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Betrieb & Gewerkschaft

Sparen bis die Räder brechen

Von Tom Bogen | 01.09.2009

Durch die vom Eisenbahnbundesamt (EBA) angeordnete Sicherheitsüberprüfung mussten seit Juli gut 65 Prozent der Berliner S-Bahn-Züge im Depot bleiben. Infolge brach der S-Bahn-Verkehr in Berlin streckenweise völlig zusammen. Die Mängel bei der Bahn sind nur die Spitze des Eisberges einer auf möglichst viel Profit ausgerichteten Unternehmensstrategie.

Durch die vom Eisenbahnbundesamt (EBA) angeordnete Sicherheitsüberprüfung mussten seit Juli gut 65 Prozent der Berliner S-Bahn-Züge im Depot bleiben. Infolge brach der S-Bahn-Verkehr in Berlin streckenweise völlig zusammen. Die Mängel bei der Bahn sind nur die Spitze des Eisberges einer auf möglichst viel Profit ausgerichteten Unternehmensstrategie.

Als am 1. Mai diesen Jahres ein voll besetzter S-Bahn Zug in Berlin entgleiste, brachte die Ermittlung des EBA schnell die Ursache ans Licht. Mangelnde Wartung war der Grund für einen Radbruch, ähnlich dem des entgleisten ICE in Köln. Als Folge musste sich die Geschäftsführung der S-Bahn Berlin GmbH, eine hundertprozentige Tochter der DBAG, verpflichten, die Räder alle 7 Tage zu überprüfen. Ende Juni stellte das EBA jedoch fest, dass die Zusagen nicht eingehalten wurden. In Berlin waren immer noch Züge mit völlig überbeanspruchten Rädern unterwegs. Der Geschäftsführer beteuerte zwar, die Räder würden alle 14 Tage überprüft, unterschlug dabei aber, dass dies nur eine Sichtprüfung und nicht wie erforderlich eine Ultraschalluntersuchung war.
Sparen bis es lebensbedrohlich wird
Die nicht eingehaltene Zusage ist keineswegs verwunderlich, denn die S-Bahn verfügt überhaupt nicht mehr über die nötigen Kapazitäten, solche Sicherheitsstandards aufrecht zu erhalten. Seit sie 1995 privatisiert wurde, gibt es nur ein Ziel: Möglichst viel Gewinn. So kritisiert der Betriebsrat z.B. die erfolgte Schließung einer Betriebswerkstatt in Friedrichsfelde. 2005 gab es dagegen starke Proteste. Ohne ausgedünnte Instandhaltungsintervalle wäre die Schließung überhaupt nicht möglich gewesen.

Hinzu kommt: In den letzten Jahren wurde der Wagenpark stark reduziert, Reservekapazitäten verschrottet, Personal abgebaut und ausgegliedert. Die Folge ist, dass es kein Spielraum für unvorhergesehene Zwischenfälle gibt. Die technischen Mängel zeigen sich aber nicht nur an den Rädern. Im Winter fallen viele Züge aus, da die aus Zeitgründen nur schlecht gewartete Technik bei niedrigen Temperaturen streikt. Der Personalmangel ist stellenweise so groß, dass z.B. Stellwerke nicht besetzt werden können, wenn in der Urlaubszeit KollegInnen krank werden. Dann kommt es zu Streckensperrungen und Verspätungen. Seit Jahren beklagt der Betriebsrat diese Zustände. Hinzu kommen weitere Einsparungen beim Kundenservice. Fahrkartenausgaben werden geschlossen und die Aufsichten, die in den S-Bahn-Stationen für die sichere Zugabfertigung verantwortlich sind, sollen abgeschafft werden. Die Sicherheit bei der Bahn sinkt, Zugausfälle und Verspätungen nehmen zu, die Züge werden kürzer und voller. Für die Fahrgäste und die Mitarbeiter­Innen steigt der Stress.

So ist es nicht verwunderlich, dass die S-Bahn Berlin GmbH mit der Situation völlig überfordert ist. Auf der Innenstadtbahn zwischen Ostbahnhof und Potsdam fuhr im Juli zwei Wochen überhaupt keine S-Bahn, ebenso auf anderen Strecken. Ansonsten kann im restlichen Netz mit Müh und Not ein 20-Minuten-Takt aufrechterhalten werden. Das wird bis Ende des Jahres noch so bleiben.

Im Zuge der Sensibilisierung werden weitere Pannen bekannt. So wurden noch im Mai an einem Wagen Risse im Fußbodenblech entdeckt, dieser ist aber noch bis August weiter gefahren. Bei einem anderen Wagen wurden gefährliche Risse an einem Rad festgestellt, ein weiterer war ohne Hauptuntersuchung unterwegs. Es wird deutlich, dass die Geschäftsführung mit dem Leben der Fahrgäste spielt. Die KollegInnen in den S-Bahn-Werkstätten arbeiten derweil rund um die Uhr auf Hochtouren, um die Züge wie verlangt nachträglich zu warten. Unzählige Überstunden fallen an. Die körperlichen und nervlichen Belastungen sind enorm.
Das Bild wird garniert von einer Verlautbarung der Sprecherin der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus Ende Juli an die Presse. Sie bezweifelte, dass die Sicherheitsstandards der EBA notwendig und auf Dauer finanzierbar seien. Neoliberaler kann mensch eigentlich nicht argumentieren.
Fahrtziel: Gewinnmaximierung
Der Berliner Senat bemüht sich indes nicht völlig hilflos zu erscheinen und droht damit, den noch bis 2017 laufenden Verkehrsvertrag mit der S-Bahn vorzeitig zu kündigen und eventuell einem anderen Betreiber zu übergeben. Diese Option scheint momentan auch das Lieblingskind der bürgerlichen Presse zu sein. Doch wer solche Vorschläge bringt, will die wahren Gründe für das Chaos bei der S-Bahn verschleiern. Die unmöglichen Zustände auf der Schiene zahlen sich nämlich kräftig aus. Den gesamten Gewinn von 57 Millionen Euro überwies die GmbH im letzten Jahr an ihre Konzernmutter, die DBAG. Dass heißt, ein Viertel der 225 Millionen Euro Fördergelder, die jährlich vom Senat kommen. Einige bemühen häufiger das Bild der gemolkenen S-Bahn Kuh durch die DBAG.

Aber warum sollte ein anderer privater Betreiber anders handeln und nicht jedes noch so kleine Schlupfloch ausnutzen, um auf dem Rücken von MitarbeiterInnen und Fahrgästen möglichst viel Gewinn zu machen? Beispiele gibt es in anderen Ländern und anderen Städten zu Hauf. Dazu braucht mensch nicht mal zur privaten Bahn nach England zu schauen. Die S-Bahn Berlin GmbH war im Juli nicht der einzige Betrieb, dem das EBA auf die Finger klopfte. Wegen gravierender Mängel an ihren Zügen musste die Ostdeutsche Eisenbahngesellschaft ODEG rund die Hälfte ihres Wagenparks im Depot lassen. In den Waggons war es verstärkt zu Rauchentwicklung und Bränden gekommen.
Den Kampf aufnehmen!
Lehren hat die S-Bahn-Führung aus alledem nicht gezogen: Der geplante Abbau von 400 Arbeitsplätzen soll im Dezember ungebremst weiter gehen. Seit 2006 wurden bei der S-Bahn schon 900 Stellen, auf aktuell nur noch 2800 Mitarbeiter abgebaut. Die Beschäftigten schäumen vor Wut. Im August dachte der Betriebsratsvorsitzende deshalb laut über Streik während der Leichtathletik WM nach. Das Getöse in der Presse war sofort gewaltig, nicht noch mehr Chaos zu produzieren. Auch die GDL distanzierte sich sofort und sprach von einem Alleingang, da dies außerhalb von Tarifverhandlungen verboten sei und die Gewerkschaft ja fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehe. Dies ist offensichtlich wichtiger als die Sicherheit und die Gesundheit der KundInnen und MitarbeiterInnen.

Nur ein entschlossener Kampf aller S-Bahn Beschäftigten kann dem Spuk ein Ende machen. Einen besseren Zeitpunkt für einen Arbeitskampf kann es nicht geben. Die S-Bahn-Geschäftsführung ist durch den öffentlichen Druck und die vielen Rücktritte seit dem Bekanntwerden der Mängel völlig geschwächt und hat keine Spielräume für weitere Fahrplanausfälle. Und vor allem: Jedem und jeder BerlinerIn dürft seit Wochen klar sein, wohin die Sparpolitik und die Privatisierungen führen. Andere Belegschaften haben vorgemacht, dass über den Umweg ei
ner ausgedehnten Betriebsversammlung sehr wohl ein effektiver Arbeitskampf geführt werden kann. Forderungen, könnten z.B. sein:

  • Beendigung des Stellenabbaus (auch bei Bahnhofsaufsichten) und Neueinstellungen in allen Bereichen als Personal der S-Bahn Berlin GmbH.
  • Wiedereröffnung des Betriebswerkes Friedrichsfelde und Verbesserungen in der Ausstattung der Werke.
  • Einführung moderner Zug­sicherungssysteme.
  • Der beste Schutz vor lebensbedrohlichen Zuständen und Verschlechterungen infolge vermehrter Konkurrenz ist die Rücknahme der Privatisierung und ein kostenloser öffentlich finanzierter Personennahverkehr in ganz Berlin!

 

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