussgesetzes und der Übertragung dieser Kompetenz auf die Länder. (Wir erinnern uns: Bei der Verabschiedung von Ländergesetzen ging das “rot-rote” Berlin mit Windeseile allen anderen voran und hat so weit liberalisiert, wie kein anderes Bundesland: Öffnungszeiten von Montag bis Samstag rund um die Uhr, zusätzlich an 10 Sonntagen usw.) Was wir schon immer gesagt haben: Sind erst mal die Gesetze geändert und hat der Einzelhandel den Vorreiter gemacht, dann werden andere Bereiche (Industrie, Handwerk usw.) mit Verweis auf die neue “gesellschaftliche Realität” ebenfalls die Betriebsnutzungszeiten ausdehnen, Zuschläge abschaffen usw.
Flächentarifvertrag in Gefahr
Wenn es um die Unterbietung des Flächentarifvertrages geht – oder besser noch: um seine Abschaffung – dann sind sich die Herren des Kapitals ganz einig, dass dies “innovativ” ist, zeitgemäß usw. Kämpft ein Teil der Belegschaft (wie die Lokführer) für einen besseren Tarifvertrag als den von einer anderen Gewerkschaft ausgehandelten, dann muss der Flächentarifvertrag verteidigt werden. Seit längerem schon droht das Kapital im Einzelhandel mit der Auflösung des Flächentarifvertrags, in der letzten Zeit schon allein dadurch, dass kein neuer Vertrag abgeschlossen wird, das Einkommen der KollegInnen also nicht einmal ansatzweise oder nominal mit dem Anstieg der Lebenshaltungskosten mithält.

Real hat jetzt eine neue Variante angekündigt. Dort wird gerade die dritte Gesellschaft gegründet. Sie soll außerhalb des “Arbeitgeber”verbandes stehen und dort soll es überhaupt keinen Tarifvertrag geben. Mensch kann sich nur unschwer ausmalen, welche Arbeitsverträge (Mini-, Midi-Jobs usw.) das zum großen Teil sein werden. Verdienen sollen die Beschäftigten dort zwischen 8,50 und 9,50 € und die Arbeitszeit soll 41 Stunden betragen (zurzeit sind es in der Fläche 37,5 h). Führungskräften in diesen Kaufhäusern werden 1550 € im Monat geboten. Richtig toll!

Bei Verdi ist mensch sich einigermaßen sicher, dass dieses Mal mehr Bewegung in die Runde kommen wird. Der Bezirk NRW wird wohl eine gewisse Leitfunktion einnehmen, ohne allerdings einen Pilotabschluss machen zu können, wie das in der Metallindustrie üblich ist. Schlusslicht in der Entwicklung von Kampfkraft ist heute Berlin, was eindeutig der Linkspartei anzulasten ist. Durch ihre Beteiligung an der Verschlechterung der gesetzlichen Ausgangsbedingungen sind viele gewerkschaftliche AktivistInnen (bzw. solche, die es bis zur Änderung des Ladenschlussgesetzes noch waren) vollkommen von der Rolle und desorientiert.

Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels laufen diverse Urabstimmungen. Ab Oktober soll es zu Streiks kommen, die länger als einen Tag dauern (nicht nur in NRW). Aufgabe aller gewerkschaftlichen AktivistInnen aus anderen Bereichen ist, wo immer das möglich ist, zu helfen und vor allem die Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen. Bis jetzt ist das Verständnis der KundInnen jedenfalls sehr gut. Auch in einer anderen Frage ist Unterstützung vorhanden: Die Kolleginnen kämpfen zusätzlich um einen Sicherheitstarifvertrag, der es ihnen nicht mehr zumutet, als Einzelperson eine Filiale (Schlecker und dergleichen) zu führen, besonders zu besucherInnen armen Zeiten. Zu oft wurden sie Opfer von Überfällen. Auch hier ist Solidarität gefragt.

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