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Betrieb & Gewerkschaft

Sommers Standortnationalismus

Von Philipp Xanthos | 01.07.2010

Nein, ein großer Redner ist er nicht. Als der Vorsitzende Sommer auf dem Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes (16.–20. Mai) die Eröffnungsrede hält, gehen ihm die Gedanken zähflüssig von den Lippen. Die kauende Sprechweise und seine hysterisch-gewaltvollen Metaphern bilden einen abgründigen Gegensatz: Aus diesem Mund spricht die Stimme der Bürokratie.

Nein, ein großer Redner ist er nicht. Als der Vorsitzende Sommer auf dem Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes (16.–20. Mai) die Eröffnungsrede hält, gehen ihm die Gedanken zähflüssig von den Lippen. Die kauende Sprechweise und seine hysterisch-gewaltvollen Metaphern bilden einen abgründigen Gegensatz: Aus diesem Mund spricht die Stimme der Bürokratie.

In einem der ersten Sätze fordert er eine „unabhängige Gewerkschaftsbewegung“. Doch alles, was danach kommt, bedeutet das Gegenteil. An Unabhängigkeit von Unternehmensleitungen, Unabhängigkeit etwa vom bürgerlichen Staat, Unabhängigkeit von den Kapitalinteressen, Unabhängigkeit von einer chaotischen, krisenhaften Produktionsweise, Unabhängigkeit der Arbeiter­Innenklasse also, denkt er nicht.
„Liebe Frau Dr. Merkel“
So war es Sommer eine Ehre, die Bundeskanzlerin „besonders herzlich“ begrüßen zu dürfen. Die vermeintlich Schuldigen an der Wirtschaftskrise sah Sommer in „Finanzhaien“, die gegen den Euro wetteten und versuchten, „Länder in den Ruin zu treiben“, die „gegen Griechenland spekulieren“ und – was das Schlimmste ist – „irgendwann gegen uns“.

Die „Bankenrettung“ der Bundesregierung sei dagegen ebenso notwendig gewesen wie die „Euro-Rettung“. Die DGB-Gewerkschaften hätten „außerordentlich verantwortungsvoll mitgearbeitet gegen die Krise, die unseriö­se Investmentbanker verursacht hätten“ und seien auch weiterhin dazu bereit. An Merkel gewandt forderte Sommer, dem „Angriffskrieg der Hedgefonds dauerhaft den Garaus“ zu machen. „Frau Bundeskanzlerin, Sie wissen es… wir haben Sie unterstützt bei allen G 20-Gipfeln … legen Sie den Zockern endlich das Handwerk!“ Für zustimmendes Gejohle im Saal sorgte die Aufforderung: „Warten Sie bitte nicht, bis auch die Caiman-Inseln zustimmen oder die Wall Street ein Mitglied der Ethik-Kommission wird“. Damit wird die irrationale Unterscheidung zwischen angel­sächsischem und deutschem – also „bösem“ und „gutem“ – Kapitalismus offenbar. Sommer nennt dies in seiner späteren Grundsatzrede „Marktwirtschaft deutscher Prägung“ und meint den „historische[n] Kompromiss zwischen Kapital und Arbeit“.
„Lieber Herr Dr. Hundt“
Zu den Ehrengästen zählte auch Dieter Hundt, seines Zeichens seit 1996 Chef des Kapitalisten-Verbands BDA. An diesen persönlich gerichtet schwärmt Sommer: „zu hart sind manchmal die Auseinandersetzungen, die wir miteinander führen … Trotzdem haben wir… gemeinsam einen guten Weg zurückgelegt, um die Existenz von Arbeitsplätzen und Betrieben… in unserer Volkswirtschaft zu sichern“. Sommer preist die Zusammenarbeit von Betriebsräten und Unternehmensleitungen an, die Zusammenarbeit beim Kurzarbeitergeld, die Zusammenarbeit der Tarifvertragsparteien. All das habe die Krise „abgefedert“ und habe „Ihnen wie uns geholfen“. Zufrieden stellt Sommer fest, die Unternehmer hätten sich von der „Ideologie des Shareholder Value losgelöst und auf Sozialpartnerschaft „gesetzt“ (?), wünscht sich jedoch von Hundt als „Vertreter der Realwirtschaft“ eine stärkere verbale Abgrenzung von den „Protagonisten des Spekulationskapitalismus“. „Folgen Sie ihren eigenen Appellen auch, wenn es [der Wirtschaft] wieder besser geht!“ Denn: „Hedge-Fonds und die Halodris unter den Bankern bedrohen ja gleichzeitig die Arbeitnehmerschaft und anständig wirtschaftende Unternehmen“. Der DGB sei sich der „gemeinsamen Bedeutung und Verantwortung für die Volkswirtschaft bewusst“.
„Schaffendes“ und „raffendes“ Kapital
In seiner „Grundsatzrede“ wurde diese offene Klassen-Kollaboration flankiert mit der mystifizierenden Unterscheidung in „schaffendes“ und „raffendes“ Kapital. Noch ein paar Zitate von Sommer: „Es wird gezockt statt produziert.“ Es müsse der „Würgegriff gelockert werden, mit der die Finanzwirtschaft die reale Wirtschaft zu strangulieren droht.“ „Gerade in der Krise müssen wir die industri­ellen Kerne erhalten“.
Der Standortnationalismus, den Sommer vertritt, kennt vier Momente:

  1. Er beschwört die Einheit der Interessen von Kapital und Arbeit.
  2. Er postuliert einen vergangenen und/oder möglichen Zustand des „sozialen Gleichgewichts“ im Kapitalismus.
  3. Er unterscheidet das „deutsche“ vom „angelsächsischen“ Kapital und das der „Real‑“ von dem der „Finanzwirtschaft“ womit er die Ursache allen Elends in ein imaginiertes „Außen“ verschiebt.
  4. Er wendet sich für alle seine Sorgen an die bürgerliche Regierung, anstatt die sechs Millionen Mitglieder zum Gegen-Angriff aufzurufen. Gegen wen auch – die Caiman-Inseln?

Welche „Ordnung“?
Komplettiert wird das alles mit einem endlosen sentimentalen Gejammer über die Lage der „sozial Schwachen“, „Geiz und Gier“, wie schlimm alles gekommen sei usw., was eben die Konsequenz daraus ist, dass die Gewerkschaftsapparate seit eh und je diese Entwicklungen in Kauf nehmen.

Weit davon entfernt also, einen „unabhängigen“ Standpunkt einzunehmen, liefert der DGB-Führer die Klasse der Lohnabhängigen damit ideologisch den Interessen des Kapitals aus. Er appelliert an irrationale Ängste, die sich in der Krise ausbreiten und an autoritäre Vorstellungen von „Ordnung“ – eine bewährte Methode um Menschen „un“abhängig zu machen. Der großzügige Applaus und seine erfolgreiche Wiederwahl als einziger Kandidat spiegeln natürlich auch ein gewisses Bewusstsein wider, an das da angeknüpft wird.

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