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Betrieb & Gewerkschaft

Streik im Erziehungs- und Sozialdienst geht weiter!

Von Larissa | 01.07.2009

Der bundesweite Arbeitskampf im kommunalen Erziehungs- und Sozialdienst um die Einführung eines Tarifvertrags zur individuellen Gesundheitsförderung und um eine bessere Eingruppierung in die Gehaltstabelle geht ungemindert weiter. Der bundesweite Arbeitskampf im kommunalen Erziehungs- und Sozialdienst um die Einführung eines Tarifvertrags zur individuellen Gesundheitsförderung und um eine bessere Eingruppierung in die Gehaltstabelle geht ungemindert weiter.

Der bundesweite Arbeitskampf im kommunalen Erziehungs- und Sozialdienst um die Einführung eines Tarifvertrags zur individuellen Gesundheitsförderung und um eine bessere Eingruppierung in die Gehaltstabelle geht ungemindert weiter.

Obwohl in einigen Bundesländern aus Rücksicht auf die Pfingstferien der Streik für einige Wochen ausgesetzt wurde, beteiligten sich nach wie vor tausende Erzieher­­Innen und Sozialpädagog­­Innen an den letzten Aktionen: z. B. streikten am 23. Juni 2009 mehr als Zwanzigtausend; zu der zentralen Demonstration in Köln am 15. Juni 2009 kamen Dreißigtausend; und in Mannheim trafen sich Streikende aus Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland zu einem gemeinsamen Demonstrationszug.

Bisher war die Öffentlichkeit den Forderungen der Erzieher­­Innen durchaus wohlgesonnen. Viele Eltern unterstützten die Schließung „ihrer“ Einrichtung zum Zweck einer Besserstellung derjenigen, die ihre Kinder tagtäglich betreuen und „bilden“. Auch von Politikern und Politikerinnen wurde Zustimmung geäußert. Jetzt allerdings kann man in Talkshows und Gesprächsrunden schon die eine oder andere Kritik am Streik hören und in der Zeitung wird schon mal geschrieben, dass die Forderungen der Erzieher­­Innen überzogen seien und überhaupt, angesichts der Wirtschaftskrise, völlig unrealistisch…
Keine Einigung im Juni?
Verdi hatte angekündigt, gerne noch im Juni einen Abschluss erreichen zu wollen. Das Angebot, das die Verhandlungsführer des kommunalen Arbeitgeberverbandes in der Verhandlung vom 15.-17. Juni vorlegten, war für die Gewerkschaften jedoch nicht annehmbar. Für erst seit „kurzem“ Beschäftigte Erzieher­­­Innen (1-6 Jahre) boten sie eine Besserbezahlung um höchstens 150 €, für Beschäftigte mittlerer Dauer (7-15 Jahre) boten sie ca. 200 € mehr und für Erzieher­­Innen, die seit 16 Jahren oder mehr  beschäftigt sind, boten sie ein Mehr von 340 € an Bezahlung. Davon abgesehen, dass in diesem Beruf nicht viele „alt werden“, bedeutet dieses Angebot – je nach individuellem Faktor (verheiratet oder nicht, Kinder oder nicht, etc.) im Vergleich zur Bezahlung nach dem alten BAT von 1990 ein Plus von höchstens 0,3 % oder sogar ein Minus von 3,6 %! Das kann sich keine Erzieherin leisten und ist auch angesichts der gestiegenen Ansprüche an Kinderbetreuungseinrichtungen und dem gestiegenen Arbeitsdruck nicht annehmbar! Für die anderen Berufsgruppen wie Sozialpädagog­­Innen, Sozialarbeiter­­Innen oder Heilpädagog­­Innen legten die Arbeitgeber kein Angebot vor.

Sollte also keine Einigung im Juni zustande kommen – wovon nach dem aktuellen Stand auszugehen ist – dann wird sich der Streik wohl über den Sommer hinweg bis in den Herbst hinziehen. Verdi wird dann ab dem 14. September zum Vollstreik aufrufen (siehe Kasten). Falls dann immer noch keine Einigung erzielt wird, könnten eventuell die Verhandlungen mit denen zur gesamten Entgeltordnung im TVÖD zum Jahresende zusammenfallen. Das bringt einige Probleme mit sich: Zum einen ist es für die Streikenden nicht einfach, über einen so langen Zeitraum hinweg die Streikmoral aufrecht zu erhalten, u. a. wenn irgendwann die Stimmung in der Öffentlichkeit gegen den Streik umschlägt. Gerade im Bereich der Kindertagesstätten sind die Beschäftigten der „Öffentlichkeit“ in Form der Eltern direkt ausgesetzt und auch nach dem Streik auf eine gute Zusammenarbeit angewiesen. Hier ist es meiner Meinung nach ganz entscheidend, wie viele in einer Einrichtung streiken, um ein Gruppen- und Gemeinschaftsgefühl zu erhalten, und wie es den Gewerkschaften gelingt, dieses Gruppengefühl durch gemeinsame Aktivitäten aufrecht zu erhalten. Einige Lehren aus den Aktionen im letzten Jahr wurden bereits gezogen, nämlich dass Streikende nie vor der eigenen Einrichtung Streikposten stehen, sondern immer woanders, bzw. dass die Streikaktionen an zentralen Punkten z. B. in Form einer Demonstration stattfinden. Sicherlich wird es auch nicht einfach, über die Sommerferien hinweg den bisher hohen Aktivitätsgrad aufrecht zu erhalten.
Zum Jahresende hin schließlich beginnen die Tarifverhandlungen für den gesamten öffentlichen Dienst. Verdi sah die Verhandlungen im Erziehungs- und Sozialdienst als wegweisend für die anderen Bereiche an. Wenn in allen Bereichen gleichzeitig verhandelt wird und wenn etwas Vernünftiges dabei herauskommen soll, dann ist das ein ganz schöner Kraftaufwand für die Gewerkschaft. Und die Mobilisierungsfähigkeit der Beschäftigten der Länder und Kommunen in anderen Bereichen ist sicher nicht überall so gut wie im Augenblick bei den Erzieher­­Innen.
Arbeit darf nicht krank machen!
Eine weitere Frage stellt sich bzgl. des Gegenstands des Streiks: Immer wieder war zu hören, bei den Auseinandersetzungen um einen Gesundheitstarifvertrag handle es sich um einen „Alibistreik“, in Wirklichkeit gehe es um die bessere Eingruppierung, nur dürfe dafür erst nach Ende der Friedenspflicht im Herbst gestreikt werden. Wenn dann tatsächlich Arbeitskampfmaßnahmen für eine bessere Eingruppierung möglich sein werden, besteht die Gefahr, dass der Gesundheitstarifvertrag tatsächlich wieder unter den Tisch fällt.

Inzwischen hat sich jedoch gezeigt, dass es sich hier nicht um einen reinen „Alibikampf“ handelt, sondern dass die Forderung nach einem individuellen Recht auf Gesundheitsförderung und Qualifizierung auf jeden Fall eine eigene Berechtigung hat.
Wertschätzung und Anerkennung zeigen sich in unserer Gesellschaft zwar zu einem großen Teil durch Geld und Bezahlung, aber gerade in Berufen, die emotional und körperlich sehr belastend sind und mit einem hohen Grad an Verantwortung einhergehen, spielt der Gesundheitsschutz eine große Rolle. Und in Zeiten leerer Kassen sollte dies nicht den Kommunen als freiwillige Leistung überlassen werden!
Vom Burn Out bis zu Hörschäden
Durch die gesundheitsbezogenen Forderungen der Erzieher­­Innen und die öffentlichen Diskussionen darüber ist es – vielleicht zum ersten Mal – ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt, dass auch die sozialen Berufe und typischen Frauenberufe schwere Arbeit sind und dass es besonderer Maßnahmen bedarf, damit die Beschäftigten nicht nach nur wenigen Berufsjahren krank werden. 
Interessant ist hierbei, dass es sich nicht – wie in den letzten Jahren vorherrschend – um einen Streik handelt, der nur das bisher Erreichte verteidigt, sondern um einen qualitativen Streik, der also eine qualitative Verbesserung de
r Arbeitsbedingungen erstrebt! Meine Erfahrung ist hierbei, dass sich vom Thema Gesundheit die meisten im sozialen Bereich Beschäftigten auch tatsächlich angesprochen fühlen und dass es viele gute Ideen für eine Verbesserung gibt. Gerade die Themen Frustration und Burn Out spielen hier bei den psychischen Belastungen eine besondere Rolle und die Themen Rückenleiden und Hörschäden bei den körperlichen Belastungen.
Streik der Frauen
Eine weitere Besonderheit zeigt dieser Streik: Da es sich hier um typische Frauenberufe handelt, sind 90 % der Streikenden Frauen, u. a. junge Frauen, die gut ausgebildet sind und sich durchaus mit ihrem Beruf identifizieren. Das prägt auch das Bild: Auf den Demonstrationen gibt es viel Gesang und Musik; überall werden Zettel mit selbst gedichteten Streikliedern verteilt und gemeinsam gesungen. Viele der Streikenden sind auch Mütter und wissen deshalb sowohl als betroffene Mutter, die ihre Kinder in die Kita bringt, als auch als Erzieherin, wovon sie reden und wovon gesprochen wird und wissen also auch, dass das Gehalt einer Erzieherin nicht ausreicht, um eine Familie zu ernähren. Und schon gar nicht, wenn sie in Teilzeit arbeitet.

Dieser Streik ist auch wegweisend für den ganzen Bereich der Dienstleistungsberufe, in denen traditionell viele Frauen beschäftigt sind und in denen besonders oft niedrige Löhne gezahlt werden.  Hier eine bessere Bezahlung und mehr Anerkennung zu erreichen, wäre auch ein Schritt hin zu weniger Diskriminierung und mehr Gleichberechtigung im gesamten öffentlichen Dienst. Immerhin liegt das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen in Deutschland bei 23 %!

Besonders von den Beschäftigten in Teilzeit und denen, die selber Kinder haben, deren Einrichtungen vielleicht sogar auch bestreikt werden, fordert die Beteiligung am Streik Organisationstalent. Nach den nicht immer geglückten Versuchen im Einzelhandel zeigt es aber trotz aller nicht zu vernachlässigenden Unterschiede auch, dass sich die Beschäftigten in einem typischen Frauenberuf doch gut organisieren und mobilisieren lassen und dass auch Frauen ein Interesse an vernünftigen Arbeitsbedingungen haben und sich auch dafür einsetzen können.
Krise und Streik
Trotz der Wirtschaftskrise war und ist die Beteiligung beim Streik u. a. in den Kindertagesstätten groß und ist dieser Streik bisher auf breite Zustimmung gestoßen. Das deutet darauf hin, dass das Thema Kinder und Bildung eben doch einen großen Stellenwert hat und dass es für viele nicht nachvollziehbar ist, dass Millionen Euro für Autobauer und Banken ausgegeben werden können, für Kinder aber nichts übrig sein soll. Wie lang diese Zustimmung anhält, ist jedoch nicht gewiss.

Da es sich hier wie gesagt nicht um einen reinen Lohnstreik, sondern tatsächlich um qualitative Forderungen handelt, ist es notwendig, diesen Streik politisch zu führen; und um ein gutes Ergebnis erkämpfen zu können mit den in Ansätzen vorhandenen sozialen Bewegungen und Aktionen gegen die Krise zusammen zu bringen.  Ob die Gewerkschaften, u. a. Verdi als Verhandlungsführerin und größte Gewerkschaft, willens und in der Lage sind, das auch durchzusetzen, kann mensch nur hoffen. Eine Niederlage wäre sicher für die vielen jungen, im politischen Getriebe unerfahrenen und jetzt zum ersten Mal aktiven Kollegen und Kolleg­­Innen völlig entmotivierend.

 

Und darum geht‘s…
Seit Anfang 2009 wird unter dem Motto „Chancen fördern – Anerkennung fordern“ für den Sozial- und Erziehungsdienst ein Arbeitskampf um eine neue Entgeltordnung und um einen eigenen Tarifvertrag zur individuellen Gesundheitsförderung und Qualifizierung geführt.
Die Verhandlungen begleitend fanden bundesweit zahlreiche Streiks, Demonstrationen und sonstige Aktionen statt, an denen sich Tausende der ca. 220 000 Beschäftigten in diesem Bereich beteiligten.
Konkret wird gefordert:
  • •    Für ErzieherInnen: Entgeltgruppe (EG) 9 (bisher zwischen EG 6 und EG 8)
  • •    Für SozialpädagogInnen je nach Art der Tätigkeit EG 10 bzw. EG 11 (bisher EG 9)
Es geht hier nicht nur um mehr Geld in der Tasche, sondern auch um eine Aufwertung dieser typischen Frauenberuf und um Anerkennung der enormen physischen und/oder psychischen Belastungen.
Bei der Gesundheitsförderung geht es konkret um Maßnahmen gegen die hohe Lärmbelastung in der Gruppenarbeit in Krippen, Kindergärten und Horten; um Maßnahmen, die möglichst Rückenleiden und häufiges schweres Heben oder Sitzen auf kleinen Stühlen vermeiden und um Maßnahmen, die Frustration, Entmotivierung und Burn-Out-Syndrom entgegenwirken.

 

Vollstreik ab 14.9. geplant
Kommt es zu keiner Einigung, dann wird ver.di ab dem 14. September zum Vollstreik aufrufen. Dies ist dann schon deshalb ein politischer Streik, weil er vor der Bundestagswahl stattfinden wird und das günstige Klima der Politisierung auszunutzen sucht. In Frankreich haben die Gewerkschaften in der Vergangenheit regelmäßig vor wichtigen Wahlen Tarifkämpfe geführt. Offensichtlich dient dies ver.di als Beispiel.
B. B.

 

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