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Betrieb & Gewerkschaft

Tarifabschluss 2008 in der chemischen Industrie

Von Ulrich Dehmel | 01.06.2008

Am 15 April 2008 wurde in Lahnstein die Tarifrunde 2008 in der chemischen Industrie beendet. Ohne Konflikt und ohne Mobilisierungen wurde ein Ergebnis erzielt, dass bei vielen Belegschaften auf Zustimmung stieß. Auch diesmal gelang es dem Hauptvorstand (HV) der Industrie Gewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IG BCE) mit strikter Regie und dem Verweis auf die wirtschaftlich schwächeren Betriebe seine Tarifempfehlung durchzusetzen. Nur aus wenigen Bezirken (z. B. Mannheim, Ludwigshafen) kamen höhere, vom HV abweichende Forderungen.

Am 15 April 2008 wurde in Lahnstein die Tarifrunde 2008 in der chemischen Industrie beendet. Ohne Konflikt und ohne Mobilisierungen wurde ein Ergebnis erzielt, dass bei vielen Belegschaften auf Zustimmung stieß.

Auch diesmal gelang es dem Hauptvorstand (HV) der Industrie Gewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IG BCE) mit strikter Regie und dem Verweis auf die wirtschaftlich schwächeren Betriebe seine Tarifempfehlung durchzusetzen. Nur aus wenigen Bezirken (z. B. Mannheim, Ludwigshafen) kamen höhere, vom HV abweichende Forderungen.

Das Ergebnis

Wieder einmal wurde ein umfangreiches Tarifpaket abgeschlossen. Neben  der eigentlichen Entgelterhöhung enthält es zwei weitere Tarifverträge:  „Zukunft durch Ausbildung“ und „Lebensarbeitszeit und Demografie“.

Die Gesamtlaufzeit des neuen Entgelttarifs beträgt 25 Monate. Im ersten Schritt werden die Entgelte dauerhaft um 4,4 % erhöht. Zusätzlich gibt es spätestens im Juli 2008 eine Einmalzahlung von 7 % für Normalarbeitszeitbeschäftigte, die verschoben oder ganz gestrichen werden kann. Im Frühjahr 2009 gibt es eine weitere Entgelterhöhung von 3,3 %.
„Tarifvertrag Lebens­arbeitszeit und Demografie“
Kern des Tarifpakets ist jedoch nicht das Entgelt, sondern der „Tarifvertrag Lebensarbeitszeit und Demografie“. Dieser enthält im Wesentlichen drei Elemente: 1. die Demografieanalyse, 2. den Demografiefonds und 3. die fünf „Instrumente“. Im Jahr 2009 wird in allen Betrieben eine Demografieanalyse erstellt. Damit soll in jedem Unternehmen festgestellt werden, welche Altersstruktur und welcher Qualifikationsbedarf besteht. Ab 2010 zahlen die Chemieunternehmen pro Tarifbeschäftigten jedes Jahr 300 € (dynamisch wachsend entsprechend den Tariferhöhungen) in den so genannten Demografiefonds. Mit den Fondsgeldern sollen die auf der Grundlage der Demografieanalyse ausgewählten und im Tarifvertrag definierten „Instrumente“ finanziert werden.
Fünf „Instrumente“ stehen zur Verfügung: 1. Altersteilzeit, 2. Berufsunfähigkeitsrente für die Jahrgänge jünger als 1961 geboren, 3. Lebensarbeitszeitkonto, 4. Tarifliche Altersvorsorge und 5.Teilrente.

Die Auswahl muss einvernehmlich zwischen Unternehmen und Betriebsrat erfolgen. Kommt es zu keiner Einigung oder existiert kein Betriebsrat, fließt das Geld je nach Betriebsgröße in die tarifliche Altersvorsorge oder in ein Lebensarbeitszeitkonto.
Modern und neoliberal
Schon im Jahr 2005 hat der IG-BCE-HV den tarifpolitischen Irrweg eingeschlagen, die Daseinsvorsorge von den Beschäftigten selbst zahlen zu lassen. Damals wurden die vermögenswirksamen Leistungen in eine tarifliche Altersvorsorge „umgewandelt“, also ein Teil des Einkommens zwangsweise in eine private „tarifliche“ Zusatzrente eingezahlt. Jetzt wird ein Teil der zweiten Entgelterhöhungsstufe den Beschäftigten vorenthalten (die 300 € entsprechen ziemlich genau 0,8 % der Referenzlohngruppe E7 in Baden-Württemberg) und für den Demografiefonds genutzt, um einen früheren Ausstieg aus dem Arbeitsleben zu ermöglichen.

Darüber hinaus wird die Politik fortgesetzt, Tarifpolitik in die Betriebe hinein zu verlagern. Immer mehr werden Tarifverträge aufgeweicht und müssen in den Betrieben „ausgestaltet“ werden. Damit hängt das Tarifergebnis nicht mehr nur von der kollektiven Kraft der Gewerkschaft ab, sondern von der Durchsetzungsfähigkeit der Einzelbelegschaften, der Vertrauensleute und der Betriebsräte. Dies führt unweigerlich zu einer weiteren Differenzierung in der Chemiebranche und wird künftig ein einheitliches und überbetriebliches gewerkschaftliches Handeln zusätzlich erschweren.
Es war mehr drin…
Die IG-BCE-Führung hat weder die gute wirtschaftliche Chemiekonjunktur noch die günstige politische Lage (GDL-Streik, Stahltarif und Verdi-Tarifforderung) und die Mobilisierungs­bereitschaft eines Teils der Beschäftigten genutzt, um ein besseres Ergebnis zu erzielen.
…aber nicht mehr gewollt.
Wieder einmal waren der IG-BCE-HV und das Chemiekapital erfolgreich und sich in Wort und Tat einig in ihrer „gemeinsamen“ Verantwortung für den Chemiestandort Deutschland. Es gab keine Mobilisierungen und fast keinen Spielraum für gewerkschaftliche Aktionen, aber auch keinen ernsthaften Druck aus den Belegschaften.

Für diejenigen, die sich für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik einsetzen, war die Tarifrunde 2008 eine weitere Kriechprozession ohne belebende gewerkschaftspolitische Impulse. Eine Ablösung des sozialpartnerschaftlichen Kurses der IG BCE ist nicht in Sicht. Und ohne eine funktionierende Vernetzung der kämpferischen Kolleginnen und Kollegen in der IG BCE wird sich daran so schnell auch nichts ändern.

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