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Innenpolitik

Schuldenkrise: Bezahlt wird nicht

Von Thadeus Pato | 01.05.2011

„Wenn Du der Bank hundert Dollar schuldest, dann hast Du ein Problem. Wenn Du der Bank hundert Millionen schuldest, dann hat die Bank ein Problem“. Dieser Satz des ehemaligen Ölmilliardärs Jean Paul Getty trifft in der derzeitigen sogenannten Schuldenkrise den Nagel auf den Kopf.

„Wenn Du der Bank hundert Dollar schuldest, dann hast Du ein Problem. Wenn Du der Bank hundert Millionen schuldest, dann hat die Bank ein Problem“. Dieser Satz des ehemaligen Ölmilliardärs Jean Paul Getty trifft in der derzeitigen sogenannten Schuldenkrise den Nagel auf den Kopf.

Nur, dass es sich um weit mehr als hundert Millionen drehte. Das Problem der Banken mit ihren faulen Immobilien- und sonstigen Krediten bzw. den aus jenen generierten Papieren haben mehr schlecht als recht die ihnen hörigen Regierungen gelöst. Aber die Schulden sind damit natürlich nicht aus der Welt – es hat sie jetzt nur jemand anderes.

Grund für den schwindelerregenden Schuldenberg der EU-Länder und der USA ist nicht, wie uns die veröffentlichte Meinung glauben machen will, das Spekulant­­Innenpack aus den Chefetagen der Banken und Hedge-Fonds – auch wenn es sich durchaus um ein solches handelt.
Verwertungskrise
Leo Mayer wies 2007 darauf hin, dass der Finanzmarkt inzwischen zu einer selbstständigen Verwertungssphäre des Kapitals geworden ist und für letzteres notwendig, so dass Forderungen nach Abschaffung der Spekulation ins Leere gehen. Folgerichtig ist in diese Richtung auch praktisch nichts von staatlicher Seite unternommen worden – selbst, wenn sie gewollt hätte, wäre das nicht gegangen.

Die zugrundeliegende Ursache für die Schuldenkrise liegt in einer anhaltenden Verwertungskrise des Kapitals. Seit den achtziger Jahren stieg die Staatsverschuldung (und teilweise auch die private Verschuldung) in den Industriestaaten steil an, eine Entwicklung, die mit der heutigen Situation nach der staatlichen „Bankenrettung“ in Europa und den USA einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Das war die Folge davon, dass versucht wurde, die damals schon schwelende und immer wieder zu entsprechenden Problemen führende Überproduktions- und Akkumulationskrise durch „deficit spending“ zu überwinden.

Aber die Hoffnung, dass bei sich wieder erholender Konjunktur die Schulden abgebaut werden könnten, war eitel. Durch die gleichzeitig seit den achtziger Jahren durchgesetzte Politik der Prekarisierung und Deregulierung wurde die Nachfrage entscheidend geschwächt, die Krise setzte sich fort. In einer solchen wirtschaftlichen Depressionsphase, in der das Kapital keine lohnenden Anlagefelder vorfindet, die entsprechende Profite versprechen, fließt es in die Finanz- und Spekulationssphäre. Das erweckt dann den Anschein, als sei diese Sphäre von der Produktion entkoppelt.

Elmar Altvater schrieb schon 2008: „die oft angenommene Entkopplung der monetären von der realen Ökonomie ist eine große Illusion, dem Fetischismus von Geld und Kredit geschuldet, dem blendenden Schein – als ob die hohen Renditen aus den Finanzbeziehungen selbst stammten, aus den Banktresoren geholt werden könnten und nicht in der realen Wirtschaft produziert werden müssten“.

Natürlich stammen die Profite, die in der Finanzsphäre generiert werden, aus der Produktionssphäre. Dass die Profitraten in ersterer um so viel höher sind als in letzterer, hat verschiedene Gründe, nicht zuletzt den, dass zum Beispiel die Hedgefonds die von ihnen aufgekauften Unternehmen regelrecht „kannibalisieren“, indem sie Gelder aus ihnen abziehen und sie gleichzeitig Schulden aufnehmen lassen. Die Aktienkurse werden in die Höhe getrieben, was nichts anderes ist als die Hoffnung auf zukünftig steigende Gewinne. Wie schief das gehen kann, zeigte u. a. die sogenannte New-Economy-Blase in den Neunzigern.
Optimismus auf Staatskosten
Letztlich ist die staatliche Verschuldungspolitik nichts anderes als eine Subventionierung der Profitraten der Realökonomie und der unverwüstliche Optimismus der Banken und Kapitalgesellschaften somit sozusagen staatlich abgesichert. Offenbar wurde und wird das in der Schuldenkrise der letzten Jahre. 

Die Summen, um die es inzwischen geht, stellen eine reale Gefahr für das gesamte Währungsgefüge dar. In einer derartigen Situation bleiben dem Staat als ideellem Gesamtkapitalisten nur zwei Möglichkeiten. Entweder er springt mit (ebenfalls geliehenem) Geld in die Bresche oder er riskiert eine Krise wie die von 1929.

Das Problem ist, dass die erneute Schuldenaufnahme der EU und der USA bereits von einem extrem hohen Schuldensockel ausging. Und damit wird es immer unwahrscheinlicher, dass es jemals zu einer Schuldenrückzahlung kommt. Eine Verschuldung von über 200 % des Bruttoinlandsproduktes, wie z. B. in Japan (mit weiter rapide steigender Tendenz wegen der Folgekosten von Tsunami und Fukushima-Katastrophe), wäre nur rückzahlbar, wenn einerseits das Staatsdefizit auf Null gefahren und andererseits die Realökonomie einen Boom mit entsprechender Anhebung der Profitraten erleben würde.

Ein solcher Boom ist weit und breit nicht in Sicht und die weiteren Möglichkeiten der Sanierung der Profite, nämlich die Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Eindampfung der Sozialleistungen etc. wurden bereits in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten angewendet, ohne dass das an der langfristigen Tendenz betreffend das Anwachsen der Staatsschulden etwas geändert hätte.
Und was nun?
Der sogenannte „Rettungsschirm“ der EU ist ein Versuch, das akute Problem von Staaten wie Griechenland, Irland und Portugal (demnächst vielleicht Spanien)  durch eine Art Verwässerung zu lösen, indem die Schulden in der EU umverteilt werden. Weg sind sie damit allerdings ebenso wenig, wie das das grundsätzliche Verwertungsproblem löst. Und die Gelder, die jetzt fließen, sind ebenfalls schlicht geborgt …
Geliebäugelt wurde seitens einiger bürgerlicher Ökonom­­Innen auch schon mit einer „kontrollierten Inflation“. Selbstverständlich wäre das eine elegante Lösung, der Haken dabei ist, dass niemand einen blassen Schimmer hat, wie eine solche Inflation, ist sie erst einmal in Gang, kontrolliert werden kann.

Also greift mensch erneut zu den Mitteln, die wie gesagt, bereits flächendeckend seit Jahren angewendet wurden:  Senkung der sekundären Kosten und damit Hebung der Unternehmensprofite, vulgo: Streichung von Sozialleistungen, Rentenklau, Ausverkauf des staatlichen Tafelsilbers, Lohnabsenkung und Steuererhöhungen. Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt, und es liegen mit Sicherheit noch weitergehende Pläne in der Schublade, wie die jetzt in Deutschland ruchbar gewordene Straßenräuberei namens Straßenmaut, ganz abgesehen von den Grausamkeiten, die die Regierungen der drei Pleitestaaten auf Anweisung aus Brüssel und seitens des IWF bereits begangen haben.
Wer soll das bezahlen …
Kurz gesagt wurde beschlossen, di
e Zeche die bezahlen zu lassen, die von den wiederkehrenden Krisen der letzten Jahrzehnte und der Privatisierungs- und Deregulierungspolitik der EU sowieso schon gebeutelt sind, nämlich die Lohnabhängigen, Alten, Kranken, Arbeitslosen und Auszubildenden.

Dass es auch anders geht, haben die Isländer­­Innen bei ihrem Bankencrash vorgemacht: sie haben sich per Volksabstimmung standhaft geweigert, auch nur einen Pfennig aus der Staatskasse an die Leute zu bezahlen, die mit den hohen Zinsen der dortigen Banken eine schnelle Mark machen wollten und dann empört waren, dass sie in der großen Spekulationslotterie eine Niete gezogen hatten.

Und deshalb ist es auch richtig, sich gegen die „Hilfszahlungen“ an Länder wie Griechenland, Portugal und Irland zu wenden. Der ach so generöse Rettungsschirm hat seine Ausführungsbestimmungen und die wiederum ihr Kleingedrucktes, und das ist ganz simpel zu übersetzen: Wir geben Euch Kredit, aber als Gegenleistung (neben den Zinsen, wohlgemerkt) müsst ihr dafür sorgen, dass das Geld nicht bei denen eingesammelt wird, die an den Zuständen, die zur Krise geführt haben, jahrelang klotzig verdient haben.

Aber exakt da sollte es geholt werden, denn da ist es ja letztendlich verblieben, es ist nicht in einem ominösen schwarzen Loch verschwunden.
Nicht nur in Europa sollte deswegen  die Devise so lauten wie der Titel eines Theaterstücks des italienischen Nobelpreisträgers Dario Fo: Bezahlt wird nicht!

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