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Tarifeinheitsgesetz und Tarifabschluss Bahn

Von Christiaan Boissevain | 14.09.2015

Am 22. Mai 2015 wurde das für die deutsche Gewerkschaftsbewegung einschneidende „Tarifeinheitsgesetz“ im Bundestag verabschiedet, trotz mannigfaltiger politischer und juristischer Ablehnung. Rechtskräftig wurde es am 17. Juli 2015.

Cockpit und Marburger Bund haben nicht nur Klage beim Bundesverfassungsgericht (BVG) erhoben, sondern gleichzeitig eine Anordnung beantragt, wegen des Eingriffs in das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit das Gesetz nicht zur Anwendung kommen zu lassen. Sogar der „Wissenschaftliche Dienst des Bundestages“ hatte beklagt, dass das Gesetz tendenziell nicht verfassungskonform sei.

Schlichtungsverhandlungen zwischen Bahn und GDL!

In etwa zur gleichen Zeit (dritte Maiwoche) trat die Bahn mit der GDL in Schlichtungsverhandlungen ein. Die GDL hatte ihre massiven (9) Streiks in den vergangenen knapp 1½ Jahren u. a. damit begründet, dass sie damit auch ihr verfassungsmäßiges Grundrecht auf Koalitionsfreiheit (und damit das Recht, streiken zu können) mit der Parole „Grundrechte sind nicht verhandelbar“ unterstrichen hat.

Als Ergebnis der Schlichtungsverhandlungen wurde der GDL per Tarifvertrag u. a. zumindest bis 2020 zugesichert, dass das neue Tarifeinheitsgesetz auf die Bahn nicht angewendet wird. Dies ist ein großer Erfolg für die GDL und die beste Bestätigung für ihren Kurs, mit beherzten Streiks einen so grundlegenden Angriff auf ihre Rechte abzuwehren. Darüber hinaus wurde der GDL das Recht zugestanden, auch andere Berufsgruppen als die der Lokführer­Innen im Bahn-Konzern tarifrechtlich vertreten zu können.

Dieser Erfolg straft jene DGB-Gewerkschaften, die dem Tarifeinheitsgesetz zugestimmt hatten, Lügen. Sie hatten gegen die streikenden GDL-Kolleg­Innen gehetzt und einen Kotau vor Regierung und Kapital gemacht. Aber auch den drei DGB-Gewerkschaften (ver.di, NGG und GEW), die zwar das Tarifeinheitsgesetz abgelehnt hatten, aber nicht bereit waren, zu Aktionen gegen das Gesetz aufzurufen, muss der alte Spruch in Erinnerung gerufen werden „Wer kämpft kann verlieren – wer nicht kämpft, hat schon verloren.“

Ein größerer Wermutstropfen der Schlichtung Bahn – GDL ist es, dass die GDL akzeptierte, dass in Zukunft jeweils vor einem Streik eine Schlichtungsrunde vorgeschaltet werden soll, um einen Streik noch abwenden zu können.

Gemischte Bilanz

Wir haben es also mit einer gemischten Bilanz im Kampf gegen das Tarifeinheitsgesetz bzw. gegen den Angriff auf das Koalitionsrecht zu tun. Erstens: Der Widerstand war nicht stark genug, um die Verabschiedung des Gesetzes zu verhindern, aber (durch die Streiks der GDL) stark genug, um das gerade verabschiedete Gesetz für die GDL für 5 Jahre nicht verbindlich zu machen. Damit ist gerade die Gewerkschaft, die eine der Zielscheiben für die ursprüngliche Initiative von DGB und BDA für ein Tarifeinheitsgesetz war, von der Anwendung des nun verabschiedeten Gesetzes ausgenommen, also die Kraft, die ganz vorne auf der Liste von Regierung und Kapital der „kleinzukriegenden“ Spartengewerkschaften gestanden war.

Zweitens: Der Streit im DGB um das Tarifeinheitsgesetz hat zu einer tiefen Spaltung im DGB geführt. Zwar muss davon ausgegangen werden, dass der generelle Kurs aller DGB-Gewerkschaften – nämlich Standortpolitik zu betreiben – nicht infrage gestellt wird. Aber als DGB-Gewerkschaften dazu beizutragen, ein Grundrecht (Koalitions- und Streikrecht) zu schleifen, zeigt, wie weit ein Großteil der bundesrepublikanischen Gewerkschaftsbewegung im Rahmen des „Standort-Deutschland-Denkens“ zu gehen bereit ist.

Selbst wenn das Gesetz vom BVG noch gekippt werden sollte, muss es allen aufrechten Gewerkschaftsaktivist­Innen eine Warnung sein, dass von den meisten Gewerkschaftsvorständen im DGB eine Änderung der Anpassungspolitik der letzten 20 Jahre hin zu einer „widerständigeren“, kämpferischen Tarif- und Gewerkschaftspolitik nicht zu erwarten ist.

Das ist eine historische Niederlage der deutschen Gewerkschaftsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg, die vielen Gewerkschaftsmitgliedern noch nicht bewusst ist.

Rechtsfragen sind Machtfragen

Dies gibt Anlass, verstärkt die Aufgabe anzugehen, endlich in den DGB-Gewerkschaften eine sichtbare Alternative zu dieser Anpassungspolitik zu organisieren und die bestehenden Kräfte der gewerkschaftlichen Linken zu stärken. Der Kampf gegen das Tarifeinheitsgesetz ist noch längst nicht zu Ende!

Der Ausgang der Klage gegen das Gesetz beim BVG hängt nicht zuletzt davon ab, ob es „außerhalb“ des Gerichtsverfahrens (in der öffentlichen Meinungsbildung) eine Bewegung gibt, die sich zum Ziel setzt, das Verfahren gegen das Tarifeinheitsgesetz zu unterstützen. Bekanntlich macht es etwas aus, ob bei Arbeitsgerichtsverfahren wenig Zuschauer oder viele da sind, bzw. ob „Öffentlichkeit“ geschaffen wird oder nicht. Übertragen auf das Verfahren zum Tarifeinheitsgesetz vor dem BVG heißt dies, dass eine Öffentlichkeit gegen das Gesetz und für seine Abschaffung aufgebaut werden muss!

Die „erste Runde“ gegen das Tarifeinheitsgesetz wurde zwar verloren, aber die zweite Runde steht noch vor uns. In welchen Zeitrahmen wir unsere Aktivitäten stellen müssen, ist noch zu klären. Klar ist aber, dass wir nicht mehr sehr lange warten dürfen, um Aktivitäten zu planen.

Passiert nichts, folgt daraus, dass das BVG nicht unter dem Druck einer demokratischen Öffentlichkeit in Sache Streikrecht steht, und eher dazu neigen könnte, dem Gesetz teilweise – oder ganz – seinen Segen zu geben!

Und – wie das Amen in der Kirche – würde der nächste Angriff auf das Koalitions- und Streikrecht auf dem Fuße folgen! Formuliert ist er schon, nämlich der CSU-Entwurf „Regulierung des Streikrechtes in der öffentlichen Daseinsvorsorge“.

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