Schüsse in Khartum
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Sudans Generäle in der Sackgasse

Schüsse in Khartum

Von Joshua Craze | 23.04.2023

Am 15. April kam es in der sudanesischen Hauptstadt Khartum zu Zusammenstößen zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF), die Abdel Fattah Burhan, dem General, der den Regierungsrat des Landes leitet, treu sind, und den paramilitärischen Kräften seines Stellvertreters Mohammed Hamdan Daglo, auch bekannt als „Hemeti“ (kleiner Mohamed), dem bonapartistischen Thronanwärter des Sudan.

Dieser Beitrag wurde ursprünglich im NEW LEFT REVIEW veröffentlicht – wir danken!

Anfänglich schienen Hemetis Milizen, die so genannten RSF (Rapid Support Forces), im Vorteil zu sein. Sie übernahmen die Kontrolle über mehrere Luftwaffenstützpunkte und setzten sich in den Wohnvierteln von Khartum fest, das bescherte Burhan Schwierigkeiten bei der Kriegführung in städtischem Gelände.

Als der 16. April zu Ende ging, machte sich jedoch die überlegene Bewaffnung der SAF bemerkbar: Kampfjets beschossen Kasernen der RSF und vertrieben die paramilitärischen Kräfte aus ihren Stellungen in der Stadt. Vieles an der Situation bleibt ungewiss, selbst für diejenigen, die vor Ort sind. Ich kann dir nur sagen, schrieb mir ein Freund, woher der Rauch kommt.

Anders als während des Staatsstreichs im Oktober 2021 funktioniert das Internet noch, doch hat es wenig Klarheit gebracht. Die Fakten werden durch Behauptungen und Gegenbehauptungen verdeckt, die alle über Facebook-Posts verbreitet werden.

Klar ist, warum diese Konfrontation ausgebrochen ist. Die Spannungen zwischen den beiden Seiten hatten sich seit der Unterzeichnung eines Abkommens im Dezember 2022 verschärft, des so genannten „Framework Agreement“ (Rahmenabkommens), das den Weg für den Übergang zu einer zivil geführten Regierung und die Ablösung der Militärjunta, die den Sudan seit Oktober 2021 regiert hatte, ebnen sollte. Mit dem Abkommen wurden alle schwierigen Fragen auf die lange Bank geschoben. Vor allem wurde die Integration der RSF in die Armee nicht angesprochen ‒ Burhan möchte für diesen Prozess zwei Jahre haben, Hemeti zehn Jahre.

Der mit dem Abkommen eingeleitete politische Prozess zeichnete sich dadurch aus, dass er sowohl äußerst vage als auch völlig unrealistisch war. Heikle Kompromisse, für die Monate notwendig gewesen wären, wurden innerhalb von Wochen erwartet, und zwar nach einem Zeitplan, der weitgehend für den internationalen Bedarf erstellt wurde. Diese Forderungen verschärften die latenten Spannungen zwischen den beiden Seiten und veranlassten die RSF zu der Annahme, dass Ägypten ‒ ein langjähriger Unterstützer des sudanesischen Militärs ‒ intervenieren würde. Hemeti stationierte seine Streitkräfte zu Beginn des Ramadan in der Nähe des Luftwaffenstützpunkts Merowe und lieferte damit den Auslöser für die aktuellen Zusammenstöße.

Um die Wurzeln des Kampfes zwischen der Armee und der RSF zu verstehen, muss man bis zur Gründung des sudanesischen Staates zurückgehen. Der erste Bürgerkrieg im Sudan begann 1955, ein Jahr vor der Unabhängigkeit des Landes von dem britischen Empire.

Die postkolonialen Auseinandersetzungen folgten den Mustern der Kolonialherrschaft: Eine von einigen wenigen Familien beherrschte lokale Elite in Khartum und seinen Satellitenstädten kämpfte gegen die multiethnischen Randgebiete des Landes, die sie als Arbeitskräfte und Ressourcen ausbeuteten. Auf einen Bürgerkrieg, der von 1955 bis 1972 dauerte, folgte bald ein weiterer: 1983 bis 2005. In den 1980er Jahren führte eine Schuldenkrise fast zum Bankrott des Sudan, und Khartum hatte Mühe, seine Armee zu finanzieren, während der Konflikt an den Rändern des Landes, vor allem im Süden, weiterging.

Auf dieser wenig verheißungsvollen Grundlage schuf Umar al-Baschir, damals ein Brigadegeneral der Armee, der 1989 durch einen Staatsstreich an die Macht kam, eine dauerhafte Form der Herrschaft. Anstatt die Peripherie mit Dienstleistungen zu versorgen, setzte er Milizen zur billigen Aufstandsbekämpfung ein und hetzte die vielen ethnischen Gruppen des Sudan gegeneinander auf. Er privatisierte den Staat und teilte ihn in Lehen auf, die von seinen Sicherheitsdiensten beherrscht wurden, die er vervielfachte und zersplitterte, um sein Regime putschsicher zu machen.

Die sudanesische Armee konkurrierte bald mit dem „National Intelligence and Security Service“ (NISS) und später mit Hemetis RSF, um nur einige der Sicherheitsorgane zu nennen. Jede dieser Kräfte baute ihr eigenes Wirtschaftsimperium auf. Das sudanesische Militär betrieb Baufirmen, Bergbauunternehmen und Banken, während die RSF die Kontrolle über den Goldbergbau und lukrative Söldnerdienste übernahm.

Baschir schloss einen faustischen Pakt mit den sudanesischen Städten: Akzeptiert den Terror in den Randgebieten des Landes, im Gegenzug bekommt ihr billige Rohstoffe und Subventionen für Treibstoff und Weizen; deren Einfuhr erforderte Devisen, die aus dem Verkauf von in den Randgebieten produzierten Ressourcen stammten. Das Öl hatte 1999 zu fließen begonnen, vor allem aus dem Südsudan.

Die Einnahmen aus dem Verkauf subventionierten den städtischen Verbrauch und schmierten die Räder einer Transaktionsmaschinerie, in deren Zentrum Baschir stand, der ein schwerfälliges Bündnis von Sicherheitsdiensten und Politikern in Gang hielt. Wären die Randgruppen in der Lage, selber über ihre Ressourcen zu verfügen, käme diese Maschinerie unweigerlich zum Stillstand. Ihre Interessen standen also strukturell im Gegensatz zu denen des Zentrums ‒ ein Klassenverhältnis, das in einem geografischen Antagonismus zum Ausdruck kam.

Als sich der Krieg im Südsudan 2003 dem Ende zuneigte, brach in Darfur ein neuer Krieg aus. Baschir beschloss, den Trick zu wiederholen, den er im Süden angewandt hatte (wo Miliztruppen gegen eine südliche Rebellentruppe gekämpft hatten) und die arabischen Gemeinschaften in Darfur zu bewaffnen, um nicht-arabische Rebellen zu bekämpfen.

Diese Milizen, die den Spottnamen „Dschandschawid“ (berittene Teufel) trugen, wuchsen schnell zu einer Truppe von Zehntausenden heran, die einen grausamen Krieg gegen Darfur-Rebellen und Zivilist:innen gleichermaßen führte. Dies war der Krieg, der Hemeti hervorbringen sollte. Ein Kamelhändler vom kleinen Mahariya-Stamm der Rizeigat-Araber, die sowohl im Tschad als auch in Darfur leben, wurde zum Kriegshäuptling und stellte schnell eine Truppe von 400 Männern zusammen. Im Jahr 2007 wurde er kurzzeitig zum Rebellen, aber nur, um mit Gewalt eine bessere Position in der Regierung zu erlangen.

Fünf Jahre später, als Baschirs Kontrolle über die Dschandschawid ins Wanken geriet, präsentierte sich Hemeti als der Mann, der die Rebellionen im Sudan als Leiter der neu gegründeten RSF bekämpfen konnte, die RSF absorbierten einen Großteil der Dschandschawid.

Hemeti rückte in die Nähe von Baschir und wurde schnell zu dessen bevorzugtem Vollstrecker. Es wird erzählt, dass Baschir Hemeti so sehr liebte, dass er ihn liebevoll „Himyati“ (mein Beschützer) nannte. Doch während Hemeti den Rebellenbewegungen in Darfur eine Reihe von Niederlagen zufügte, hatte Baschirs Regime zu kämpfen. Unter internationalem Druck unterzeichnete die sudanesische Regierung 2005 ein Friedensabkommen mit den Rebellen im Süden und versprach ein Referendum über die Unabhängigkeit des Südens.

Im Jahr 2011 stimmte der Südsudan für die Abspaltung, dadurch wurden Khartum 75 % seiner Einnahmen aus Öl entzogen. Ohne Dollar-Liquidität begann Baschirs Transaktionsmaschine zu kollabieren.

Das Regime versuchte, seine wirtschaftliche Basis zu diversifizieren, indem es Land an die Golfstaaten verkaufte und in den Goldbergbau einstieg. Hemeti ging dabei voran. Er nutzte seine Position als Chef der RSF, um ein Wirtschaftsimperium aufzubauen, gründete eine Holdinggesellschaft namens al-Juneid und übernahm die lukrativste Goldmine des Sudan.

Wie alle großen Gewaltunternehmer weitete Hemeti seine Interessen bald aus ‒ er schickte RSF-Kräfte als Söldner in den Kampf gegen die Huthi im Jemen, sie kamen auf die Gehaltsliste der Emirate. Er beteiligte sich auch an der Organisation der Migrantenpassage in der Sahelzone: Zunächst, indem er Migrant:innen bei der Durchquerung des Landes aufhielt (damals wurde das von der EU finanziert), und dann, indem er dieselben Migrantinnen zwang, für ihre Freiheit zu zahlen.

Im Jahr 2018 betrieb Hemeti ein Geschäftsimperium, das auch Immobilien und Stahlproduktion umfasste, hatte er ein Patronagenetzwerk aufgebaut, das mit dem von Baschir konkurrierte. Nur wenige im Zentrum waren darüber glücklich. Sowohl für die lokale politische Elite als auch für die sudanesische Armee war Hemeti ein ungebildeter Usurpator aus der Peripherie. Obwohl er ein Araber war, stammte er nicht aus dem engen Kreis der Familien, die den Sudan lange Zeit beherrscht hatten, und sein Wirtschaftsimperium war eine direkte Bedrohung für die sudanesische Militärdominanz.

Trotz Baschirs Bemühungen, alternative Devisenquellen zu finden, brach die Wirtschaft im Jahr 2018 ein. In seiner Verzweiflung strich der Diktator die Subventionen für Weizen und Treibstoff und brach damit seinen Pakt mit den sudanesischen Städten.

Die Proteste begannen in den Randgebieten und breiteten sich schnell auf das ganze Land aus. Die „Sudan Professionals Association“ (SPA), ein Dachverband von Angestelltengewerkschaften, ging voran und forderte bald seinen Rücktritt. Im Januar hatte sie sich mit einem losen Bündnis von Oppositionsparteien zu einer Gruppierung namens „Forces of Freedom and Change“ (FFC) zusammengeschlossen.

Die Proteste in Khartum wurden von einer Reihe von Widerstandskomitees organisiert und führten zu einer volksfestartigen Stimmung, in der gegenseitige Hilfe und kostenlose medizinische Versorgung angeboten wurden, um der Gewalt und Unterdrückung des Regimes eine klare Absage zu erteilen. Als sich der Aufstand verstärkte, zogen sich Baschirs Unterstützer vom Golf zurück, und das Militär wurde zunehmend unruhig. Es war eine Sache, Menschen in der Peripherie zu töten, eine ganz andere, die städtische Jugend von Khartum niederzumähen, von denen viele aus den Familien der Soldaten selber stammten.

Am 10. April 2019 soll Baschir Befehl gegeben haben, das Feuer auf ein Sit-in zu eröffnen. Hemeti behauptet, er habe diesen Befehl verweigert, und am nächsten Tag war Baschir weg.

Die Sicherheitsdienste hofften, sie könnten durch die Absetzung von Baschir die Kontrolle über die ihnen gehörenden Wirtschaftsimperien behalten. Einen Moment lang waren die Soldaten Helden, und Hemeti fand sogar etwas Unterstützung in Khartum, einer Stadt, die ihn immer als Außenseiter betrachtet hat.

Aber das war nur ein kurzer Moment. Die Demonstrant:innen wollten eine zivile Regierung, keinen neuen Militärdiktator, und anstatt sich aufzulösen, veranstalteten sie ein Sit-in vor dem Militärhauptquartier in Khartum. Die Sicherheitsdienste spielten auf Zeit und hofften, sie können die Demonstrierenden zermürben, aber je länger die Monate sich hinzogen, desto stärker war das Militär alarmiert, und die SAF und die RSF machten gemeinsame Sache bei der Unterdrückung der zivilen Unruhen.

Am frühen Morgen des 3. Juni [2019] versuchten die Sicherheitsdienste einschließlich der RSF das Sit-in aufzulösen. Am Ende des Tages waren rund 200 Demonstrant:innen tot und etwa 900 verletzt. Dennoch gingen die Proteste weiter. Am 30. Juni, dem dreißigsten Jahrestag der Machtübernahme durch Baschir, demonstrierten eine Million Menschen gegen die Junta. Doch die politische Führung der Opposition war sich uneins über das weitere Vorgehen.

Viele Widerstandskomitees waren der Ansicht, das Massaker vom 3. Juni habe die Glaubwürdigkeit der Armee zerstört und es sei an der Zeit, einen Generalstreik vorzubereiten, um sie von der Macht zu verdrängen. Die FFC nahmen jedoch Verhandlungen mit dem Militär auf, das von den USA und Großbritannien über Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate unter Druck gesetzt wurde, eine Übergangsregierung mit Zivilist:innen zu bilden. Am 1. Juli gab die SPA Pläne für zweiwöchige Proteste bekannt, die in einen Generalstreik münden sollten. Einige Tage später kündigte die FFC eine mündlich getroffene Vereinbarung mit dem Militär an, daraufhin änderte die SPA ihren Kurs.

Durch die Vereinbarungen, die schließlich im August 2019 unterzeichnet wurden, kamen die FFC zusammen mit dem Militär in eine Übergangsregierung; aber die wichtigsten Fragen des Sudan wurden aufgeschoben, sie sollten in ferner Zukunft gelöst werden.

2022 sollten Wahlen abgehalten werden, bis dahin sollte das Land von einem souveränen Rat regiert werden, der sich aus Militärs und zivilen Politiker:innen zusammensetzte, mit Burhan an der Spitze und Hemeti als seinem Stellvertreter; dieser Rat sollte ein technokratisches Kabinett unter der Leitung des ehemaligen UN-Wirtschaftsexperten Abdalla Hamdok beaufsichtigen.

Der Westen interessierte sich mit Verspätung für die Unabhängigkeitsbestrebungen des Sudan. Es ging um eine regionale Neuordnung ‒ der Sudan sollte seine Beziehungen zu Israel normalisieren ‒ und um die Reformierung der Volkswirtschaft.

Wer den Diplomat:innen und Weltbankbeamt:innen zuhörte, die nach der Revolution in den klimatisierten Cafés von Khartum Einzug hielten, glaubte sich wieder am „Ende der Geschichte“. Ihnen zufolge werde dank Austerität und die Abschaffung von Subventionen eine demokratische Utopie entstehen. Hamdoks Kabinett bekannte sich schon früh zu dieser Doktrin, auch wenn dies bedeutete, die sozioökonomischen Ziele der Revolution, die Baschir gestürzt hatte, mit Füßen zu treten.

Ibrahim Elbadawi, der erste Finanzminister und früherer Weltbanker, verkündete Bei seinem Amtsantritt, das Ziel der Revolution bestehe darin, das Land durch den Abbau von Subventionen aus seiner Schuldenkrise zu befreien.

Viele Maßnahmen der FFC schienen darauf ausgerichtet zu sein, ein internationales Publikum anzusprechen, und die Organisation wurde ansonsten in ihrer innenpolitischen Agenda durch ein militärisches Establishment behindert, das das Wirtschaftsgefüge des alten Regimes durchaus nicht auflöste, sondern darauf bedacht war, sich etwas herauszupicken.

Die Finanzen des Militärs fielen nicht in den Zuständigkeitsbereich des zivilen Teils der Regierung, die Reform des Sicherheitssektors kam nie in Gang. Hemeti baute seine militärische und wirtschaftliche Macht weiter aus: Die RSF rekrutierte im ganzen Land und nicht nur in Darfur, das war für einige seiner Anhänger Anlass für die Behauptung, nicht die SAF, sondern seine paramilitärischen Einheiten stellten die wahren Streitkräfte des Sudan dar.

Hemeti übernahm auch die Führung im Umgang mit den Randgebieten. Durch das Abkommen vom August 2019 war die „Sudan Revolutionary Front“, eine Gruppierung vieler bewaffneter Rebellen aus den Randgebieten des Landes, ins Abseits gestellt worden. Die Macht war wieder einmal im Zentrum angesiedelt.

Aus diesem Grund sahen einige Rebellenkommandeure in der FFC lediglich die jüngste Variante der Herrschaft der Hauptstädter und hofften, Hemeti, der ihnen in den vergangenen zehn Jahren schwere Niederlagen zugefügt hatte, werde jemand sein, mit dem sie Geschäfte machen könnten.

Während die zivile Regierung bei den anschließenden Verhandlungen mit den Rebellen formell die Führung übernahm, übte Hemeti eine informelle Kontrolle über den Prozess aus. Im Oktober 2020 wurde ein Abkommen zwischen der Übergangsregierung und den Rebellen unterzeichnet, das ihnen Sitze in der Regierung garantierte und eine stärkere politische Dezentralisierung versprach.

Letztendlich wurde fast keine der ehrgeizigeren Maßnahmen des Abkommens umgesetzt. Stattdessen ermöglichte es die Integration der Rebellen in die Regierung in Khartum Hemeti, Baschirs Strategie ‒ die Zersplitterung der Oppositionskräfte und ihre gegenseitige Ausspielung ‒ gegen seine Rivalen anzuwenden. Ab Oktober 2020 nutzte Hemeti die Rebellen, um das Zentrum zu spalten.

Zu diesem Zeitpunkt wuchs die öffentliche Frustration über Hamdoks Regierung, einige Demonstrant:innen forderten seinen Rücktritt und das Militär erhöhte den Druck. Die Rebell:innen, die nun in die Regierung integriert waren, organisierten Potemkinsche Proteste vor dem Hauptquartier des Militärs und ahmten damit die Proteste nach, die zum Sturz von Baschir geführt hatten. Sie behaupteten, Hamdoks Regierung sei vom Weg abgekommen: Sie interessiere sich nur für das Zentrum, nicht aber für Gerechtigkeit für Darfur oder für die Veränderung der geografischen Ungleichheiten, die das Land seit langem plagten. An dieser Rhetorik war viel Wahres dran, aber dahinter steckte eine andere politische Motivation ‒ das Land zu destabilisieren und den Boden für einen Staatsstreich zu bereiten.

Dieser lange vorhergesagte Staatsstreich schockierte nur die Apparatschiks der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, die sich nicht vorstellen konnten, dass das Militär bereitwillig auf die internationalen Investitionen verzichten wird, die im Falle einer Machtübernahme versiegen würden.

Burhan und Hemeti, denen Gelder aus der Golfregion versprochen wurden, hatten keine solchen Bedenken. Am 25. Oktober dankte Burhan Hamdok für seine Dienste und verhängte dann den Ausnahmezustand. Internationale Kommentator:inn en beklagten eine Saison der Putsche und stellten den Sudan in eine Reihe mit Myanmar, Mali und Guinea.

Doch in Wahrheit war der Staatsstreich im Sudan zu keinem Zeitpunkt darauf angelegt, eine Militärdiktatur nach ägyptischem Vorbild einzuführen. Im Gegensatz zu Baschirs Regime, das zumindest im ersten Jahrzehnt mit Hilfe der sudanesischen Islamisten regierte, hatte Burhans Junta keine Ideologie und keine wirkliche soziale Basis. Ihre Machtübernahme war im Grunde ein Verhandlungsmanöver, das darauf abzielte, Hamdok mit einem geschwächten Kabinett wieder in die Regierung zu holen und gleichzeitig die Machtbasis des Militärs zu erhalten.

Einen Monat nach dem Putsch kehrte Hamdok beflissen ins Amt zurück, um sechs Wochen später inmitten anhaltender Straßenproteste zurückzutreten.

Im Oktober 2022 war klar, dass das Militärregime ins Wanken geraten war. Die Golfstaaten hatten ihre finanziellen Versprechen an die Junta nicht eingehalten, die Inflation und der Hunger stiegen ins Unermessliche, und die öffentlichen Demonstrationen ließen nicht nach. Der Staatsstreich bewies, dass der grundlegende Antagonismus der sudanesischen Revolution intakt blieb.

Auf der einen Seite stand der Sicherheitsrat von Baschir (der ohne Baschir selbst nur nominell umgewandelt wurde). Auf der anderen Seite standen die städtischen Bürger:innen des Sudan, die auf ziviler Herrschaft beharrten und durch die verschiedenen Widerstandskomitees vertreten wurden, während die FFC ins Abseits gerieten.

Für die Amerikaner und Briten brachten es die Militärs nicht, Realismus erforderte eine neue zivil-militärische Übergangsregierung. In diplomatischen Kreisen gilt Burhan nicht als Islamist und ist daher jemand, den der Westen tolerieren kann. Die Junta ihrerseits sah die beste Möglichkeit, den Staatsstreich aufrechtzuerhalten, darin, ihn zu beenden und eine neue Übergangsregierung zu bilden, der das Militär anschließend die Schuld an der sich verschärfenden wirtschaftlichen Misere des Sudan geben konnte. Dies war der Hintergrund für das „Framework Agreement“, das am 5. Dezember 2022 unterzeichnet wurde und durch das ein Teil der FFC und einige der sudanesischen politischen Parteien in einer neuen Regierung mit dem Militär zusammenkamen. UN-Vertreter:innen und westliche Diplomat:innen äußerten sich zufrieden, während das Abkommen im ganzen Sudan auf Proteste stieß.

Mit dem Abkommen wurden die dringendsten Probleme des Landes einmal mehr nicht angepackt. Die Dynamik des Sicherheitssektors, die Stellung der RSF und die Rolle des Militärs in der Regierung wurden allesamt der Phase II überlassen, der der absurd kurze Zeitrahmen von einem Monat eingeräumt wurde. Der Deal rückte Hemeti in den Vordergrund, er kritisierte den Staatsstreich und versuchte, sich näher an den zivilen FFC zu positionieren. Dies beunruhigte Ägypten, das eine Marginalisierung der SAF befürchtete und deshalb in Kairo einen eigenen Verhandlungsrahmen einrichtete, an dem auch einige der Rebellengruppen beteiligt waren, die sich vor dem Putsch der Regierung angeschlossen hatten.

Mit der Unterzeichnung des „Framework Agreement“ wurde die Gegensatz zivil-militärisch, der zuvor die sudanesische Politik dominiert hatte, erheblich komplizierter. Burhan und Hemeti begannen, sowohl die Unterstützung der Zivilbevölkerung als auch die der Rebellen zu suchen, wobei sie auch nach regionalen Unterstützern Ausschau hielten. Dies bedeutete, dass eine Reform der Sicherheitskräfte kaum vorstellbar war, da sich die beiden wichtigsten militärischen Akteure des Landes zunehmend in die Quere kamen: Ägypten verbündete sich mit Burhan, während Hemeti mit der russischen Wagner-Gruppe im Geschäft war.

Im März wurden erst einmal Workshops zu den tieferen Fragen des Konflikts im Lande abgehalten, darunter auch zur Stellung der RSF innerhalb des sudanesischen Militärs. Der Leiter der UN-Mission im Sudan, Volker Perthes, erklärte am 20. März vor dem UN-Sicherheitsrat, er sehe sich „durch die geringen inhaltlichen Differenzen, die zwischen den Hauptakteuren bestehen, ermutigt“. Doch der Rest des Sudans war nicht überzeugt. Meine Freund:innen, die in Khartum leben, waren der Meinung, dass ein Konflikt zwischen Burhan und Hemeti unausweichlich geworden war.

Und so war es dann auch: Man hatte so viel jahrelang vor sich her geschoben, nun stieß man gegen eine Wand. Burhan schloss Vertreter der RSF von einem Treffen über die Reform des Sicherheitssektors aus, während die RSF damit begann, ihre Streitkräfte rund um Khartum zu verstärken, um sich auf Zusammenstöße vorzubereiten. Die willkürlichen Zeitpläne der Diplomat:innen, die bis zum Ende des Ramadan eine Regierung bilden wollten, haben diese Spaltungen zweifellos noch verstärkt.

Jetzt, wo die Kämpfe in den dritten Tag gehen, gibt es kaum noch Chancen auf einen Waffenstillstand in unmittelbarer Zukunft. Die Rhetorik der beiden Männer zeigt, dass sie in kriegerischer Stimmung sind. Für Hemeti ist dies aller Wahrscheinlichkeit nach seine erste und einzige Chance, die Macht zu übernehmen. Wird er besiegt und die RSF in der Armee aufgehen, wird seine Unterstützungsbasis erodieren, und die Auflösung seines Wirtschaftsimperiums wird folgen.

Für Burhan, der von Ägypten unterstützt wird, gibt es noch weitere Verhandlungsoptionen, aber der tiefe Groll der Armee gegen den Emporkömmling aus Darfur sollte nicht unterschätzt werden. Trotz der Stärke der SAF ‒ und der ägyptischen Unterstützung ‒ ist es unwahrscheinlich, dass es ein einfacher Kampf wird. Die RSF sind in den zivilen Gebieten von Khartum verwurzelt, und einige der tödlichsten Kämpfe haben bereits in Darfur stattgefunden, in Hemetis Heimatgebiet.

Wie auch immer der Konflikt ausgeht (wahrscheinlich wird er verheerende Opfer fordern): Er wird für den Sudan eine neue Ära einläuten. Die drei vorangegangenen Bürgerkriege wurden in der Peripherie ausgetragen; an den geografisch modulierten Klassenbeziehungen, die mit Baschir assoziiert waren, haben sie nichts geändert.

Im Gegensatz dazu findet dieser Bürgerkrieg ‒ wenn er denn dazu wird ‒ in Khartum und den Satellitenstädten statt. Hemeti, der durch Baschirs Transaktionspolitik und seine Instrumentalisierung der Milizen emporgestiegen ist, hat nun ein politisches Eigenleben. Sein Außenseiterstatus ist eine Herausforderung für das lokale sudanesische Elitesystem ‒ eine Herausforderung, die sich in den Straßen und am Himmel der Städte abspielt.

Dieser Artikel ist am 17. April 2023 in der Reihe „Sidecar“ auf der Webseite der new left review veröffentlicht worden, siehe https://newleftreview.org/sidecar/posts/gunshots-in-khartoum. Wir bringen die Übersetzung aus dem Englischen mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der new left review.

Joshua Craze ist Fellow an der London School of Economics and Political Science und arbeitet als Journalist, der sich hauptsächlich mit dem Horn von Afrika befasst. Er arbeitet an einem Buch Krieg und Bürokratie in Süd Sudan, das bei Fitzcarraldo Editions erscheinen wird.

Siehe auch die Erklärungen, die auf Englisch auf der Webseite des britischen „Middle East and North Africa Solidarity Network“ veröffentlicht sind. Beispielsweise „Sudanese Resistance Committees, democratic and civil forces: stop the war, mobilise strikes and civil disobedience“ (19. April).

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