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Betrieb & Gewerkschaft

Tarifeinheit contra gewerkschaftliche Aktionsfreiheit

Von Jakob Schäfer | 01.04.2011

Die gemeinsame Initiative der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des DGB zur „Tarifeinheit“ hat ein doppeltes Ziel: Zum einen sollen in dieser abscheulichen Allianz Macht und Einfluss der Führungen der DGB-Gewerkschaften abgesichert werden. Zum anderen sollen Streikrecht und Streikhäufigkeit eingeschränkt werden.

Die gemeinsame Initiative der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des DGB zur „Tarifeinheit“ hat ein doppeltes Ziel: Zum einen sollen in dieser abscheulichen Allianz Macht und Einfluss der Führungen der DGB-Gewerkschaften abgesichert werden. Zum anderen sollen Streikrecht und Streikhäufigkeit eingeschränkt werden.

Bürokratisch geführte Organisationen sind auch dann Gewerkschaften, wenn sie mindestens einem entscheidenden Kriterium gerecht werden: die Kolleg­­Innen gegenüber den sogenannten „Arbeitgebern“ zusammenzufassen und ihre Vereinzelung wenigstens ansatzweise aufzuheben, um gemeinsam Entgelte und wesentliche Arbeitsbedingungen kollektivrechtlich zu regeln. Die DGB-Gewerkschaften – im Wesentlichen ihre Führungen, aber nicht nur – sind in den letzten 20 Jahren deutlich nach rechts gewandert und haben sich der neoliberalen Denkweise und Politik angepasst. Standortdenken und Konfliktvermeidung sind heute die beherrschenden Leitlinien.
Diese Entwicklung verläuft nicht in allen Bereichen gradlinig. Es gibt sehr wohl Sektoren, die bisher gewerkschaftlich kaum erfasst waren und wo es noch wenig Erfahrung mit Kämpfen oder auch mit dem bürokratischen Verwalten von Tarifauseinandersetzungen und Mitgliederwillen gibt. Dort gelingt es immer wieder, gewerkschaftliche Organisierungsarbeit zu betreiben (bestimmte Bereiche des Einzelhandels, im Baugewerbe usw.). Damit bestätigen die Gewerkschaften sich grundsätzlich als Arbeiter­­Innenorganisation, im Gegensatz beispielsweise zur SPD, die trotz ihrer langen Geschichte und ihrer guten Beziehungen zu großen Teilen der Gewerkschaftsbürokratie gerade keine Arbeiter­­Innenorganisation ist, weder strukturell, noch soziologisch noch politisch-programmatisch.
Die letzten Jahre haben aber ganz gewaltig an der politischen Glaubwürdigkeit des DGB gezehrt. Vor allem die mangelnde Kampfbereitschaft und die dadurch bedingte fehlende Durchsetzungsfähigkeit lassen ihr gesamtgesellschaftliches Gewicht wie auch die Mitgliederzahlen weiter schrumpfen (heute sind es noch knapp 6,2 Mio. 1992 waren es 12 Mio.).

Aufgrund des Konfliktvermeidungskurses haben heute Berufs- und Spartengewerkschaften, aber auch politisch orientierte Gewerkschaften ganz andere Entwicklungsmöglichkeiten. Das Modell der Einheitsgewerkschaften, die alle unter dem Dach des DGB zusammengeschlossen sind, verliert damit tendenziell an Bedeutung.

Politisch nicht festgelegte, „offene“ Einheitsgewerkschaften sind natürlich auch die DGB-Gewerkschaften nicht, denn ihre Führungen sind klar auf die neoliberal ausgerichtete SPD orientiert und haben die allgemeine Rechtsentwicklung einfach nur nachvollzogen. Das ist auch durch das Aufkommen der Partei Die Linke nicht grundsätzlich anders geworden, und zwar aus zwei Gründen. ­Erstens ist die Die Linke politisch programmatisch zwar keine neoliberale aber doch eine „klassisch“ sozialdemokratische, reformistische Partei, die sich nicht im politischen Gegensatz zur SPD sieht (schließlich will sie mit der SPD die Regierung bilden). Zweitens greift Die Linke nie und nimmer die Gewerkschaftsführungen an, egal, was diese verbricht, welche verheerenden Tarifabschlüsse sie tätigt, welche Kämpfe sie sabotiert usw. Aufgrund der strategischen Ausrichtung auf einen Politikwechsel und auf den Bündnispartner Gewerkschaftsführung werden wir von ihr keine kritischen Töne zur Gewerkschaftspolitik hören.

Aufgrund der Rechtsentwicklung stecken die Gewerkschaftsführungen heute in einem wirklichen Dilemma: Auf der einen Seite gehen sie jedem größeren Kampf aus dem Weg und wollen ohne Risiko ihre Pfründe sichern. Auf der anderen Seite führt gerade dies zu einer anhaltenden Untergrabung ihrer Glaubwürdigkeit, was langfristig auch die Mitgliederzahlen nach unten treibt (und damit die Beiträge, also die Basis ihrer materiellen Privilegien). Dem wollen sie seit letztem Jahr sogar im Verbund mit den Vertretern des Kapitals begegnen.
Rolle der BDA-DGB-Initiative
Nach der seit Anfang 2010 absehbaren Revision der Rechtsprechung durch das Bundesarbeitsgericht und der Bestätigung der Tarifpluralität starteten BDA und DGB eine gemeinsame Initiative für einen Gesetzesvorschlag zur Einführung der „Tarifeinheit“. Mit ihrer Hilfe soll es konkurrierenden Gewerkschaften weitestgehend unmöglich gemacht werden, Tarifverträge abzuschließen (s. Kasten). Wenn also die DGB-Gewerkschaften ein faktisches Monopol durchsetzen können, werden sie zum einen nicht durch konkurrierende, bessere Tarifverträge unter Druck gesetzt, und zum anderen schließen sich Kolleg­­Innen gar nicht erst einer anderen Gewerkschaft an.

Die Gewerkschaftsbürokratie ist seit einigen Jahren schon unter einen erhöhten Rechtfertigungsdruck für ihre zurückhaltende Tarifpolitik geraten und möchte deswegen das Aufkommen von Alternativen zu ihrer eigenen Organisation behindern. Dies fällt ihr aber zunehmend schwer, wie die aktuelle Auseinandersetzung bei den Lokführern und die Tarifauseinandersetzung bei den Münchner Verkehrsbetrieben im letzten Herbst zeigen.

Die BDA-DGB-Initiative ist inzwischen von einer ganzen Reihe gewerkschaftlicher Gremien kritisiert worden.1 Im Labournet finden sich auch diverse Rechtsgutachten. Das politisch und juristisch fundierteste ist das von Wolfgang Däubler, der als langjähriger Arbeitsrechtlicher in Gewerkschaftskreisen höchstes Ansehen hat2. Er macht deutlich, dass die BDA-DGB-Initiative darauf abzielt, drei verschiedene Arten von „Konkurrenzgewerkschaften“ zu behindern: berufsgruppenbezogene Gewerkschaften, religiös oder politisch ausgerichtete Gewerkschaften oder auch die Neugründung von allgemeinen Gewerkschaften. Auch diese können – ohne faktische Gewerkschafts­anerkennung, weil sie gar kein Streikrecht haben – nur schwerlich zu einer Mehrheitsgewerkschaft werden. Däubler verweist auch auf den Widerspruch zwischen diesem Gesetzesvorhaben und der Koalitionsfreiheit (Artikel 9 Grundgesetz) sowie auf die Unvereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Aber all das sollte uns nicht zur Annahme verleiten, dass Regierung, Kapital und DGB-Führung deswegen auf ihr Vorhaben verzichten werden. Auch die von Däubler klar herausgearbeiteten Umsetzungsprobleme werden sie nicht abhalten (Überschneidungen in einem Teilbereich eines Betriebes oder das Schrumpfen des Anwendungsbereichs der Flächentarifverträge der DGB-Gewerkschaften; an dieser Erosion sind sie ja fast täglich selbst beteiligt). Däublers Fazit an einer Stelle seines Gutachtens: „…weil Streiks unerwünscht sind, werden sie verboten, soweit sie von Minderheitsgewerkschaften ausgehen.“
Widerstand
Die betroffenen Organisationen wollen sich wehren, zumindest juristisch. Das Rechtsg
utachten von Däubler war von der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF), der GdL, dem Marburger Bund, der Unabhängigen Flugbegleiterorganisation (UFO), dem Verband angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie (VAA) und der Vereinigung Cockpit e. V. in Auftrag gegeben worden. Daneben ist auf der politischen Ebene vor allem die Freie Arbeiter Union (FAU) betroffen, der ja schon im Fall der Auseinandersetzung um einen Tarifvertrag mit dem Berliner Kinobetreiber Babylon die Gewerkschaftseigenschaft abgesprochen worden war3.
Am 12. März des Jahres hat sich nun in Kassel ausgehend von einem Vorschlag des Arbeitsausschusses der Gewerkschaftslinken eine Initiative gegründet, die die Aktivitäten zur Verhinderung des BDA-DGB-Vorhabens koordinieren und bündeln will.4 Auftakt einer breiten Kampagne soll eine große Konferenz im Herbst (wahrscheinlich am 10. September) bilden. Dort soll nach einem Grundsatzreferat gemeinsam beraten werden, wie wir in und außerhalb des DGB Druck machen können. Die Regierung hat zurzeit vier Ministerien damit beauftragt, eine entsprechende Gesetzesvorlage zu erarbeiten. Am 5. April wird sich voraussichtlich der Koalitionsausschuss damit beschäftigen.
Bei diesem Gesetz geht es weit über den aktuellen Anlass hinaus um sehr grundsätzliche Fragen des gewerkschaftlichen Selbstverständnisses und der Perspektiven gewerkschaftlicher Auseinandersetzungen. Deshalb wird es wichtig sein, in der nächsten Zeit in weiteren gewerkschaftlichen Gremien entsprechende Stellungnahmen zu verabschieden und die Vorstände mit Resolutionen und Protestschreiben zu bombardieren und mit der Initiative Kontakt aufnehmen, damit Aktivitäten koordiniert werden können.

Eine ausführlicher Bewertung der BDA-DGB-Initiative haben wir in Avanti 180 vom Oktober 2010 gebracht. Siehe auch http://is.gd/gaMbyP sowie die Bewertung zum Tarifkampf bei den Münchner Verkehrsbetrieben vom Januar 2011 http://is.gd/I979eZ

1    Eine Sammlung von Resolutionen findet sich unter: http://is.gd/KaqaxK
2    http://is.gd/xzq4M6
3    http://is.gd/vI5cym
4    Streikrecht für alle – Initiative von Basisgewerkschaftern macht bundesweit gegen Vorstoß von DGB und BDA für ein »Tarifeinheitsgesetz« mobil. JungeWelt 15.3.2011

 

Auszug aus dem Gesetzentwurf von DGB und BDA
„(1) Überschneiden sich im Betrieb eines Unternehmens die Geltungsbereiche der Rechtsnormen von Tarifverträgen, die auf Gewerkschaftsseite durch unterschiedliche Tarifvertragsparteien geschlossen worden sind (konkurrierende Tarifverträge), ist nur derjenige Tarifvertrag anwendbar, der dort die größere Arbeitnehmerzahl im Sinne von § 3 Absatz 1, Absatz 3, § 4 Absatz 1 Satz 1 erfasst.

(2) Die Friedenspflicht aus dem nach Absatz 1 anwendbaren Tarifvertrag erstreckt sich auch auf konkurrierende Tarifverträge.“

 

Presseerklärung Initiative „Hände weg vom Streikrecht“ in Kassel gegründet
Am 12.3.2011 hat sich in Kassel die Initiative „Hände weg vom Streikrecht – für volle gewerkschaftliche Aktionsfreiheit“ gegründet.
[….] Die Teilnehmer­­Innen des Treffens in Kassel setzten sich aus Mitgliedern verschiedener DGB-Gewerkschaften, dem Komitee für gewerkschaftliche Freiheit sowie der GDL und FAU zusammen und waren aus insgesamt 10 Städten angereist. Sie stellten klar, dass der DGB zusammen mit der BDA eine Beschneidung des Streikrechts, des Arbeitskampfrechts und des Koalitionsrechts betreibt, die nicht zu akzeptieren ist. Die Initiative von DGB/BDA richte sich weniger gegen die unternehmerabhängige AUB oder so genannte Christliche Gewerkschaften, die bisher keinerlei Arbeitskämpfe geführt haben, sondern konkret gegen die Spartengewerkschaften GDL, Marburger Bund, UFO und Vereinigung Cockpit sowie andere, insbesondere kämpferische Gewerkschaften. Innerhalb des DGB, wie zum Beispiel bei ver.di und der EVG, regt sich bereits erheblicher Widerstand gegen dieses Vorhaben. Auch zahlreiche Arbeitsrechtler­­Innen sprachen sich frühzeitig gegen den Angriff auf Koalitions- und Streikrecht aus. Bisher ist es dennoch nicht gelungen, den DGB von seinem verheerenden Kurs abzubringen. Um diesen Widerstand zu stärken, plant die Initiative im September 2011 eine bundesweite Tagung. Bereits im Vorfeld soll in verschiedenen Städten, so zum Beispiel bei der zentralen 1. Mai Kundgebung des DGB in Kassel, in das Geschehen eingegriffen werden.
Kontakt: peter.gerstmann@gmx.de

 

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